Urteil Nr. B 8 SO 8/23 R des Bundessozialgericht, 2024-12-18
| Judgment Date | 18 December 2024 |
| ECLI | DE:BSG:2024:181224UB8SO823R0 |
| Judgement Number | B 8 SO 8/23 R |
| Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 2023 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Im Streit ist die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) im Zeitraum vom 1.1.2019 bis 30.11.2020.
Der 1949 geborene Kläger, bei dem der Pflegegrad 2, ein GdB von 100 sowie das Merkzeichen G festgestellt sind, bezieht eine Altersrente (Zahlbetrag im Januar 2019 rund 818 Euro monatlich, ab Juli 2019 rund 855 Euro monatlich, ab Juli 2020 rund 884 Euro monatlich). Er bezog seit 1.8.2009 Grundsicherungsleistungen von der Beklagten, zuletzt bewilligt bis 31.12.2018.
Während des Leistungsbezugs schloss der Kläger eine Sterbegeldversicherung ab (Versicherungsbeginn 1.2.2017, Tarif "Sterbegeld plus: klassische Sterbegeldversicherung mit Erbrechtsberatung" und Unfalltod-Zusatzversicherung, mit einer Versicherungssumme in Höhe von 5 000 Euro, monatliche Beitragshöhe rund 38 Euro). Nach der Eheschließung lebt er seit Dezember 2018 mit seiner Ehefrau, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bezieht, in einer gemeinsamen Wohnung. Die Kaltmiete betrug im Monat Januar 2019 monatlich 405 Euro, ab 1.2.2019 nach Mieterhöhung durch den Vermieter monatlich 494,50 Euro, hinzu kamen monatliche Vorauszahlungen für kalte Betriebskosten und Heizung (je 70 Euro) sowie Kosten für Kabelfernsehen (18,90 Euro) und Kosten für einen Heizlüfter. Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Grundsicherungsleistungen ab Januar 2019 ab (Bescheid vom 26.2.2020; Widerspruchsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 24.9.2020). Das zu berücksichtigende Renteneinkommen decke den Bedarf des Klägers, denn neben dem geringeren Regelbedarf hätten sich auch seine Unterkunftsbedarfe nach der Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft halbiert. Dabei berücksichtigte die Beklagte die anfallenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Ausgangspunkt in voller Höhe und beim Kläger kopfteilig zur Hälfte, schätzte unter Einschaltung eines Energieberaters den zusätzlich geltend gemachten Bedarf für Heizstrom auf 15,66 Euro monatlich (anteilig 7,83 Euro; den auch das Jobcenter als Bedarf der Ehefrau berücksichtigte) und zog vom Renteneinkommen monatlich 4,96 Euro Beiträge für eine Privathaftpflichtversicherung, aber nicht die Beiträge für die Sterbegeldversicherung ab.
Die Klage, mit der der Kläger folgende monatlich anfallende Bedarfe geltend gemacht hat: Beiträge für die Sterbegeldversicherung in Höhe von rund 38 Euro, erhöhter Haushaltsstromverbrauch in Höhe von 20 Euro (Licht, Computer, Fernseher, wegen eines gestörten Tag-/Nacht-Rhythmus sei er nachts wach), Aufwendungsersatz für seinen Einkaufshelfer in Höhe von 70 Euro, Weitergewährung eines Essenskostenzuschusses in Höhe von 120 Euro, angemessene Beiträge zur Alterssicherung seiner Ehefrau als Pflegeperson und die Absetzung von Unterhaltszahlungen seiner Ehefrau an deren Eltern in Höhe von 200 Euro, hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts <SG> Nürnberg vom 12.5.2022; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts <LSG> vom 12.6.2023). Zur Begründung hat das LSGua ausgeführt, der Kläger sei nicht bedürftig, da er mit seinem monatlichen Einkommen seinen Bedarf decken könne. Die Beklagte habe in nicht zu beanstandender Weise dem monatlichen Gesamtbedarf des Klägers das zutreffend bereinigte monatliche Einkommen gegenübergestellt. Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung seien nicht zu berücksichtigen. Die Versicherung sei schon deshalb dem Grunde und der Höhe nach nicht angemessen, weil auch Leistungen für eine Erbrechtsberatung enthalten seien. Mangels entsprechender Aufteilung im Versicherungsvertrag komme auch eine anteilige Absetzung vom Einkommen nicht in Betracht. Ein Anspruch auf einen Essenskostenzuschuss insbesondere für Gaststättenbesuche bestehe nicht, dieser Bedarf sei in der Regelleistung abgebildet. Die Sicherstellung einer angemessenen Altersvorsorge seiner Ehefrau stelle keinen Bedarf dar, der im Rahmen der laufenden Grundsicherung des Klägers in Ansatz zu bringen wäre. Auch bei den Unterstützungsleistungen an die Eltern der Ehefrau des Klägers handle es sich um keinen Bedarf des Klägers, da er selbst keinem Unterhaltsanspruch der Eltern der Ehefrau ausgesetzt sei. Eine Absetzung solcher Zahlungen vom Einkommen des Klägers sei in § 82 Abs 2 Satz 1 SGB XII nicht vorgesehen.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 82 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB XII. Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung seien vom Einkommen abzusetzen. Der von der Beklagten zusätzlich berücksichtigte Heizstrombedarf sei zu niedrig geschätzt. Vom Einkommen seien außerdem Beiträge zur Altersvorsorge der Ehefrau als Pflegeperson sowie Unterhaltsleistungen an die Eltern der Ehefrau in Höhe von monatlich rund 200 Euro in Abzug zu bringen. Er habe weiterhin Anspruch auf einen Mehrbedarf für "Essen auf Rädern" und einen Zuschuss für Gaststättenbesuche in Höhe von jeweils 60 Euro. Außerdem stehe ihm ein Mehrbedarf für die Unterstützung durch einen Helfer zu, da er auf Hilfe für Einkäufe angewiesen sei.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 2023 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 12. Mai 2022 sowie den Bescheid vom 26. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Januar 2019 bis 30. November 2020 Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Es fehlen für eine abschließende Entscheidung ausreichende tatsächliche Feststellungen des LSG zur abgeschlossenen Sterbegeldversicherung, um beurteilen zu können, ob und ggf für welchen Zeitraum ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht.
Das angefochtene Urteil leidet nicht an dem Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) bei einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs 3 und 4 SGG; sog konsentierter Einzelrichter) stellt zwar nach ständiger Rechtsprechung des BSG regelmäßig eine Verletzung des Rechts auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz <GG>) dar. Denn die Entscheidung von Rechtssachen, denen das LSG grundsätzliche Bedeutung beimisst, ist grundsätzlich dem LSG-Senat in seiner vollen Besetzung einschließlich der ehrenamtlichen Richter vorbehalten (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG in der Fassung <idF> des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011, BGBl I 2302; vgl zum Ganzen BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7; BSG vom 1.6.2022 - B 3 KS 1/21 R - RdNr 9 ff; BSG vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R - RdNr 8 ff). Vorliegend liegt aber ein in der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall vor, der die Entscheidung allein durch den Berichterstatter als Einzelrichter rechtfertigt, denn die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter in Kenntnis der beabsichtigten Zulassung der Revision im Hinblick auf die bereits beim BSG anhängigen Verfahren erklärt (vgl zu den anerkannten Ausnahmefällen BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7 f; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - RdNr 17; BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - UV-Recht Aktuell 2019, 156 - RdNr 18, jeweils mwN).
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) gegen den Bescheid vom 26.2.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.9.2020 (§ 95 SGG) zulässig. Eine Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach § 116 Abs 2 SGB XII war vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht erforderlich (Art 90 des Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze <AGSG> vom 8.12.2006, GVBl S 942). Der Kläger macht im vorliegenden Verfahren nur noch Grundsicherungsleistungen geltend und hat den streitigen Zeitraum ab 1.1.2019 begrenzt bis zum 30.11.2020. Ansprüche auf Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII gegen den Bezirk Mittelfranken, über die die Beklagte im angefochtenen Bescheid entschieden hat (wohl ohne sachlich für solche Leistungen zuständig zu sein), hat er schon im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht. Nach § 70 Nr 1 SGG war die Klage mangels landesrechtlicher Regelung iS des § 70 Nr 3 SGG (Behördenprinzip) gegen die Beklagte zu richten.
Über eine einfache Beiladung der Ehefrau des Klägers (§ 75 Abs 1 SGG), die ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens hat, weil das Jobcenter bei ihr einen verbleibenden Einkommensüberhang der Altersrente des Klägers als anrechenbares Einkommen berücksichtigt hat und sich der anzurechnende Betrag ggf ändert oder wegfällt, war vom Senat nicht zu befinden, da diese im Ermessen des LSG steht und eine Unterlassung keinen Verfahrensmangel begründet (vglBSG vom 28.11.2018 - B 4 AS 46/17 R - SozR 4-4200 § 5 Nr 5 RdNr 12 mwN).
Ob der angefochtene Bescheid formell rechtmäßig ergangen ist, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des LSG zur sachlichen Zuständigkeit nicht entscheiden. Für die Gewährung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist in Bayern entweder die Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich (und örtlich) zuständig (§ 46b Abs 1 SGB XIIiVmArt 81 Abs 1 Satz 1 AGSG; § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XIIiVmA...
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