Urteil Nr. B 8 SO 7/17 R des Bundessozialgericht, 2018-12-06

Judgment Date06 Diciembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:061218UB8SO717R0
Judgement NumberB 8 SO 7/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Sozialhilfe - Eingliederungshilfe - Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung - Integrationshelfer zur Teilnahme an der Offenen Ganztagsschule - Abgrenzung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
Leitsätze

Auch ein außerunterrichtliches schulisches Nachmittagsangebot in Form der Offenen Ganztagsschule (OGS) kann je nach seiner konkreten Ausgestaltung eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung darstellen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Kostenübernahme bzw Erstattung für die Inanspruchnahme eines Integrationshelfers während der Teilnahme an Angeboten der offenen Ganztagsschule (OGS) der E. schule in B. im Schuljahr 2013/2014.

Bei dem 2006 mit dem sog Down-Syndrom geborenen Kläger liegen Folgeerkrankungen (insbesondere Sprachentwicklungsstörung und Schallleitungsstörung beidseits) vor, es sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die Merkzeichen "G" und "H" festgestellt. Er ist im streitigen Zeitraum der Pflegestufe II nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) zugeordnet gewesen. Das Schulamt der Beklagten stellte einen sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem vorrangigen Schwerpunkt geistige Entwicklung und dem weiteren Schwerpunkt Sprache fest, verfügte, dass der Kläger ab Schuljahresbeginn 2013/2014 vorrangig eine allgemeine Schule mit gemeinsamen Unterricht oder - sollte die Aufnahme in eine allgemeine Schule scheitern - eine Förderschule besucht und empfahl die Anmeldung in der E. schule, die den Kläger entsprechend seinen Förderschwerpunkten sonderpädagogisch fördern könne (Bescheid vom 2.5.2013).

Seit September 2013 nahm der Kläger in der E. schule in B. am regulären Schulunterricht am Vormittag und an der OGS am Nachmittag teil. Auf den vor der Einschulung gestellten Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer für die gesamte Anwesenheitszeit in der Schule und die Bewältigung des Schulwegs ab dem Schuljahr 2013/2014 bewilligte die Beklagte die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer im Umfang von 23 Stunden pro Woche während des vormittäglichen Schulbesuchs im Schuljahr 2013/2014 und lehnte hinsichtlich der OGS und des Schulwegs die Übernahme von Kosten ab (Bescheid vom 12.7.2013, Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 2.10.2013). Auf den Hinweis der Beklagten, dass sich bei Teilnahme an der OGS Zeiten ergäben, die nicht über den Bedarf für den Integrationshelfer abgedeckt werden könnten, jedoch einkommens- und vermögensabhängige Leistungen des familienunterstützenden Dienstes als Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Frage kämen, teilte der Kläger mit, diese Leistungen nicht beantragen zu wollen.

Während das Sozialgericht (SG) Detmold, ausgehend von einer ganzheitlichen Betrachtung, die Beklagte verurteilt hat, die Kosten des Integrationshelfers auch für die OGS zu übernehmen, nicht aber für die Begleitung auf dem Schulweg (Urteil vom 23.9.2014), hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen (Urteil vom 24.8.2016). Die Teilnahme des Klägers an der OGS sei weder erforderlich noch geeignet zur Erlangung einer allgemeinen Schulbildung. Da die OGS nur ein schulisches Angebot darstelle, welches freiwillig wahrgenommen werden könne, sei im Grundsatz davon auszugehen, dass das für den Schulbesuch maßgebliche Bildungsziel auch ohne Teilnahme an der OGS erreicht werden könne. Die ganzheitliche Betrachtung des SG lasse jede Einzelfallbetrachtung vermissen. Die OGS habe primär Betreuungscharakter. Die pädagogische Unterstützung stehe nicht im Vordergrund, zumal das Angebot auf die Kinder beschränkt sei, die an der OGS teilnähmen. Dass sie grundsätzlich für alle Kinder pädagogisch sinnvoll und gerade für den Kläger vor dem Hintergrund einer umfassenden Integration sicherlich auch wünschenswert sei, genüge nicht, um die zu prüfenden Merkmale der Erforderlichkeit und Geeignetheit zur Erlangung einer allgemeinen Schulbildung bei der Inanspruchnahme eines Integrationshelfers zu erfüllen. Hinsichtlich des Schulwegs könnte der vorhandene Fahrdienst in Anspruch genommen werden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 2, § 53 Abs 1 und § 54 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Nur eine inklusive Betrachtung der Grundschule werde dem Gesetzeszweck gerecht. Ein derartiges Förderverständnis verbiete eine Differenzierung zwischen pädagogischen und unterrichtsflankierenden Angeboten. Die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung umfassten auch sonstige Maßnahmen, wenn diese geeignet und erforderlich seien, dem behinderten Kind den Schulbesuch zu ermöglichen und zu erleichtern, was die Inanspruchnahme eines Integrationshelfers für den Besuch der OGS leiste. Den Anspruch auf Kostenübernahme für einen Integrationshelfer für den Schulweg hat der Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 2016 abzuändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. September 2014 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht beurteilen, ob der geltend gemachte Anspruch besteht.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 12.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.10.2013 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme von Kosten eines Integrationshelfers als Hilfe zur angemessenen Schulbildung während des Besuchs der OGS abgelehnt hat. In zeitlicher Hinsicht haben die Beteiligten den Streitgegenstand auf das erste "Schuljahr 2013/2014" des Klägers begrenzt. Nicht im Streit sind einkommens- und vermögensabhängige Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (familienunterstützender Dienst).

Der Senat kann schon nicht beurteilen, welches vorliegend die richtige Klageart ist, weil das LSG, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat. Das Begehren des Klägers ist mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) auf Verurteilung der Beklagten zum Schuldbeitritt (ggf verbunden mit einer Leistungsklage auf Zahlung an den Beigeladenen, vgl dazu nur BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, RdNr 11 f, 24 ff) oder im Fall der Selbstbeschaffung mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG, vgl BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 9) zu verfolgen.

Ob die Beklagte in der Sache als örtlicher Träger der Sozialhilfe endgültig sachlich (§ 97 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 SGB XII und § 1 Abs 1 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen SGB XII NRW> vom 16.12.2004 GVBl NRW - 816 idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des AG-SGB XII NRW vom 5.3.2013 <GVBl NRW 130>) und örtlich zuständig (§ 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII) ist, oder ob ggf der Landschaftsverband Westfalen-Lippe als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 1 Abs 1 AG-SGB XII NRW iVm § 2 Abs 1 der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW SGB XII NRW> vom 16.12.2004 <GVBl NRW 816>) eigentlich zuständiger Sozialhilfeträger und...

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