Urteil Nr. VIII ZR 31/18 des VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, 29-04-2020

ECLIECLI:DE:BGH:2020:290420UVIIIZR31.18.0
Docket NumberVIII ZR 31/18
Date29 Abril 2020
CourtVIII. Zivilsenat
ECLI:DE:BGH:2020:290420UVIIIZR31.18.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 31/18 Verkündet am:
29. April 2020
Vorusso,
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 133 B, Fa, 157 D, Ha, 242 Ba, 535, 536 Abs. 1, 906
a) Nach Abschluss des Mietvertrags eintretende erhöhte Geräusch- und
Schmutzimmissionen begründen, auch wenn sie von einer auf einem Nach-
bargrundstück eines Dritten betriebenen Baustelle (hier: zur Errichtung eines
Neubaus in einer Baulücke) herrühren, bei Fehlen anderslautender Beschaf-
fenheitsvereinbarungen grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1
BGB zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung, wenn
auch der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädi-
gungsmöglichkeit nach § 906 BGB hinnehmen muss (Bestätigung und Fort-
führung des Senatsurteils vom 29. April 2015 - VIII ZR 197/14, BGHZ 205,
177 Rn. 35, 39 ff. mwN).
b) Eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien
kann nicht mit der Argumentation bejaht werden, die Freiheit der Wohnung
von Baustellenlärm werde regelmäßig stillschweigend zum Gegenstand einer
entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien. Die
bei einer Mietsache für eine konkludent getroffene Beschaffenheitsvereinba-
rung erforderliche Einigung kommt nicht schon dadurch zustande, dass dem
Vermieter eine bestimmte Beschaffenheitsvorstellung des Mieters (hier: hin-
sichtlich eines Fortbestands der bei Abschluss des Mietvertrags vorhande-
nen "Umweltbedingungen" der Wohnung) bekannt ist. Erforderlich ist viel-
mehr, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert
(Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats; vgl. Senatsurteile
- 2 -
vom 29. April 2015 - VIII ZR 197/14, aaO Rn. 20 f.; vom 19. Dezember 2012,
VIII ZR 152/12, NJW 2013, 680 Rn. 10; vom 23. September 2009, VIII ZR
300/08, WuM 2009, 659 Rn. 14).
c) Macht der Mieter einen zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Miet-
wohnung in Gestalt der vorgenannten Geräusch- und Schmutzimmissionen
geltend, richtet sich die Darlegungs- und Beweislast nicht nach den im Be-
reich des § 906 BGB bestehenden Regelungen, sondern nach den Grunds-
ätzen des Wohnraummietrechts und insbesondere nach der dort grundsätz-
lich geltenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach Verantwor-
tungsbereichen (Anschluss an BGH, Urteil vom 1. März 2000 - XII ZR
272/97, NJW 2000, 2344 unter II 2 a mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom
18. Mai 1994 - XII ZR 188/92, BGHZ 126, 124, 127 ff.; BGH, Beschluss vom
25. Januar 2006 - VIII ZR 223/04, NJW 2006, 1061 Rn. 3). Demnach hat der
Mieter darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die von ihm an-
gemietete Wohnung Immissionen der vorbezeichneten Art ausgesetzt ist, die
die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar beeinträchtigen, und
dass es sich hierbei um eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des
§ 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt.
d) Von den auf dieser Grundlage zu treffenden notwendigen Feststellungen darf
der Tatrichter - schon mangels eines entsprechenden Erfahrungssatzes -
nicht mit der Begründung absehen, dass Baumaßnahmen, die auf einer in
der Nähe der Wohnung gelegenen Baustelle (hier: zur Errichtung eines Neu-
baus in einer Baulücke) durchgeführt werden, typischerweise mit Immissio-
nen in Form von Lärm und Schmutz einhergingen, die eine Mietminderung
rechtfertigten. Vielmehr ist die Frage nach der Art und dem Umfang von Im-
missionen wegen deren Objektbezogenheit regelmäßig anhand des konkre-
ten Einzelfalles zu beantworten.
e) Beruft sich der Vermieter gegenüber dem Wohnungsmieter darauf, Ansprü-
che nach § 906 BGB gegen den Verursacher nicht zu haben, hat er diejeni-
gen, dem Verhältnis zwischen ihm und dem Verursacher - und damit dem
Verantwortungsbereich des Vermieters - entstammenden Tatsachen, seien
sie personen- oder grundstücksbezogen, vorzubringen und im Falle des Be-
streitens zu beweisen, die in Anbetracht des bis dahin festgestellten Sach-
verhalts - auch unter Beachtung der im Verhältnis zum Verursacher gelten-
den Beweislastverteilung - dazu führen, dass weder Abwehr- noch Entschä-
digungsansprüche bestehen.
BGH, Urteil vom 29. April 2020 - VIII ZR 31/18 - LG Berlin
AG Berlin-Charlottenburg
- 3 -
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Februar 2020 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterin
Dr. Fetzer, die Richter Dr. Bünger und Kosziol sowie die Richterin Wiegand
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 64
des Landgerichts Berlin vom 17. Januar 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungs-
gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist seit dem 1. Dezember 2009 Mieter einer Zweizimmer-
wohnung der Klägerin in Berlin. In der Zeit zwischen den Jahren 2013 und 2015
wurde auf einem Grundstück, das 40 Meter von der vermieteten Wohnung ent-
fernt liegt und das seit dem Jahre 1946 unbebaut war, ein Neubau errichtet.
Der Beklagte zeigte der Klägerin mit Schreiben vom 3. Juni 2013 und
vom 5. August 2013, zuletzt unter Vorlage eines Lärmprotokolls, an, dass die
Wohnung durch von der Baustelle des vorgenannten Neubaus ausgehenden
Baulärm sowie Staub- und Schmutzbelastungen beeinträchtigt werde. Zugleich
kündigte er eine Minderung der Miete, die in diesem Zeitraum 532,29 € ein-
schließlich Nebenkostenvorauszahlungen betrug, um 10 % an und behielt so-
dann ab Juni 2013 bis einschließlich Februar 2015 bei der Mietzahlung monat-
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