Urteil Nr. B 7 AS 3/22 R des Bundessozialgericht, 2023-06-21

Judgment Date21 Junio 2023
ECLIDE:BSG:2023:210623UB7AS322R0
Judgement NumberB 7 AS 3/22 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. August 2021 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Umstritten ist, ob der volljährig gewordene Kläger einer Erstattungsforderung des beklagten Jobcenters nicht mehr ausgesetzt ist.

Der am 30.12.1998 geborene Kläger bezog gemeinsam mit seinem Vater Alg II, das der Vater für beide beantragt hatte. Er erhielt außerdem Ausbildungsvergütung ua im November 2016 und dann wieder im Januar 2017 für Dezember 2016. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte ihm Insolvenzgeld, nachdem über das Vermögen des Ausbildungsbetriebs ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die Auszahlung für Januar 2017 iHv 451,87 Euro erfolgte am 15.12.2016 auf das Girokonto des Klägers, bei dem es sich nicht um ein Pfändungsschutzkonto handelte. Das Guthaben am 30.12.2016 betrug noch 48,78 Euro.

Der Beklagte setzte das Alg II für November 2015 abschließend fest und forderte die Erstattung von 22,57 Euro (Bescheide vom 23.3.2016). Nach Vollendung des 18. Lebensjahrs berief sich der Kläger im Widerspruchsverfahren gegen den Erstattungsbescheid auf § 1629a BGB. Er verfüge über kein Vermögen. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.11.2017).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28.11.2019). § 1629a BGB greife nicht. Das Vermögen des Klägers habe die Forderung des Beklagten überschritten. Die Pfändungsfreibeträge für Einkommen seien nicht zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht des Klägers lägen die Voraussetzungen des § 811 Abs 1 Nr 2 und Nr 8 ZPO (unpfändbare Sachen) nicht vor. Das LSG hat die Berufung zugelassen, diese zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 24.8.2021). Soweit sich der Kläger auf Pfändungsschutz berufe, könne der genaue Wert der persönlichen Gegenstände des Klägers offenbleiben. Schon das Kontoguthaben reiche aus, um die Forderung aus dem Bescheid vom 23.3.2016 zu begleichen. Der Berücksichtigung des Guthabens auf dem Girokonto stehe auch sonst nichts entgegen. § 1629a BGB stelle ausdrücklich auf den Bestand des Vermögens bei Eintritt der Volljährigkeit ab. Es spiele keine Rolle, woher das Vermögen stamme. Nicht zu beanstanden sei, wenn Einkommen des Klägers, das er kurz vor Eintritt in die Volljährigkeit erhalten habe, bei der Ermittlung des Vermögens berücksichtigt werde. Der Kläger gehe nicht mit Schulden in die Volljährigkeit, worauf es bei der Beschränkung der Haftung nach § 1629a BGB ankomme.

Der Kläger rügt die Verletzung von § 1629a BGB. In der Vorschrift gehe es um Vermögen und nicht um Einkommen. Im SGB II werde streng zwischen Einkommen und Vermögen getrennt. Zur Verfahrensvereinfachung gelte dies auch bei Erstattungsforderungen und der Einrede nach § 1629a BGB. Sein Resteinkommen aus Dezember 2016 sei deswegen kein Vermögen.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. August 2021 und des Sozialgerichts Altenburg vom 28. November 2019 sowie den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 23. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Erstattungsforderung des Beklagten auch unter Beachtung der Grundsätze der Beschränkung der Minderjährigenhaftung rechtmäßig geblieben ist und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Urteilen der Bescheid des Beklagten vom 23.3.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.11.2017. Hierin hat der Beklagte eine Erstattungsforderung von 22,57 Euro für November 2015 festgesetzt. In der Sache geht es darum, ob bezüglich der Erstattungsforderung die Beschränkung der Haftung gemäß § 1629a BGB zu Gunsten des volljährig gewordenen Klägers greift.

2. Der Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Hinsichtlich der vom Kläger allein begehrten Beseitigung des Erstattungsverwaltungsakts ist die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG) statthafte Klageart. Die Berufung des Klägers war im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstands statthaft, weil sie vom LSG zugelassen worden ist (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 145 Abs 5 SGG).

3. Rechtsgrundlage des Erstattungsverwaltungsakts ist § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 328 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III (idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854; zum anwendbaren Recht BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 34/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 5 RdNr 10). Nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II ist die Vorschrift des § 328 SGB III betreffend die vorläufige Entscheidung entsprechend anwendbar. Gemäß § 328 Abs 3 Satz 1, Satz 2 Halbsatz 1 SGB III sind auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten.

4. Der Beklagte hat sein Erstattungsbegehren mit formell rechtmäßigem Verwaltungsakt verfügt (dazu 5.). Der Erstattungsbescheid ist materiell rechtmäßig. Insbesondere kann der Beklagte die Erstattung trotz der vom Kläger nach Erreichen der Volljährigkeit während des Widerspruchsverfahrens erhobenen Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung verlangen (dazu 6.). Die durch den Gesetzgeber für das SGB II ab dem 1.1.2023 gewollte weitergehende betragsmäßige Beschränkung der Haftung für volljährig gewordene Personen greift für den Kläger nicht (dazu 7.).

5. Der formellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung steht nicht entgegen, dass der Kläger zu den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsbescheids bei abschließender Entscheidung vor dessen Erlass am 23.3.2016 nicht gemäß § 24 Abs 1 SGB X angehört worden wäre. Diese Anhörung ist jedenfalls im Widerspruchsverfahren nachgeholt und damit ein etwaiger Anhörungsfehler geheilt worden (§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X).

6. Der Erstattungsbescheid beruht...

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