Urteil Nr. III ZR 179/20 des III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 29-07-2021

ECLIECLI:DE:BGH:2021:290721UIIIZR179.20.0
Date29 Julio 2021
Docket NumberIII ZR 179/20
CourtIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
ECLI:DE:BGH:2021:290721UIIIZR179.20.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 179/20
Verkündet am:
29. Juli 2021
Uytterhaegen
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1; BGB § 123 Abs. 1, § 138
Abs. 1 Bb, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1 Fb, § 305 Abs. 2, § 307 Abs. 1 Satz 1 CI
a) Da die widerrechtliche Drohung in § 123 BGB gesondert geregelt ist, ist ein Rechtsge-
schäft nur anfechtbar und nicht gemäß § 138 BGB nichtig, wenn seine Anstößigkeit
ausschließlich auf einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch widerrechtliche Dro-
hung beruht. Nur wenn besondere Umstände zu der durch widerrechtliche Drohung
bewirkten Willensbeeinflussung hinzutreten, die das Geschäft nach seinem Ge-
samtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen, kann § 138 Abs. 1 BGB neben § 123
BGB anwendbar sein. Dies gilt auch, wenn der Anbieter eines sozialen Netzwerks
dessen weitere Nutzung davon abhängig macht, dass der Nutzer sein Einverständnis
mit den neuen Geschäftsbedingungen des Anbieters erklärt (Fortführung Senat, Urteil
vom 17. Januar 2008 - III ZR 239/06, NJW 2008, 982).
b) Der Anbieter eines sozialen Netzwerks ist grundsätzlich berechtigt, den Nutzern seines
Netzwerks in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver, überprüf-
barer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hin-
ausgehen. Er darf sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikati-
onsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und
die Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen.
c) Der Anbieter des sozialen Netzwerks hat sich jedoch in seinen Geschäftsbedingungen
zu verpflichten, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüg-
lich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu
- 2 -
informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegendarstel-
lung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglich-
keit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht. Fehlt eine ent-
sprechende Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, sind diese gemäß § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
d) Hat der Anbieter eines sozialen Netzwerks vertragswidrig den im Netzwerk eingestell-
ten Beitrag eines Nutzers gelöscht, hat der Nutzer gegen den Anbieter einen vertrag-
lichen Anspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB auf Freischaltung
des gelöschten Beitrags.
e) Zum Anspruch auf Unterlassung einer Sperrung des Nutzerkontos und Löschung des
Beitrags bei dessen erneuter Einstellung in diesem Fall.
BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - III ZR 179/20 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
- 3 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Juli 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter
Dr. Remmert, Reiter, Dr. Kessen und Dr. Herr
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesge-
richts Nürnberg - 3. Zivilsenat und Kartellsenat - vom 4. August
2020 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth - 11. Zivilkammer - vom 14. Oktober 2019 un-
ter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise ab-
geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt,
1. den nachfolgend wiedergegebenen, am 11. August 2018
gelöschten Beitrag der Klägerin wieder freizuschalten:
"Schon der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erin-
nern, das sog. Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz
dazu dann die Morde von islamischen Einwanderern, die
man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu machen konnte.
Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben
eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das
Regime. Migranten können hier morden und vergewaltigen

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