Urteil Nr. B 6 KA 45/16 R des Bundessozialgericht, 2018-05-16
Judgment Date | 16 Mayo 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:160518UB6KA4516R0 |
Judgement Number | B 6 KA 45/16 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Der Vertrag zwischen einer Hochschulklinik und den Verbänden der Krankenkassen in ihrem Sitzland ist grundsätzlich für alle Krankenkassen verbindlich, deren Versicherte in der Hochschulambulanz der Klinik behandelt werden.
TenorDas Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2016, berichtigt durch Beschluss vom 20. Dezember 2016, und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. August 2012 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 127 103,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus weiteren 5273,84 Euro seit 12. Januar 2009,
aus weiteren 4896,32 Euro seit 14. April 2009,
aus weiteren 3858,40 Euro seit 16. Juli 2009,
aus weiteren 75 904,40 Euro seit 25. August 2009,
aus weiteren 3994,64 Euro seit 12. Oktober 2009,
aus weiteren 3910,40 Euro seit 15. Januar 2010,
aus weiteren 3598,40 Euro seit 16. April 2010,
aus weiteren 3796 Euro seit 16. Juli 2010,
aus weiteren 3671,20 Euro seit 18. Oktober 2010,
aus weiteren 3515,20 Euro seit 17. Januar 2011,
aus weiteren 3016 Euro seit 16. April 2011,
aus weiteren 2756 Euro seit 16. Juli 2011,
aus weiteren 2641,60 Euro seit 17. Oktober 2011,
aus weiteren 3140,80 Euro seit 16. Januar 2012 und
aus weiteren 3130,40 Euro seit 16. April 2012
zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen trägt der Kläger 3/7 und die Beklagte 4/7.
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Laborleistungen in Höhe von ca 226 000 Euro nebst Zinsen, die das klagende Universitätsklinikum auf Überweisung überwiegend von Belegärzten gegenüber Neugeborenen von Versicherten der beklagten AOK in den Jahren 2005 bis 2011 erbracht hat.
Das sog erweiterte Neugeborenenscreening nach §§ 13 ff der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres (Kinder-Richtlinien) beinhaltet ua eine labormedizinische Untersuchung auf bestimmte Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen bei Neugeborenen (§ 17 der Kinder-Richtlinie). Dieses besondere Screening darf nur in Einrichtungen durchgeführt werden, die den Qualifikationsanforderungen der Kinder-Richtlinie genügen. Von den zwölf Screeninglaboren, in denen ab 2005 zunächst die Laborleistungen durchgeführt werden konnten, befindet sich keines in Rheinland-Pfalz, in dem die beklagte Krankenkasse (KK) ihren Sitz hat. Der für die Krankenhausplanung zuständige Ausschuss dieses Landes hatte im Jahr 2002 den Krankenhäusern und Ärzten empfohlen, die Laboruntersuchungen im Rahmen des Neugeborenenscreenings bei dem Kläger durchführen zu lassen, der ein anerkanntes Screeninglabor ist und auf der Grundlage des § 117 Abs 1 SGB V kraft Gesetzes an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.
Wenn Kinder in hauptamtlich geleiteten Krankenhäusern zur Welt kommen, veranlassen diese die Durchführung des Neugeborenenscreenings bei dem Kläger. Der Kläger rechnet in solchen Fällen direkt mit diesen Kliniken das Screening ab; für die Kliniken gehören die insoweit anfallenden Kosten zu den allgemeinen Krankenhausleistungen. Soweit die Kinder dagegen nicht in hauptamtlich geführten Krankenhausabteilungen für Gynäkologie und Geburtshilfe, sondern ambulant oder in Belegabteilungen zur Welt gekommen sind, überweisen die für die Leitung der Geburt verantwortlichen Personen - insbesondere die Belegärzte, in einzelnen Fällen auch Hebammen - entsprechende Leistungen an den Kläger. Streitgegenstand ist hier allein die Vergütung der aufgrund einer vertragsärztlichen Überweisung erbrachten Laborleistungen im Rahmen des Neugeborenenscreenings in dem Labor des Klägers.
Hinsichtlich der Vergütung dieser Leistungen im Rahmen des Neugeborenenscreenings bestehen keine vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und der beklagten AOK, sondern lediglich solche zwischen den für den Sitz des Klägers in Baden-Württemberg zuständigen Landesverbänden der KKn und dem Kläger. Diese sehen - nach Jahren differenzierend - unterschiedliche Regelungen über die Finanzierung der Screeninglaborleistungen vor, ua für 2005 eine allgemeine Behandlungspauschale je Kalendervierteljahr in Höhe von 68,62 Euro und für die Folgejahre eine Vergütung auf der Grundlage der Nr 01708 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) in Höhe von 11,44 Euro bzw 10,40 Euro.
Da nach § 120 Abs 2 S 1 SGB V in der ab 2003 geltenden Fassung die Leistungen der Hochschulambulanzen unmittelbar von der KK vergütet werden, stellte der Kläger - beginnend ab dem Jahre 2005 - die auf Überweisung von Belegärzten, anderen Vertragsärzten und in einzelnen Fällen von Hebammen erbrachten labormedizinischen Leistungen im Rahmen des Neugeborenenscreenings der Beklagten in Rechnung, soweit die Neugeborenen oder ihre Mütter dort versichert waren. Die Beklagte beglich die ihr eingereichten Rechnungen nicht. Sie machte geltend, es handele sich um Leistungen, die das Belegkrankenhaus als Krankenhausleistung zu erbringen habe und die entsprechend vom Kläger gegenüber diesem Krankenhaus geltend zu machen seien. Die Fallpauschale für die Entbindung habe sie - die Beklagte - bereits dem Krankenhaus gezahlt, in dessen Belegabteilung das betreffende Kind zur Welt gekommen sei. Diese Fallpauschale decke auch die Kosten des Neugeborenenscreenings ab. Die Belegärzte seien nicht berechtigt, diese als allgemeine Krankenhausleistung zu qualifizierenden Laboruntersuchungen mittels vertragsärztlichen Überweisungsscheins an den Kläger zu überweisen. Im Übrigen sei insbesondere die für das Jahr 2005 geltend gemachte Forderung überhöht; den Krankenhäusern sei diese Leistung zu einem Preis angeboten worden, der weniger als ein Zehntel der ihr berechneten Pauschale von ca 69 Euro pro Fall ausmache.
Mit der zum SG Mannheim erhobenen Klage hat der Kläger für jede Screeningleistung im Jahre 2005 den gesamtvertraglich mit den baden-württembergischen KKn-Verbänden vereinbarten Betrag von 68,62 Euro und ab 2006 die für die Laborleistungen des Neugeborenenscreenings neu geschaffene und vereinbarte Behandlungspauschale in Höhe von (zunächst) 11,44 Euro in Rechnung gestellt und zusätzlich zu dieser Hauptforderung jeweils Zinsen ab Fälligkeit gefordert. Das SG Mannheim hat - in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber nach § 10 Abs 1, § 12 Abs 2 SGG - die Klage abgewiesen. Es hat zunächst ein ärztliches Gutachten zu der Frage eingeholt, ob das durch Belegärzte, Hebammen und/oder niedergelassene Ärzte über einen Überweisungsschein veranlasste Neugeborenenscreening unter die über DRG-Fallpauschalen zu vergütenden voll- oder teilstationären Leistungen der Entbindungskliniken fällt. Es hat sich der Auffassung des Gutachters angeschlossen, dass es sich insoweit nicht um allgemeine Krankenhausleistungen, sondern um Leistungen der Belegärzte auf der Grundlage des § 18 Abs 1 S 2 Nr 4 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) handele. Das habe zur Folge, dass die Belegärzte diese Leistungen an Labore überweisen dürften und grundsätzlich § 120 Abs 2 SGB V für die Vergütung dieser Laborleistungen anwendbar sei; die KKn müssten die entsprechenden Leistungen zusätzlich zu der Fallpauschale für die eigentliche Entbindungsleistung vergüten. Der Anspruch des Klägers scheitere jedoch daran, dass keine Vereinbarung nach § 120 Abs 2 S 2 SGB V in der zwischen 2005 und 2011 geltenden Fassung abgeschlossen worden sei. Ohne Abschluss einer solchen Vereinbarung zwischen dem Kläger und der beklagten KK aus Rheinland-Pfalz sei eine Honorierung der Leistungen des Klägers nicht möglich. Der Kläger hätte - statt die Beklagte unmittelbar auf Zahlung in Anspruch zu nehmen - das Schiedsverfahren nach § 120 Abs 4 S 1 SGB V einleiten und die Schiedsstelle nach § 18a Abs 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) anrufen müssen.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Klage auf weitere Leistungen aus der Zeit bis Ende 2011 - letzte Rechnung vom 16.4.2012 - erweitert. Das LSG hat - in der Besetzung nach § 10 Abs 2 SGG (Vertragsarztrecht) - seine Berufung zurückgewiesen und die im Wege einer Klageerweiterung erhobenen Klagen abgewiesen. Es hat diese Entscheidung allein darauf gestützt, dass zwischen den Beteiligten keine vertragliche Vereinbarung bestehe.
Die Auffassung des Klägers, der zwischen ihm und den Verbänden der KKn in Baden-Württemberg für die einzelnen streitbefangenen Jahre geschlossene Vertrag binde auch die Beklagte, treffe nicht zu. Anders als in verschiedenen anderen Regelungen des SGB V sei in § 120 Abs 2 gerade nicht bestimmt, dass die Vereinbarungen, die für das Bundesland geschlossen werden, in denen das Universitätsklinikum seinen Sitz hat, auch für alle anderen KKn und deren Versicherten gelten. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Geltungsanordnung über das jeweilige Land der vertragsschließenden Kassenverbände hinaus könne nur geschlossen werden, dass im Anwendungsbereich des § 120 Abs 2 SGB V die Geltung von Verträgen über den Bereich des jeweiligen Landes hinaus nicht gewollt sei. Deshalb habe für den Kläger nur die Möglichkeit bestanden, die Schiedsstelle nach § 18a KHG anzurufen mit dem Begehren, auch zulasten der beklagten KK außerhalb seines Bundeslandes eine Vergütungsvereinbarung festzusetzen. Da der Kläger diesen Weg nicht gegangen sei, sei die Klage - entgegen der Auffassung des SG - zwar zulässig, aber unbegründet (Urteil vom 26.10.2016).
Mit seiner Revision rügt der Kläger in erster Linie eine Verletzung des § 120 Abs 2 S 2 SGB V. Nach seiner Auffassung gelten die Vergütungsverträge, die auf dieser Grundlage geschlossen sind, auch für KKn...
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