Urteil Nr. B 6 KA 14/18 R des Bundessozialgericht, 2019-10-30

Judgment Date30 Octubre 2019
ECLIDE:BSG:2019:301019UB6KA1418R0
Judgement NumberB 6 KA 14/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Vertragsärztliche Versorgung - Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens - Entzug der Zulassung eines halben Versorgungsauftrags wegen nicht hinreichender Ausübung - Klage gegen Nichtdurchführung eines Nachbesetzungsverfahrens - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

1. Die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist ausgeschlossen, soweit die Zulassung wegen nicht hinreichender Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit hälftig entzogen wurde.

2. Die Klage gegen eine Entscheidung über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ist auch dann ohne vorheriges Widerspruchsverfahren gegen den Zulassungsausschuss zu richten, wenn dieser eine Nachbesetzung aus anderen als Versorgungsgründen abgelehnt hat.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

Im Streit steht die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für einen halben Vertragsarztsitz, nachdem die Zulassung im Umfang eines halben Versorgungsauftrags wegen nur noch geringer Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen wurde.

Der im Jahr 1948 geborene Kläger wurde nach Beendigung seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst ab 1.4.2009 als ausschließlich psychotherapeutisch tätiger Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Umfang eines vollen Versorgungsauftrags zur vertragsärztlichen Versorgung in B. zugelassen. Seine Praxis bestand aus einem in Untermiete möbliert angemieteten Raum von 18,6 qm Größe, wobei auch die zugehörigen Gemeinschaftsflächen nutzbar waren. Im November 2014 erklärte er gegenüber dem beklagten Zulassungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten (ZA) den Verzicht auf die hälftige Zulassung als Vertragsarzt, um sich als Arzt in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) anstellen zu lassen; daneben wollte er in seiner eigenen Praxis weiterhin 16 Stunden pro Woche tätig sein. Daraufhin beantragte die zu 1. beigeladene KÄV, dem Kläger eine halbe Vertragsarztzulassung zu entziehen, weil dieser bereits seit mehreren Jahren nicht mehr in nennenswertem Umfang vertragsärztlich tätig sei. Seine Fallzahlen hätten seit 2010 je Quartal zwischen 6 und 11 geschwankt und damit nur ca ein Viertel der durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe betragen. Im Zulassungsentziehungsverfahren machte der Kläger ua geltend, er habe versucht, seine Patientenzahl zu steigern, doch bestehe aufgrund der hohen Überversorgung im Bezirk C. (558,3 %) keine Nachfrage durch weitere Patienten. Der ZA entzog die Zulassung des Klägers im Umfang eines halben Versorgungsauftrags (Beschluss vom 27.2.2015). Dessen Widerspruch blieb ohne Erfolg; der Beschluss des Berufungsausschusses (BA) vom 22.7.2015 wurde nach Rechtsmittelverzicht des Klägers bestandskräftig.

Am 4.8.2015 ging bei der Beigeladenen zu 1. eine Erklärung des Klägers über den Verzicht auf seine Zulassung als Vertragsarzt im Hinblick auf die beabsichtigte Anstellung in einem (anderen) MVZ ein. Der Beklagte stellte sodann fest, dass die Zulassung des Klägers im Umfang eines halben Versorgungsauftrags aufgrund der für ihn erteilten Anstellungsgenehmigung in diesem MVZ im Umfang von 20 Wochenstunden am 31.12.2015 ende (Beschluss vom 14.1.2016).

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 7.3.2016 beim Beklagten die Ausschreibung der halben entzogenen Zulassung. Der Beklagte lehnte die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ab (Beschluss vom 22.4.2016, ausgefertigt am 31.5.2016), weil die bestandskräftig gewordene Entziehung der Zulassung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit einem solchen Verfahren entgegenstehe. In Bezug auf die entzogene Hälfte der Zulassung sei kein Praxissubstrat mehr vorhanden, das eine Ausschreibung rechtfertige. Die gesetzliche Regelung in § 103 Abs 4 Satz 2 SGB V laufe deshalb nicht völlig leer, da für sie insbesondere bei Doppelzulassungen noch ein Anwendungsbereich verbleibe.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung des Beschlusses - am 20.6.2016 unmittelbar Klage zum SG erhoben. Im SG-Verfahren hat der beklagte ZA allerdings zunächst die Ansicht vertreten, die Klage sei unzulässig, weil zuvor das Widerspruchsverfahren durchgeführt werden müsse. Der Kläger hat deshalb einen solchen Widerspruch erhoben, doch hat der BA den Rechtsbehelf mit Beschluss vom 2.11.2016 als unstatthaft zurückgewiesen. Seine hiergegen gerichtete Klage hat der Kläger später wieder zurückgenommen.

Das SG hat die gegen den Bescheid des ZA gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 13.6.2018). Zwar komme nach § 103 Abs 3a Satz 2 Halbsatz 1 SGB V eine Entscheidung über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens auch im Falle einer hälftigen Entziehung der Zulassung in Betracht. Soweit aber keine Praxis mehr existiere, könne auch eine Nachbesetzung nicht stattfinden, weil diese ansonsten lediglich der vom Gesetzgeber nicht gewollten Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes dienen würde. Anders als bei einer Zulassungsentziehung wegen Pflichtverletzungen könne bei einer Entziehung aufgrund Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit davon ausgegangen werden, dass mit Bestandskraft dieser Entscheidung keine fortführungsfähige Praxis mehr bestehe. Das sei bei einer vollständigen Zulassungsentziehung eindeutig. Bei einer Entziehung im Umfang eines halben Versorgungsauftrags bleibe eine halbe fortführungsfähige Praxis bestehen, die jedoch der verbleibenden halben Zulassung zugeordnet sei. Unerheblich sei, aus welchen Gründen der Kläger von einer Klage gegen die Zulassungsentziehung Abstand genommen habe.

Der Annahme, dass nach der Entziehung einer Zulassung im Umfang eines halben Versorgungsauftrags aufgrund Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit insoweit keine fortführungsfähige Praxis mehr bestehe, könne nicht entgegengehalten werden, dass damit die gesetzliche Regelung in § 103 Abs 3a Satz 2 SGB V leerlaufe. Diese Vorschrift, die ausdrücklich ein Nachbesetzungsverfahren auch nach hälftiger Zulassungsentziehung vorsehe, habe insbesondere den Fall im Blick, dass von Anfang an nur eine halbe Zulassung bestanden habe, die später wegen gröblicher Pflichtverletzungen entzogen werde. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber für den Fall der hälftigen Entziehung der Zulassung eine Nachbesetzung auch ohne vorhandenes Praxissubstrat habe eröffnen wollen. Diese Auslegung verletze nicht den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG; das Fehlen eines Praxissubstrats nach Zulassungsentziehung rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung.

Der Kläger hat gegen diese Entscheidung die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er rügt die "Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts", sinngemäß des § 103 Abs 3a Satz 2 Halbsatz 1 SGB V. Der Ausschreibung des halben entzogenen Vertragsarztsitzes stehe nicht entgegen, dass es an dem Substrat einer auszuschreibenden Praxis im Umfang eines halben Versorgungsauftrags fehle. Die dem zugrunde liegende Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R - BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 34) greife er ausdrücklich nicht an. In seinem Fall habe jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung noch eine fortführungsfähige Praxis (ungekündigter Mietvertrag, "personelle und materielle Voraussetzungen zum Betrieb der Praxis") zumindest im Umfang eines halben Versorgungsauftrags bestanden. Man dürfe ihm nicht entgegenhalten, dass sich diese Praxis auf die nicht entzogene Hälfte seiner vertragsärztlichen Zulassung beziehe, die er im Rahmen eines Verzichtsverfahrens gegen Anstellung einem MVZ übertragen habe. Es komme auch nicht darauf an, dass er - der Kläger - seine Praxis nach der Zulassungsentziehung nicht mehr betrieben habe, denn maßgeblicher Zeitpunkt sei nach der Rechtsprechung des Senats die Stellung des Antrags auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes. Entsprechende Wertungen im Urteil des Senats vom 11.12.2013 (B 6 KA 49/12 R) insbesondere zum Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes seien auf seinen Fall übertragbar, zumal auch er den Verfall des Praxissubstrats aufgrund der bestandskräftigen Zulassungsentziehung nicht habe verhindern können.

Die Aberkennung eines Ausschreibungsrechts ohne Abstellen auf Versorgungsgesichtspunkte verstoße auch gegen den ausdrücklichen Wortlaut des § 103 Abs 3a Satz 2 SGB V. Die Vorschrift habe keinen sinnvollen Anwendungsbereich mehr, wenn Fälle einer hälftigen Entziehung wegen Nichtausübung einer vollen vertragsärztlichen Tätigkeit ausgeschlossen würden. Soweit das SG in Anlehnung an den Beschluss des Senats vom 17.10.2012 (B 6 KA 19/12 B - juris RdNr 10) einen Anwendungsbereich annehme, sofern einem Vertragsarzt eine ohnehin nur vorhandene hälftige Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzungen entzogen werde, sei das mit dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzesbegründung nicht vereinbar: Die Entziehung einer "hälftigen Zulassung" und die "hälftige Entziehung" einer Zulassung seien nicht dasselbe. Die hälftige Entziehung einer Zulassung sei ganz überwiegend nur in Fällen denkbar, in denen einem Vertragsarzt eine halbe Zulassung wegen nicht mehr ausreichender Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit entzogen werde. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die Vorschrift in ihrem praktisch häufigsten Anwendungsbereich nicht einschlägig sein solle. Dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er eine sinn- und wirkungslose Regelung geschaffen habe.

Eine "entschädigungslose Aberkennung des Ausschreibungsrechts" führe zudem zu einer Verletzung des Art 3 Abs 1 GG. Der vom SG angeführte Grund für die Differenzierung könne nicht überzeugen. Er - der Kläger - habe sich von Beginn seiner Zulassung an darum bemüht, die Vertragsarztpraxis zum Laufen zu bringen. Es sei ihm jedoch aus Krankheitsgründen und wegen der Pflege naher Angehöriger nicht gelungen, seine Fallzahlen an den Fachgruppendurchschnitt...

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