Urteil Nr. I ZR 90/20 des I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 09-09-2021

ECLIECLI:DE:BGH:2021:090921UIZR90.20.0
Docket NumberI ZR 90/20
Date09 Septiembre 2021
CourtI. Zivilsenat
ECLI:DE:BGH:2021:090921UIZR90.20.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 90/20 Verkündet am:
9. September 2021
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Influencer I
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 4, § 5a Abs. 6, § 8 Abs.
1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 2; TMG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Satz 1 Nr. 1 und 5, § 6 Abs. 1
Nr. 1; RStV § 58 Abs. 1 Satz 1; MStV § 22 Abs. 1 Satz 1
a) Geht ein klagender Wettbewerbsverband gegen geschäftliche Handlungen der Be-
klagten zugunsten des eigenen Unternehmens sowie zugunsten fremder Unter-
nehmen vor, muss der Kläger sowohl über eine erhebliche Zahl an Mitgliedern
verfügen, die in einem Wettbewerbsverhältnis im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG
zu der Beklagten stehen, als auch über solche, die in einem entsprechenden Wett-
bewerbsverhältnis zu den geförderten Drittunternehmen stehen.
b) Eine Influencerin, die Waren und Dienstleistungen anbietet und über ihren Auftritt
in sozialen Medien (hier: Instagram) bewirbt, nimmt mit ihren in diesem Auftritt ver-
öffentlichten Beiträgen regelmäßig geschäftliche Handlungen zugunsten ihres ei-
genen Unternehmens vor.
c) Erhält eine Influencerin für einen werblichen Beitrag in sozialen Medien eine Ge-
genleistung, stellt diese Veröffentlichung eine geschäftliche Handlung zugunsten
des beworbenen Unternehmens dar.
d) Erhält eine Influencerin für einen in sozialen Medien veröffentlichten Beitrag mit
Bezug zu einem Drittunternehmen keine Gegenleistung, stellt diese Veröffentli-
chung eine geschäftliche Handlung zugunsten des Drittunternehmens dar, wenn
der Beitrag nach seinem Gesamteindruck übertrieben werblich ist, also einen
werblichen Überschuss enthält, so dass die Förderung fremden Wettbewerbs eine
größere als nur eine notwendigerweise begleitende Rolle spielt (Fortführung von
BGH, Urteil vom 9. Februar 2006 - I ZR 124/03, GRUR 2006, 875 Rn. 23 = WRP
2006, 1109 - Rechtsanwalts-Ranglisten).
e) Ob ein Beitrag einer Influencerin in sozialen Medien einen zur Annahme einer ge-
schäftlichen Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens erforderlichen
werblichen Überschuss enthält, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der
gesamten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Zusammenwir-
kens der Gestaltungsmerkmale (z.B. gepostete Produktfotos, redaktioneller Kon-
text, Verlinkung auf Internetseiten von Drittunternehmen) zu beurteilen. Der Um-
stand, dass die Influencerin Bilder mit "Tap Tags" versehen hat, um die Hersteller
der abgebildeten Waren zu bezeichnen, genügt als solcher nicht, um einen werb-
lichen Überschuss der Instagram-Beiträge anzunehmen. Die Verlinkung auf eine
Internetseite des Herstellers des abgebildeten Produkts beinhaltet hingegen regel-
mäßig einen werblichen Überschuss, auch wenn auf der verlinkten Seite des Her-
stellers der Erwerb von Produkten nicht unmittelbar möglich ist.
f) Der nach § 5a Abs. 6 UWG erforderliche Hinweis auf den kommerziellen Zweck
einer geschäftlichen Handlung muss so deutlich erfolgen, dass er aus der Sicht
des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständi-
gen Verbrauchers, der zur angesprochenen Gruppe gehört, auf den ersten Blick
und zweifelsfrei hervortritt. Der im Textteil eines in sozialen Medien veröffentlichten
Beitrags erscheinende Hinweis auf den kommerziellen Zweck reicht regelmäßig
nicht aus, um den kommerziellen Zweck eines auf der neben dem Text angeord-
neten Abbildung erscheinenden "Tap Tags" als Werbung zu kennzeichnen.
g) Der kommerzielle Zweck eines in sozialen Medien veröffentlichten werblichen Bei-
trags einer Influencerin zugunsten eines Drittunternehmens ergibt sich nicht im
Sinne des § 5a Abs. 6 UWG unmittelbar aus dem Umstand, dass die Influencerin
nicht nur zu rein privaten Zwecken, sondern auch zugunsten ihres eigenen Unter-
nehmens handelt. Es reicht nicht aus, dass sich für die Adressaten aus den Um-
ständen überhaupt eine kommerzielle Zweckverfolgung ergibt, sondern es muss
jeder mit einem Kommunikationsakt verfolgte kommerzielle Zweck erkennbar sein.
h) Das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks eines die Verlinkung auf
die Internetseite eines Drittunternehmens enthaltenden "Tap Tags" ist regelmäßig
geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung - das Anklicken
des Links - zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
BGH, Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 90/20 - OLG Braunschweig
LG Göttingen
- 3 -
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 29. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, den Rich-
ter Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke, den Richter Feddersen und die Rich-
terin Dr. Schmaltz
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesge-
richts Braunschweig vom 13. Mai 2020 wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist ein Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wah-
rung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder einschließlich der Verfolgung
von Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht gehört. Die Beklagte ist eine soge-
nannte Influencerin, die auf der Social-Media-Plattform Instagram unter dem Pro-
filnamen "lu_coaching" aktiv ist und dort regelmäßig Bilder und kurze Videose-
quenzen, insbesondere von Sportübungen sowie Fitness- und Ernährungstipps,
veröffentlicht. Darüber hinaus unterhält sie eine Webseite, auf der sie Fitness-
kurse und Personaltrainings gegen Entgelt anbietet und einen Online-Shop be-
treibt.
Wird das Profil der Beklagten bei Instagram aufgerufen, erscheint unter
anderem ein Hinweis auf ihre Webadresse, ihre E-Mail-Adresse und eine App mit
dem Namen "Lu_Coaching". Die Instagram-Beiträge der Beklagten enthalten
1
2

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN
1 temas prácticos
  • Beschluss vom 13. April 2022 - 1 BvR 1021/17
    • Deutschland
    • Constitutional Court (Germany)
    • 13 Abril 2022
    ...überlassen bliebe (stRspr; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - I ZR 259/00 -, BGHZ 156, 1 – Paperboy; Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 90/20 -, GRUR 2021, S. 1400 – Influencer I). Stets muss im Vollstreckungsverfahren erkennbar sein, welche Verhaltensweisen vom Verbot erfasst und welche......
1 sentencias
  • Beschluss vom 13. April 2022 - 1 BvR 1021/17
    • Deutschland
    • Constitutional Court (Germany)
    • 13 Abril 2022
    ...überlassen bliebe (stRspr; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2003 - I ZR 259/00 -, BGHZ 156, 1 – Paperboy; Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 90/20 -, GRUR 2021, S. 1400 – Influencer I). Stets muss im Vollstreckungsverfahren erkennbar sein, welche Verhaltensweisen vom Verbot erfasst und welche......

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT