Urteil Nr. B 6 KA 9/21 R des Bundessozialgericht, 2022-11-17

Judgment Date17 Noviembre 2022
ECLIDE:BSG:2022:171122UB6KA921R0
Judgement NumberB 6 KA 9/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revisionen der Beigeladenen wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. April 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die von der beklagten Schiedsstelle festgesetzte Höhe der Vergütung für Leistungen der von der Klägerin als Hochschulambulanz betriebenen Orthopädieambulanz in den Jahren 2018 und 2019.

Die Klägerin ist Trägerin eines Plankrankenhauses in A und betreibt dort seit 2006 auf der Basis von Kooperationsverträgen mit dem Freistaat Bayern vertreten durch die Universität R Ambulanzen auf den Gebieten der Orthopädie und Rheumatologie. Zuletzt hatten die Klägerin und die beigeladenen Krankenkassen bzw -verbände am 11.8.2017 eine Vergütungsvereinbarung "für die Hochschulambulanzen für Rheumatologie und Orthopädie" für das Jahr 2017 getroffen, die ua als Vergütung für die Untersuchung und Behandlung der Patienten eine einheitliche Fallpauschale von 84,50 Euro bei 15 500 Fällen kalenderjährlich vorsah und eine Protokollnotiz enthielt, dass eine eventuell notwendige Anpassung der Vergütungsvereinbarung aufgrund der von der Bundesschiedsstelle nach § 18a KHG am 9.12.2016 festgesetzten "Vereinbarung bundeseinheitlicher Grundsätze zur Vergütungsstruktur und Leistungsdokumentation der Hochschulambulanzen (Hochschulambulanz-Struktur-Vereinbarung - HSA-SV) gemäß § 120 Absatz 3 Satz 4 SGB V" für den folgenden Vereinbarungszeitraum vorbehalten bleibe.

Nach dem Scheitern der Vergütungsverhandlungen für die Jahre 2018 und 2019 beantragte die Klägerin bei der beklagten Schiedsstelle nach § 120 Abs 4 iVm Abs 2 SGB V die Festsetzung getrennter Fallpauschalen, und zwar für das Jahr 2018 eine Fallpauschale Orthopädie in Höhe von 160,89 Euro pro Behandlungsfall bei 12 500 Fällen im Jahr sowie eine Fallpauschale Rheumatologie in Höhe von 233,65 Euro pro Behandlungsfall bei 4000 Fällen im Jahr. Für das Jahr 2019 beantragte die Klägerin unter Vorlage von Kalkulationen hinsichtlich der zeitbezogenen Personalkosten sowie der Sachkosten die Festsetzung einer Fallpauschale Orthopädie in Höhe von 164,90 Euro pro Behandlungsfall bei 13 000 Fällen im Jahr sowie einer Fallpauschale Rheumatologie in Höhe von 240,09 Euro pro Behandlungsfall bei 4000 Fällen im Jahr.

Die Beigeladenen traten dem entgegen. Gründe für Kostenänderungen seien nicht dargelegt worden. Die geforderte Vergütung liege auch weit über der Vergütungshöhe, die für das Jahr 2018 für Hochschulambulanzen anderer mit Universitätskliniken kooperierender Krankenhäuser in Bayern auf dem Gebiet der Orthopädie vereinbart worden seien. Die Rheumatologie in dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus in A sei zudem keine Hochschulambulanz iS des § 117 Abs 1 Satz 1 SGB V.

Mit Beschluss vom 22.2.2019 (ausgefertigt am 8.3.2019) setzte die Beklagte die Fallpauschalen Orthopädie und Rheumatologie für das Jahr 2018 auf 87,01 Euro im Quartal (bei 12 488 Fällen Orthopädie und 3963 Fällen Rheumatologie) bzw für das Jahr 2019 auf 89,32 Euro im Quartal (bei 13 000 Fällen Orthopädie und 4000 Fällen Rheumatologie) fest. Der Klägerin stehe wegen der Bindung an den Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs 1 Satz 1 SGB V) die begehrte Vergütung für die Leistungen ihrer Hochschulambulanzen in den Jahren 2018 und 2019 nur in Gestalt einer Erhöhung der für 2017 vereinbarten Vergütung um den nach § 71 Abs 3 SGB V festgelegten Veränderungssatz (2,97 % 2018 bzw 2,65 % 2019) zu. Soweit an vorangegangene Vergütungen angeknüpft werde, könne es nur darum gehen, ob Veränderungen eingetreten seien, die eine Erhöhung der zuvor vereinbarten Vergütung über diesen Veränderungssatz hinaus rechtfertigten. Insofern sei die Klägerin jedoch ihrer primären Darlegungs- und Substantiierungslast nicht hinreichend nachgekommen.

Das LSG hat den Schiedsspruch vom 22.2.2019 (Bescheid vom 8.3.2019) betreffend die Fallpauschale Orthopädie aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, insoweit über den Antrag der Klägerin neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.4.2021). Die Erhöhung der Vergütung der Hochschulambulanz der Klägerin sei nicht auf den nach § 71 Abs 3 SGB V festgelegten Veränderungssatz beschränkt. Als Ausnahmefall zum Grundsatz der Beitragssatzstabilität komme auch eine signifikante Änderung der Sach- und Rechtslage in Betracht, wie sie hier durch die Erweiterung des gesetzlichen Auftrags für die Hochschulambulanzen und die Änderung der Vergütungsregelung durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 16.7.2015 (BGBl I 1211) eingetreten sei. Die bislang geltende Regelung, wonach für die Vergütung der Hochschulambulanzen eine Abstimmung mit Entgelten für vergleichbare Leistungen erfolge, sei gestrichen und klargestellt worden, dass die vereinbarte Vergütung die Leistungsfähigkeit der Hochschulambulanzen bei wirtschaftlicher Betriebsführung gewährleisten müsse. Die Änderungen seien durch die Vergütungsvereinbarung für das Jahr 2017 noch nicht erfasst worden, wie sich insbesondere aus der dort enthaltenen Protokollnotiz ergebe. Bei der weiteren Prüfung entsprechend dem vom BSG entwickelten zweistufigen Prüfungsschema zur Vergütungsbemessung hätte sich die Beklagte nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, dass die Klägerin bei der Vergütungsforderung ihrer primären Darlegungs- und Substantiierungslast auf der ersten Ebene nicht hinreichend nachgekommen sei. Die Ausführungen der Beigeladenen könnten nicht die fehlerhafte Auseinandersetzung der beklagten Schiedsstelle mit dem Vortrag der Klägerin ersetzen. Die Festsetzung der Vergütung für die Rheumatologie sei dagegen im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Rheumatologie der Klägerin erfülle schon nicht die Voraussetzungen einer Hochschulambulanz im Sinne von § 117 Abs 1 Satz 1 SGB V.

Die Beigeladenen rügen mit ihren Revisionen eine Verletzung von § 71 Abs 2 iVm § 120 Abs 2 und § 117 Abs 1 SGB V. Zu Unrecht habe das LSG der Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung eine Ausnahme vom Grundsatz der Beitragssatzstabilität zugrundegelegt. Es liege keiner der gesetzlich abschließend normierten Ausnahmetatbestände vor, deren Vorliegen auch bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage erforderlich sei. Der allein in Betracht kommende Ausnahmetatbestand, dass die notwendige medizinische Versorgung auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten sei (§ 71 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB V), sei auch nach der Einschätzung des LSG nicht erfüllt. Weder habe die insoweit darlegungspflichtige Klägerin dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorgetragen, noch lägen diese tatsächlich vor. Die Klägerin habe schon nicht dargelegt, wie sich die von ihr vorgetragene Änderung der Rechtslage durch das GKV-VSG im Einzelnen auf die Leistungsfähigkeit ihrer Hochschulambulanz ausgewirkt habe und dass die notwendige medizinische Versorgung ohne eine Vergütungserhöhung nicht zu gewährleisten sei.

Die Beigeladenen beantragen,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 21.4.2021 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend. Aufgrund der geänderten Sach- und Rechtslage liege eine Ausnahme vom Grundsatz der Beitragssatzstabilität vor. Denn der Gesetzgeber habe mit den vorgenommenen gesetzlichen Änderungen eine Verbesserung der Vergütung und zusätzliche Finanzmitteln für die Hochschulambulanzen sicherstellen wollen. Nach der Protokollnotiz zu der Vergütungsvereinbarung für 2017 hätten die finanziellen Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen erst ab dem Vereinbarungsjahr 2018 umgesetzt werden sollen. Diese Vorgehensweise habe der Vertragspraxis in Bayern entsprochen.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Sie hält in Übereinstimmung mit den Beigeladenen das LSG-Urteil, soweit es angefochten wurde, für rechtsfehlerhaft.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Beigeladenen haben im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob das LSG den Schiedsspruch zu Recht teilweise aufgehoben und die beklagte Schiedsstelle zur Neubescheidung im Hinblick auf die Fallpauschalen im Bereich der Orthopädie verpflichtet hat. Der von der Klägerin geltend gemachte Vergütungsanspruch setzt voraus, dass es sich bei der von ihr betriebenen Ambulanz für Orthopädie um eine Hochschulambulanz iS des § 117 Abs 1 Satz 1 SGB V handelt. Die hierfür erforderlichen Feststellungen hat das LSG nicht getroffen.

A. 1. Zur Entscheidung des Rechtsstreits ist der für das Vertragsarztrecht zuständige 6. Senat des BSG gemäß § 40 Satz 2 SGG iVm § 10 Abs 2 SGG berufen. Bei Streitigkeiten über eine Entscheidung der Schiedsstelle gemäß § 120 Abs 4 SGB V handelt es sich um Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (§ 10 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG; vgl im Einzelnen BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 20/14 R - BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 16).

2. Die Revisionen der Beigeladenen sind zulässig. Sie sind alleinige Revisionsführer und zur Einlegung der Revision rechtsmittelbefugt. Für die Rechtsmittelbefugnis der Beigeladenen bedarf es auch im Revisionsverfahren (vgl § 165 iVm §§ 143 ff SGG) stets einer materiellen Beschwer durch das angegriffene Urteil im Sinne einer möglichen Verletzung in eigenen subjektiven Rechten (vgl zB BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 19 mwN; BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 20; BSG Urteil vom 15.12.2021 - B 3 P 4/19 R - KrV 2022, 80 = juris RdNr 17; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, Vor § 143 RdNr 8 mwN). Diese ergibt sich hier bereits daraus, dass die Beigeladenen Verhandlungspartner der streitigen Vergütungsvereinbarung sind. Die formelle Beschwer folgt aus der Erfolglosigkeit ihres Klageabweisungsantrags...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT