Urteil Nr. B 6 KA 22/22 R des Bundessozialgericht, 2023-07-19

Judgment Date19 Julio 2023
ECLIDE:BSG:2023:190723UB6KA2222R0
Judgement NumberB 6 KA 22/22 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juni 2021 und des Sozialgerichts Hamburg vom 26. September 2018 werden geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger insoweit neu zu bescheiden, als der Berechnung seines Honorars ein individuelles Leistungsbudget in Höhe des arztgruppendurchschnittlichen individuellen Leistungsbudgets für seinen Angestellten D zu Grunde gelegt wird.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Kläger trägt zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel der Kosten in allen Rechtszügen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars des Klägers für das Quartal 1/2014.

Der Kläger ist seit dem 1.1.2006 im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) als Facharzt für Radiologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bis Ende des Jahres 2013 war er in einer radiologischen Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) mit Standort in Hamburg tätig. Nach seinem Austritt aus der BAG war der Kläger in einer Einzelpraxis mit einem Angestellten an einem mehrere Kilometer vom Standort der vormaligen BAG entfernten Praxissitz mit zwei Versorgungsaufträgen tätig. Der bei ihm angestellte Arzt für Radiologie D war zuvor nicht in der vertragsärztlichen Versorgung tätig.

Mit Honorarbescheid vom 21.8.2014 setzte die Beklagte das Honorar für die Arztpraxis des Klägers mit seinem Angestellten D auf 169 713,34 Euro fest. Der Berechnung des Honorars lag ein individuelles Leistungsbudget (ILB) für "übrige Leistungen der Radiologen" in Höhe von 145 611,47 Euro zugrunde. Das durchschnittliche ILB der Arztgruppe lag im Quartal 1/2014 bei 111 421,95 Euro je Arzt und damit bei 222 843,90 Euro für eine Praxis, die wie die des Klägers zwei volle Versorgungsaufträge zu erfüllen hat. Die angeforderte Vergütung des Klägers für die im Bereich seines ILB erbrachten Leistungen betrug 256 157,95 Euro. Die innerhalb des Budgets erbrachten Leistungen wurden mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung, die darüber hinausgehenden Leistungen quotiert vergütet.

Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 20.11.2014) und Klage (Urteil des SG vom 26.9.2018), mit denen der Kläger geltend gemacht hat, dass sein ILB zu niedrig bemessen worden sei, blieben ohne Erfolg. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2.6.2021) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die besonderen Wachstumsmöglichkeiten von Anfängerpraxen in der Aufbauphase seien in § 17 des Honorarverteilungsmaßstabs der Beklagten (im Folgenden: VM) geregelt. Nach § 17 Abs 1 Satz 1 VM erhielten neu zugelassene Ärzte, die in Einzelpraxis tätig seien, innerhalb einer Anfangsphase von zwölf Quartalen nach erstmaliger Praxisaufnahme ein ILB in Höhe des arztgruppendurchschnittlichen Leistungsbudgets unter Berücksichtigung ihres Versorgungsumfanges im Abrechnungsquartal. Der bereits seit 2006 im Bezirk der Beklagten tätige Kläger sei kein neu zugelassener Arzt in diesem Sinne. Zwar könnten auch Gründungsmitglieder einer BAG oder eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ), die sich noch in der Anfangsphase von zwölf Quartalen nach erstmaliger Praxisaufnahme befinden, ein arztgruppendurchschnittliches Leistungsbudget erhalten. Der Kläger sei im streitgegenständlichen Quartal jedoch weder Gründungsmitglied einer BAG noch eines MVZ gewesen, sondern in Einzelpraxis mit einem angestellten Arzt tätig gewesen. Dementsprechend erfülle auch der angestellte Arzt die genannten Voraussetzungen nicht.

Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, in ihrem VM eine Regelung zu Praxisneugründungen zu treffen, die Konstellationen wie die des Klägers einbeziehe. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG müsse die Regelung zu den besonderen Wachstumsmöglichkeiten von Anfängerpraxen nicht auf Ärzte erstreckt werden, die wie der Kläger bereits langjährig in demselben Planungsbereich zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen gewesen seien. Die Verlegung des Tätigkeitsorts des Klägers innerhalb desselben Planungsbereichs führe nicht dazu, dass die Praxis als Aufbaupraxis zu behandeln sei. Daran ändere auch die Anstellung des D nichts. Entsprechendes habe das BSG bereits für den Neueintritt eines Partners in eine BAG entschieden. Eine BAG könne sich durch die Neuaufnahme eines Partners nicht verjüngen. Die gleichen Grundsätze müssten erst recht für die Anstellung eines neuen Arztes gelten. Dieser trage schon nicht das gleiche unternehmerische Risiko wie ein neu zugelassener Arzt, der im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit auf Wachstumsmöglichkeiten durch die Gewinnung weiterer Patienten angewiesen sei. Der Fall des Klägers sei auch nicht dem einer Neugründung eines MVZ und der Anstellung eines Arztes in diesem MVZ vergleichbar, weil das neu gegründete MVZ selbst eine Zulassung erhalte, während der Kläger seine Zulassung nach dem Wechsel aus der BAG in die Einzelpraxis mit neuem Standort unverändert behalten habe.

Auch die in § 8 Abs 7 und § 23 VM getroffenen Regelungen für die Bildung und Fortschreibung von Unterkontingenten speziell für Radiologen seien nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung sei es zulässig, in Honorarverteilungsmaßstäben nicht nur gesonderte Honorartöpfe für die verschiedenen Fachgruppen, sondern auch Unterkontingente nach Leistungsbereichen innerhalb einer Gruppe zu bilden, wenn es dafür - wie hier - sachliche Gründe gebe. Die Beklagte habe die Einführung von Unterkontingenten damit begründet, dass sie Verwerfungen durch die Veränderungen nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA) zu den CTComputertomographie-gesteuerten Interventionen nicht auf die gesamte Gruppe der Radiologen habe durchschlagen lassen wollen, weil ein Großteil der Radiologen überhaupt keine derartigen Interventionsleistungen erbringe. Wenn der Anteil der Gesamtvergütung für die bis zum Quartal 1/2013 sehr oft erbrachten CTComputertomographie-gesteuerten Interventionen in das Gesamtkontingent aller Radiologen eingeflossen wären, hätte das zu unsachgemäßen Honorarvorteilen bei denjenigen geführt, die in der Vergangenheit nicht dazu beigetragen hätten, diese Vergütungsanteile zu erzielen. Insbesondere im Hinblick auf die in der Vergangenheit relativ großen Honoraranteile für CTComputertomographie-gesteuerte Interventionen habe die Beklagte gewährleisten wollen, dass die aufgrund der EBMEinheitlicher Bewertungsmaßstab-Änderungen eintretenden Effekte sich allein auf die Gruppe der betreffenden Leistungserbringer beschränkten. Die Bildung von Teilbudgets löse allerdings eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der Beklagten dahin aus, dass sie die Verteilungsregelungen, mit denen sie in Verfolgung bestimmter Ziele vom Grundsatz der gleichmäßigen Honorarverteilung abweiche, regelmäßig zu überprüfen habe. Da die Neuregelung erst mit dem Quartal 4/2013 eingeführt wurde, könne noch keine Verletzung der Beobachtungs- und Reaktionspflicht vorgelegen haben. Die Einführung von Unterkontingenten verstoße nicht gegen die Grundsätze der leistungsproportionalen Vergütung und der Honorarverteilungsgerechtigkeit und diese stehen auch im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben aus § 87b SGB V, insbesondere bezogen auf das Erfordernis, dem Leistungserbringer Kalkulationssicherheit hinsichtlich der Höhe seines zu erwartenden Honorars zu vermitteln.

Auch die in § 23 Abs 5 VM getroffene Regelung widerspreche nicht dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Begünstigend weise die Vorschrift die nicht abgeforderten Leistungen dem Unterkontingent für alle anderen Leistungen zu. Es habe dem Kläger freigestanden, weiterhin Leistungen der CTComputertomographie-gesteuerten Intervention zu erbringen und sich entsprechend unternehmerisch zu positionieren.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, zu deren Begründung er vorträgt: Die Entscheidung des LSG verstoße gegen § 87b SGB V iVm dem aus Art 12 Abs 1, Art 3 Abs 1 GG folgenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit und der leistungsproportionalen Vergütung. Es handele sich nicht nur bei § 87b SGB V sowie Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG um revisibles Recht, sondern auch bei § 17 VM, weil in den Bezirken anderer LSGs inhaltsgleiche Vorschriften gelten würden.

Er habe im Quartal 1/2014 eine neu gegründete unterdurchschnittlich abrechnende Praxis in der Aufbauphase geführt. Diese habe sich in erheblicher Entfernung zum Standort seiner früheren BAG befunden. Er habe einen neuen Patientenstamm aufgebaut und sich neu am Markt sowie im Wettbewerb zu den übrigen Leistungserbringern positionieren müssen. Das BSG habe seine zu Honoraransprüchen von Einzelpraxen entwickelte Rechtsprechung zunächst für BAG und dann für MVZ weiterentwickelt und klargestellt, dass einem MVZ für seine angestellten Ärzte ein Wachstumsanspruch zustehen könne, solange sich sowohl das MVZ als auch der Angestellte noch in der Aufbauphase befinde. Dieser Grundsatz sei auf Einzelpraxen mit Angestellten zu übertragen.

Entgegen der Auffassung des LSG verstießen die im Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten getroffenen Regelungen zur Bildung von Unterkontingenten für radiologische Leistungen gegen die Vorgaben des § 87b SGB V iVm den aus Art 12 Abs 1, Art 3 Abs 1 GG folgenden Grundsätzen der Honorarverteilungsgerechtigkeit und der leistungsproportionalen Vergütung. § 23 Abs 5 Satz 3 VM habe dazu geführt, dass Ärzte, die CTComputertomographie-gesteuerte Interventionen aufgrund der Anpassung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) anders als im Vorjahresquartal nicht mehr erbringen konnten, Honorarnachteile hinzunehmen hätten, während solche Radiologen, die in dem für die Bildung des Unterkontingents maßgeblichen Vorjahresquartal keine CTComputertomographie-gesteuerten Interventionen erbracht haben, von den Unterkontingenten ausschließlich profitiert hätten. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass es Ärzten wie ihm...

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