Urteil Nr. B 6 KA 51/17 R des Bundessozialgericht, 2019-02-13
Judgment Date | 13 Febrero 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:130219UB6KA5117R0 |
Judgement Number | B 6 KA 51/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Vertragsärzte, die eine Zweigpraxis betreiben, dürfen nicht in größerem Umfang zum Notdienst (Bereitschaftsdienst) herangezogen werden als andere Vertragsärzte mit gleichem Versorgungsauftrag.
TenorAuf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. April 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. November 2017 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
-Die Beteiligten streiten um den Umfang der Teilnahme des Klägers am ärztlichen Bereitschaftsdienst (Notdienst).
Der Kläger ist als Arzt für Orthopädie in M zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Auf seinen Antrag erteilte ihm die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) die Genehmigung zur vertragsärztlichen Tätigkeit in einer Zweigpraxis in E . Der Genehmigung war ein Hinweis beigefügt, nach dem der Kläger als Folge der erteilten Genehmigung verpflichtet sei, auch im Bereitschaftsdienstbereich der Zweigpraxis am Bereitschaftsdienst teilzunehmen, sofern sich diese in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich als der Vertragsarztsitz befinde.
Mit Bescheid vom 17.4.2014 ordnete die Beklagte den Kläger mit einem Anrechnungsfaktor von 0,5 der Bereitschaftsdienstgruppe S zu. Der Umfang der Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst am Vertragsarztsitz ("Praxishauptsitz") und die Frequenz der Heranziehung werde dadurch nicht eingeschränkt. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass Betreiber einer Zweigpraxis nach den in der Bereitschaftsdienstordnung (BDO-KVB; hier in der Fassung des Beschlusses der Vertreterversammlung der Beklagten vom 23.11.2012, im Folgenden: aF) getroffenen Regelungen verpflichtet seien, zusätzlich auch im Bereich der Filiale am Bereitschaftsdienst teilzunehmen, sofern sich diese in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich als der Praxishauptsitz befinde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 24.2.2016).
Mit Urteil vom 27.10.2016 hat das SG München die angefochtenen Bescheide zur zusätzlichen Heranziehung des Klägers mit einem Anrechnungsfaktor von 0,5 am Ort der Zweigpraxis aufgehoben. Da der Kläger nur über einen vollen Versorgungsauftrag verfüge, fehle es an einer Grundlage für dessen Heranziehung mit einem Anrechnungsfaktor von insgesamt 1,5 zum Bereitschaftsdienst.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Bayerische LSG das Urteil des SG München vom 27.10.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 5.4.2017). § 2 Abs 4 BDO-KVB aF sei dahin auszulegen, dass ein Arzt, der eine Zweigpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich als dem des Vertragsarztsitzes betreibt, insgesamt mit einem Anrechnungsfaktor von 1,5 am ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen habe, nämlich mit 1,0 am Vertragsarztsitz und zusätzlich mit 0,5 am Ort der Filialpraxis. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Eine Heranziehung zum Bereitschaftsdienst in beiden Bereitschaftsdienstbereichen sei vom weiten Gestaltungsspielraum der KÄV in Bezug auf die Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes gedeckt. Eine willkürliche Benachteiligung des Klägers liege nicht vor. Aus der in § 95 Abs 3 SGB V getroffenen Regelung, nach der die Zulassung bewirke, dass der Vertragsarzt im Umfang seines aus der Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrags zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet sei, könne nicht gefolgert werden, dass eine Heranziehung zum Notfalldienst mit einem höheren Faktor als 1,0 ausgeschlossen sei. Entgegen der Auffassung des Klägers verstoße die Addition der Anrechnungsfaktoren auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Aus Art 3 Abs 1 GG folge die Verpflichtung der Beklagten, alle Ärzte gleichmäßig zum Bereitschaftsdienst heranzuziehen. Die Unterscheidung zwischen Ärzten ohne Zweigpraxis oder von Ärzten mit einer Zweigpraxis im selben Bereitschaftsdienstbereich auf der einen Seite und von Ärzten mit einer Zweigpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich auf der anderen Seite beruhe jedoch auf sachlichen Gründen. Infolge der Lage der Zweigpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich betreue der Kläger weitere Patienten. Selbst wenn die Zweigpraxis - auch wirtschaftlich betrachtet - nur einen Annex zur Hauptpraxis darstelle und der Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Praxis bei der Genehmigung von Zweigpraxen keine Berücksichtigung finde, sei es der Beklagten als Normgeberin nicht verwehrt, den in der Zweigpraxis versorgten Patientenstamm als Argument für eine zusätzliche Heranziehung zum Bereitschaftsdienst zu werten. Dem stehe auch die Entscheidung des BSG vom 23.3.2016 (B 6 KA 7/15 R, Juris RdNr 17) nicht entgegen, nach der die Doppelzulassung eines MKG-Chirurgen als Arzt und als Zahnarzt nicht zu einer doppelten Inpflichtnahme für den Bereitschaftsdienst führen dürfe. Im Unterschied zum dortigen MKG-Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurgen betreibe der Kläger eine Filialpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbereich mit entsprechend erweitertem Patientenstamm. Wenn ein mehrere Praxen betreibender Arzt nur einmal zum Bereitschaftsdienst herangezogen würde, würde seinen Berufskollegen die Notdienstversorgung von Patienten auferlegt, die der die Zweigpraxis betreibende Arzt - mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteilen - behandele. Die mehrfache Heranziehung eines Arztes zum Bereitschaftsdienst, der eine Zweigpraxis betreibe, verstoße deshalb nicht gegen den Gleichheitssatz, sondern sei vielmehr geboten.
Zur Begründung seiner Revision bezieht sich der Kläger auf die Begründung des sozialgerichtlichen Urteils. Die von der Beklagten getroffene Regelung zum Bereitschaftsdienst werde nicht mehr von sachbezogenen Erwägungen getragen. Durch die vom Umfang des Versorgungsauftrags abgekoppelte Heranziehung zum Bereitschaftsdienst mit einem Anrechnungsfaktor von 1,5 werde er willkürlich benachteiligt. Die Verteilung der vertragsärztlichen Tätigkeit auf mehrere Bereitschaftsdienstbereiche dürfe nicht mit einer Steigerung des Umfangs der Bereitschaftsdienstverpflichtung insgesamt einhergehen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Bereitschaftsdienstbereiche in Bayern eine ganz unterschiedliche Größe hätten und dass ein Zusammenhang mit Marktgegebenheiten oder typischen Patienten-Einzugsbereichen nicht bestehe. Damit hänge es letztlich allein vom Zufall ab, ob die Beklagte Betreiber einer Zweigpraxis zum erweiterten Bereitschaftsdienst heranziehe oder nicht.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte die Entscheidung aus den angefochtenen Bescheiden mit Bescheid vom 2.11.2017 insofern geändert, als sie den Kläger im Hinblick auf die Tätigkeit am Ort der Zweigpraxis nicht mehr dem Bereitschaftsdienstbereich S -
, sondern dem neu gebildeten Bereitschaftsdienstbereich L
zugeordnet hat. Sie hat damit dem geänderten Zuschnitt der Bereitschaftsdienstbereiche Rechnung getragen. Bezogen auf die Heranziehung mit einem Anrechnungsfaktor von zusätzlich 0,5 ist keine Änderung eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5.4.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2.11.2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.10.2016 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Verpflichtung des Vertragsarztes zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst resultiere aus seinem Zulassungsstatus. Die weiteren Modalitäten zur Organisation des Bereitschaftsdienstes, insbesondere zu Umfang und Ort der Teilnahme und zur Möglichkeit des Diensttausches sowie zu Befreiungsgründen regele die KÄV als Inhaberin des Sicherstellungsauftrags in eigener Zuständigkeit. Rechtsgrundlage für die Einbindung von Vertragsärzten in den Bereitschaftsdienstbereich am Ort einer Zweigpraxis sei § 2 Abs 4 BDO-KVB aF. Danach sei ein Vertragsarzt mit einer Zweigpraxis verpflichtet, neben dem Bereitschaftsdienst am Ort des Vertragsarztsitzes auch im Bereitschaftsdienstbereich am Ort der Zweigpraxis anteilig Dienst zu leisten. Diese Regelung sei vom weiten Gestaltungsspielraum der KÄV bei der Organisation des Bereitschaftsdienstes gedeckt. Der "Grundsatz der gleichwertigen Teilnahme am Bereitschaftsdienst" bedeute nicht, dass der Umfang der Teilnahme am Bereitschaftsdienst nicht vom Umfang des Versorgungsauftrags abweichen dürfe. Die Zweigpraxisgenehmigung eröffne dem Kläger die vertragsärztliche Tätigkeit an einem weiteren Ort. Damit sei er im Grundsatz verpflichtet, auch den Patienten an diesem Ort rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Von dieser Verpflichtung werde er nur frei, wenn er anteilig auch am Ort der Zweigpraxis am Bereitschaftsdienst mitwirke. Da der Vertragsarzt die finanziellen Vorteile aus seiner Tätigkeit an einem weiteren genehmigten Ort ziehe, müsse er auch die an diesem Ort bestehenden Verpflichtungen mittragen. Der Kläger werde auch nicht gegenüber Vertragsärzten benachteiligt, deren Zweigpraxis in demselben Bereitschaftsdienstbereich wie der Vertragsarztsitz liege. Es treffe zwar zu, dass ein Arzt mit einer Zweigpraxis im selben Bereitschaftsdienstbereich nicht zusätzlich zum Bereitschaftsdienst für den Ort der Filiale herangezogen werde. Allerdings sei diese Ungleichbehandlung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Soweit Vertragsarztsitz und Zweigpraxis in demselben Bereitschaftsdienstbereich liegen, erfolge für alle Patienten in diesem Bereich eine gemeinsame Planung und damit solidarische Mittragung der Belastung des Bereitschaftsdienstbereiches durch alle in diesem Bereich verpflichteten Vertragsärzte. Liege die Zweigpraxis indessen außerhalb des Bereitschaftsdienstbereiches der Vertragsarztpraxis, würde die Teilnahme im...
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