Urteil Nr. B 6 KA 15/19 R des Bundessozialgericht, 2020-07-15
Judgment Date | 15 July 2020 |
ECLI | DE:BSG:2020:150720UB6KA1519R0 |
Judgement Number | B 6 KA 15/19 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorars der Klägerin für die Quartale 3/2008 und 4/2008.
Die Klägerin ist als Anästhesistin im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie erbringt im Rahmen ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit vor allem Narkosen im Zusammenhang mit augenärztlichen Eingriffen, insbesondere Kataraktoperationen nach der GOP 31351 EBM-Ä. In Zusammenhang mit den Kataraktoperationen berechnete die Klägerin ganz überwiegend die GOP 31822 EBM-Ä, die die Anästhesie oder Narkose eines Patienten beschreibt. Dieser Leistung ist eine Kalkulationszeit von 60 Minuten zugeordnet, die Prüfzeit beträgt 53 Minuten.
Die Beklagte informierte die Klägerin im Mai 2012 über die Einleitung einer Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der vier Quartale des Jahres 2008. Sie wies dabei darauf hin, dass die Prüfung der Abrechnung der Klägerin Arbeitszeiten von mehr als 22 Stunden an einzelnen Behandlungstagen ergeben habe. Die Klägerin wandte dazu ein, die Prüfzeit von 53 Minuten für die GOP 31822 EBM-Ä sei in ihrem Fall unrealistisch. Sie arbeite mit erfahrenen Operateuren zusammen, die den gesamten augenärztlichen Eingriff in zehn Minuten erledigen könnten; es könne von ihr nicht verlangt werden, den Patienten für weitere 40 Minuten in Narkose zu versetzen bzw zu belassen, allein um die Prüfzeit zu erfüllen.
Die Beklagte berichtigte sodann die ursprünglichen Honorarbescheide der Klägerin und forderte für die Quartale 3/2008 und 4/2008 insgesamt ca 56 500 Euro zurück (Bescheid vom 7.3.2013). In 10 % der Fälle, in denen die Klägerin die GOP 31822 EBM-Ä angesetzt hatte, ließ die Beklagte die Abrechnung unbeanstandet. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen den Inhalt der Leistungslegende der GOP 31822 EBM-Ä nicht erbracht habe. Diese Leistung (Vollnarkose) sei im Zusammenhang mit Kataraktoperationen nur in Ausnahmefällen berechnungsfähig. Die Ansätze der GOP 31822 EBM-Ä würden deshalb in Ansätze der GOP 31831 (Analgesie bzw Sedierung) umgewandelt und die Klägerin sei verpflichtet, die Differenz zwischen den beiden Leistungspositionen zu erstatten.
Das nach erfolglos durchgeführten Widerspruchsverfahren angerufene SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 10.8.2016). Das SG war überzeugt, dass die Klägerin die Leistung nach GOP 31822 EBM-Ä in sehr viel kürzerer Zeit als der Prüfzeit von 53 Minuten vollständig erbracht habe. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.2.2019). Die Beklagte sei zur Korrektur der GOP 31822 EBM-Ä berechtigt, denn die Klägerin habe die Kombinationsnarkose mit Maske nicht zur Durchführung der ambulanten Kataraktoperation selbst gesetzt, sondern nur initial eine kurzzeitige Narkose eingeleitet, um dann die lokale Retrobulbäranästhesie zur Betäubung des zu operierenden Auges setzen zu können. Damit sei der obligate Leistungsinhalt der GOP 31822 EBM-Ä nicht vollständig erfüllt. Zwar habe die Klägerin eine Kombinationsnarkose unter Verwendung verschiedener Narkosemedikamente eingeleitet und die Narkose auch zumeist mit einer Maske iS der GOP 31822 EBM-Ä durchgeführt. Es reiche aber nicht aus, nur zu Beginn der Operation eine Vollnarkose zu verabreichen, vielmehr müsse nach dem Sinn und Zweck der GOP 31822 EBM-Ä die Narkose über die Dauer des gesamten operativen Eingriffs aufrechterhalten werden. Eine Vollnarkose nur zur Ermöglichung einer kurzen Lokalanästhesie sei vom Inhalt der Leistungsposition nicht erfasst.
Mit ihrer Revision beanstandet die Klägerin zunächst eine unzureichende Aufklärung des Sachverhaltes. Das Berufungsgericht habe weder zur Dauer noch zum Ende der von ihr - der Klägerin - gesetzten Narkose hinreichend verlässliche Feststellungen getroffen. Im Übrigen stehe fest, dass sie eine Vollnarkose unter Verwendung einer Maske im Rahmen der vom Operateur durchgeführten Kataraktoperation verabreicht habe. Damit sei der Inhalt der Leistungslegende der GOP 31822 EBM-Ä vollständig erbracht. Mit der Forderung, die Narkose müsse während der gesamten Dauer des operativen Eingriffs aufrechterhalten werden, verlasse das LSG die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung von GOP. Danach stehe der Wortlaut der jeweiligen Leistungslegende im Vordergrund. Dieser sei eindeutig und enthalte kein zeitliches Moment iS einer Aufrechterhaltung der Vollnarkose des Patienten während der gesamten Dauer der Operation. Im Übrigen sei selbstverständlich, dass die Zeit, die eine Vollnarkose in Anspruch nehme, von der Zeitdauer der eigentlichen Operation abhängig sei. Wenn ein versierter Operateur den gesamten Eingriff am Auge innerhalb von wenigen Minuten ausführen könne, könne für den Anästhesisten nichts anderes gelten. Entsprechend seien die Kalkulations- und Prüfzeiten im EBM-Ä insoweit durch den medizinischen Fortschritt überholt.
Schließlich habe die Beklagte ihre Prüf- und Korrekturberechtigung für die hier streitbefangenen Quartale durch ihre Prüfung für die entsprechenden Leistungen in den Quartalen 2/2005 bis 1/2007 verbraucht. Bei identischem Leistungsverhalten sei eine Beanstandung der Abrechnung nicht erfolgt, was im Übrigen mit der Rechtsauffassung der Beklagten in einem Rundschreiben vom Oktober 2006 übereinstimme. Dort sei die Leistung nach der GOP 31822 EBM-Ä in Zusammenhang mit Kataraktoperationen ausdrücklich als abrechnungsfähig bezeichnet worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20.2.2019 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 10.8.2016 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, die Kombinationsnarkose mit Maske lediglich initial durchgeführt zu haben, um das Setzen der lokalen Retrobulbäranästhesie zu erleichtern. Darüber hinaus sei den Narkoseprotokollen nicht zu entnehmen, dass die Maskenbeatmung über die Dauer der Operation aufrechterhalten worden sei.
Die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung und der zu 2. beigeladene GKV-Spitzenverband halten die Auffassung der Beklagten und des LSG zur Auslegung der Leistungslegende der GOP 31822 EBM-Ä für zutreffend. Im Übrigen weisen beide auf die Neufassung der Narkoseleistungsposition in Zusammenhang mit Kataraktoperationen zum 1.7.2016 und dabei insbesondere auf die neu geschaffene GOP 31841 EBM-Ä hin. Dort wird das "patientenadaptierte Narkosemanagement" als neue Leistungsposition geführt. Die Kalkulationszeit beträgt 48 Minuten, die Prüfzeit 39 Minuten, wobei lediglich eine Prüfung des Quartalsprofils stattfindet.
EntscheidungsgründeDie Revision ist nicht begründet.
1. Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs 2 SGB V(hier noch in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <aF>; heute § 106d Abs 2 SGB V). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität. Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung ist insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen in Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes (§ 106a Abs 2 Satz 2 SGB VaF). Bei der Prüfung nach Satz 2 ist ein Zeitrahmen für das pro Tag höchstens abrechenbare Leistungsvolumen zugrunde zu legen; zusätzlich können Zeitrahmen für die in längeren Zeitperioden höchstens abrechenbaren Leistungsvolumina zugrunde gelegt werden (§ 106a Abs 2 Satz 3 SGB VaF). Soweit Angaben zum Zeitaufwand nach § 87 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V bestimmt sind, sind diese bei den Prüfungen nach Satz 2 zugrunde zu legen (§ 106a Abs 2 Satz 4 SGB VaF). Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes - erbracht und abgerechnet worden sind (vglBSG Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 42/17 R - BSGE 127, 43 = SozR 4-2500 § 106a Nr 19, RdNr 10 sowie zuletzt Urteile vom 15.5.2019 - B 6 KA 63/17 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 23 und vom 30.10.2019 - B 6 KA 9/18 R - RdNr 13, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen).
Die näheren Einzelheiten des Plausibilitätsprüfungsverfahrens ergeben sich aus § 8 der auf der Grundlage von § 106a Abs 6 SGB VaF vereinbarten "Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen" (AbrPr-RL) in der hier maßgebenden, seit dem 1.7.2008 geltenden Fassung (DÄ 2008, A-1925). Allerdings ist § 8 AbrPr-RL vom 7.3.2018 (DÄ 2018, A 600; im Folgenden: AbrPr-RL 2018) nach der Übergangsregelung in § 22 Abs 3 AbrPr-RL 2018 auf Verfahren anzuwenden, die - wie das vorliegende - am 31.12.2014 noch nicht abgeschlossen waren. § 8 Abs 2 AbrPr-RL 2018 sieht ebenso wie die zuvor geltende Fassung der AbrPr-RL gleichrangig die Ermittlung eines Tageszeit- und eines Quartalszeitprofils vor (vglBSG Beschluss vom 17.8.2011 - B 6 KA 27/11 B - juris RdNr 6). Eine weitere Überprüfung nach § 12 AbrPr-RL erfolgt gemäß § 8 Abs 3 Satz 1 AbrPr-RLbzw § 8 Abs 4 Satz 1 AbrPr-RL 2018, wenn die ermittelte arbeitstägliche Zeit bei Tageszeitprofilen an mindestens drei Tagen im Quartal mehr als zwölf Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden beträgt.
a) Überschreitungen...
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