Urteil Nr. B 8 SO 20/18 R des Bundessozialgericht, 2019-09-05
Judgment Date | 05 September 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:050919UB8SO2018R0 |
Judgement Number | B 8 SO 20/18 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Das vom Sozialhilfeträger antragsgemäß eingeleitete Verwaltungsverfahren ist beendet, wenn der Antrag auf Sozialhilfe trotz fortbestehender Notlage zurückgenommen wird, ohne dass der Sozialhilfeträger ermitteln muss, ob der zur Kenntnis gebrachte Bedarf weiterhin besteht.
TenorAuf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Im Streit ist (noch) die Zahlung von 17 305,70 Euro für die stationäre Pflege des L, welche die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs 6 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) geltend macht.
Die Klägerin betreibt ein Pflege- und Betreuungszentrum und erbrachte L ab 15.12.2010 bis zu seinem Tod am 20.10.2011 stationäre Pflegeleistungen. Der mit L geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag sah eine Fälligkeit des monatlichen Heimentgelts innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungsstellung vor. Die Tochter und die Ehefrau des L beantragten beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung (Anträge vom 28.4.2011 bzw 4.5.2011), nachdem das Heimentgelt für die Monate Januar bis April 2011 abgerechnet worden war (Rechnung vom 20.4.2011). Mit Schreiben vom 17.5.2011 teilte die Ehefrau des L mit, dass sie den "von ihr gestellten Sozialantrag vom 4.5.2011" zurückziehe. Das von der Klägerin für den Heimplatz von L nach dem Gesetz zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (Landespflegegesetz NRW
Während das Sozialgericht (SG) Köln die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 13.5.2016), hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen den Beklagten unter Abänderung des Urteils des SG verurteilt, an die Klägerin 17 305,70 Euro zu zahlen und die Berufung im Übrigen - in Höhe eines Eigenanteils des L - zurückgewiesen (Urteil vom 15.3.2018). Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme offener Heimkosten aus übergegangenem Recht nach § 19 Abs 6 SGB XII. Der Beklagte habe am 28.4.2011 vom Hilfebedarf Kenntnis erlangt. Weder habe die von der Ehefrau des Leistungsberechtigten erklärte Rücknahme des Antrags auf Sozialhilfe zu einem Entfallen der Kenntnis geführt, noch liege ein Verzicht auf Sozialhilfeleistungen vor.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 18 Abs 1 SGB XII. Sozialhilfe setze erst dann ein, wenn der Sozialhilfeträger positive Kenntnis vom Vorliegen der sozialhilferechtlichen Voraussetzungen erlangt habe. Dabei sei auf den Bedarf und nicht auf die zivilrechtliche Fälligkeit des Anspruchs abzustellen. Schon aus diesem Grund komme eine rückwirkende Bewilligung für die Zeit bis 27.4.2011 nicht in Betracht. Außerdem sei der Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe wirksam zurückgenommen worden. Nach einem Verzicht setze die Sozialhilfe erst wieder ein, wenn dem zuständigen Sozialhilfeträger der Wille, Sozialhilfeleistungen wieder in Anspruch nehmen zu wollen, bekannt werde. Dies müsse entsprechend für die Antragsrücknahme gelten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2018 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 13. Mai 2016 insgesamt zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Entgegen der Auffassung des LSG führt die Rücknahme des Antrags im Mai 2011 zur Beendigung des mit der Kenntniserlangung im April 2011 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens und damit zum Wegfall der Leistungspflicht des Beklagten gegenüber L, sofern dieser durch seine Ehefrau wirksam vertreten war. Ob dies der Fall war und ob und wann ggf durch den späteren Antrag auf Pflegewohngeld im Juni 2011 der Beklagte erneut Kenntnis vom Bedarfsfall wegen der Hilfe zur Pflege erlangt hat, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) nicht abschließend entscheiden.
Gegenstand des zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 10.2.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2014 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte gegenüber der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des L (vgl § 19 Abs 6 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) die Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten in Höhe von 18 435,25 Euro abgelehnt hat (zur zulässigen Klageart im Fall der Sonderrechtsnachfolge vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 6.12.2018 - B 8 SO 2/17 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 10; BSG vom 8.3.2017 - B 8 SO 20/15 R - SozR 4-3500 § 77 Nr 3 RdNr 13). Nachdem die Klägerin das Urteil des LSG nicht angefochten hat, sind im Streit nur noch Kosten in Höhe von 17 305,70 Euro.
Nach § 19 Abs 6 SGB XII steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Wegen des in § 19 Abs 6 SGB XII geregelten gesetzlichen Forderungsübergangs geht ein möglicher Anspruch des verstorbenen L nur insoweit auf die Klägerin über, als dieser vor seinem Tod einen Anspruch auf Leistungen gehabt hätte (vgl nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 19 RdN...
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