Urteil vom 02.06.2022 - BVerwG 2 WD 30.20
Court | Das Bundesverwaltungsgericht |
Judgment Date | 02 a 2022 |
Neutral Citation | BVerwG 2 WD 30.20 |
ECLI | DE:BVerwG:2022:020622U2WD30.20.0 |
Citation | BVerwG, Urteil vom 02.06.2022 - 2 WD 30.20 - |
Record Number | 020622U2WD30.20.0 |
Subject Matter | Berufungen nach der WDO |
Registration Date | 13 o 2022 |
Applied Rules | GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1,SG § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2, §§ 10, 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2, § 23 Abs. 1,SKPersStruktAnpG § 2,StGB 2008 § 11 Abs. 3, §§ 20, 21, 78 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 4, § 78a Satz 1, §§ 78c, 184b Abs. 1, 2 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 1 und 2,SVG §§ 80, 85,VorgV § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3,WDO §§ 16, 38 Abs. 1, § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 und Abs. 7, § 84 Abs. 1 Satz 1, § 123 Satz 3, § 126 Abs. 1, § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 |
BVerwG 2 WD 30.20
- TDG Nord 7. Kammer - 07.10.2020 - AZ: N 7 VL 36/19
In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 2. Juni 2022, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberst i.G. Thiemann und
ehrenamtlicher Richter Hauptfeldwebel Beblik,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 7. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 7. Oktober 2020 wird zurückgewiesen
- Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat
1 Das Verfahren betrifft die disziplinare Ahndung des Sichverschaffens, Besitzes und Verschaffens kinderpornographischer Dateien.
2 1. Der ... geborene, geschiedene und kinderlose frühere Soldat wurde nach einer Ausbildung zum ... und ... 1985 Zeit- und 1991 Berufssoldat. Zuletzt wurde er 2010 zum Stabsfeldwebel befördert. Seit Mitte Dezember 2016 war er bis zum Ende seiner Dienstzeit mit Ablauf des September 2018 unter hälftiger Einbehaltung seiner Dienstbezüge vorläufig des Dienstes enthoben.
3 2. Der frühere Soldat war in zwei mehrmonatigen Auslandseinsätzen: ... in Somalia und ... in Afghanistan. Infolge des letztgenannten Einsatzes wurde bei ihm eine Wehrdienstbeschädigung mit einer "Traumafolgestörung" und einem Grad der Schädigungsfolgen von "dreißig" ab dem ... 2015 anerkannt. Deswegen wurden ihm für die Zeit von April 2015 bis Ende September 2018 ein Ausgleich von 5 757 € und ab Februar 2020 eine Grundrente von monatlich 151 € gewährt.
4 3. Im sachgleichen Strafverfahren verhängte das Amtsgericht Syke gegen den früheren Soldaten mit Urteil vom 8. Februar 2016 wegen des Verbreitens kinderpornographischer Schriften in 18 Fällen und des Besitzes kinderpornographischer Schriften eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. Mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Juli 2017 hob das Landgericht Verden das Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und verhängte gegen den früheren Soldaten eine Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 40 €. Zu seinen Gunsten sei davon auszugehen, dass er wegen unbehandelter offensichtlicher posttraumatischer Belastungsstörungen und etwaiger anderer psychischer Erkrankungen vermindert steuerungsfähig im Sinne des § 21 StGB gewesen sei.
5 4. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat am 2. Februar 2018 beim Truppendienstgericht wie folgt angeschuldigt:
"Der Soldat ließ sich über seinen Internetzugang in ... in der Zeit vom 21. Dezember 2012 bis zum 15. Juli 2014 mit Hilfe seines Computers im Chatbereich bzw. in News Groups und Tauschbörsen des Internets eine nicht mehr näher feststellbare Zahl von Video- und Bilddateien, auf denen der sexuelle Missbrauch unter 14 Jahre alter Mädchen und Jungen durch Erwachsene bzw. in grob anreißerischer (pornografischer) Weise sexuelle Handlungen von Kindern untereinander bzw. an sich selbst oder die grob anreißerische zur Schaustellung der Geschlechtsteile der Kinder dargestellt ist, von anderen Internetteilnehmern übermitteln, und übermittelte selbst über den 'Skype-Chat' unter dem Account '...' an mindestens 14 Personen mindestens 17 Bilddateien (Bilder bzw. Videos). Der Soldat speicherte diese zuvor genannten kinderpornografischen Dateien auf seinem PC und seinem Notebook, so dass anlässlich einer Durchsuchung am 15. Juli 2014 bei ihm auf diesen Datenträgern insgesamt 572 Dateien mit derartigen Bildern bzw. Videos gefunden wurden, die er dort gesammelt hatte."
6 5. Das Truppendienstgericht hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom 7. Oktober 2020 das Ruhegehalt aberkannt. Die Anschuldigungen stünden aufgrund der bindenden tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil, der geständigen Einlassung des früheren Soldaten und der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Urkunden, Schriftstücke und Augenscheinsobjekte fest. Der frühere Soldat habe damit ein Dienstvergehen begangen. Indem er ihm zuvor übermittelte 572 kinderpornographische Dateien besessen und mindestens 17 davon mindestens 14 anderen Personen übermittelt habe, habe er als Vorgesetzter vorsätzlich seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt. Er habe vorsätzlich Straftaten nach § 184b Abs. 1, 2 und 4 StGB 2008 begangen, um ein Unterwerfungsverhältnis gegenüber seinen Chatpartnern einzugehen. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei die Höchstmaßnahme. Davon sei nicht abzuweichen. Entgegen der Annahme des Strafgerichts sei der frühere Soldat nicht vermindert schuldfähig gewesen. Die bei ihm erst zum Ende des Tatzeitraums diagnostizierte depressive Erkrankung und Anpassungsstörung erreichten nicht den Schweregrad eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB. Vielmehr habe der frühere Soldat regulär seinen Dienst verrichtet und erst mehr als 15 Monate nach der ersten Tat psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen. Noch am 27. Mai 2014 habe er um ein Personalgespräch zwecks Förderung gebeten. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er privat kein nach außen geordnetes Leben geführt habe. Jedenfalls sei kein Zusammenhang zwischen seinen Beeinträchtigungen und den Taten erkennbar.
7 6. Mit seiner unbeschränkten Berufung vertritt der frühere Soldat die Ansicht, tat- und schuldangemessen sei eine hälftige Kürzung seines Ruhegehalts. Er sei im gesamten Tatzeitraum vermindert schuldfähig gewesen. Er habe versucht, seine sexuelle Neigung weitestgehend zu unterdrücken. Nur wenn er davon überwältigt worden sei, sei er ihr kurzfristig nachgegangen. Er habe sich rein außerdienstlich und nicht aus pädophilen Motiven fehlverhalten. Vielmehr seien die Dateien Mittel zu dem Zweck gewesen, sich anderen durch dieses Druckmittel zu unterwerfen, wofür er nur einzelne der gespeicherten Dateien genutzt habe. Seinen Dienst habe er tadellos verrichtet. Auch habe er sich in zwei Auslandseinsätzen bewährt, die für seine psychischen Beeinträchtigungen mitursächlich seien. Er sei geständig, reuig, einsichtig und nicht anderweitig vorbelastet. Das Landgericht habe nur eine Geldstrafe verhängt. Die mit seiner vorläufigen Dienstenthebung verbundenen Nachteile für den Dienstherrn seien ihm nicht anzulasten, weil er zuvor beantragt habe, vorzeitig in den Ruhestand versetzt zu werden. Zudem sei das Verfahren unangemessen lang gewesen.
8 7. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt verteidigt das angefochtene Urteil.
9 8. Der Senat hat ein Sachverständigengutachten zwecks Klärung der Frage einer verminderten Schuldfähigkeit im Tatzeitraum eingeholt.
10 9. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
11 Die zulässige Berufung ist unbegründet. Da sie in vollem Umfang eingelegt worden ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung aufgrund eigener Tat- und Schuldfeststellungen über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach ist eine Aberkennung des Ruhegehalts tat- und schuldangemessen.
12 1. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der frühere Soldat die angeschuldigten Taten begangen hat. Dies folgt aus den gemäß § 123 Satz 3 in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Syke vom 8. Februar 2016 in Verbindung mit dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Verden vom 31. Juli 2017 und der geständigen Einlassung des früheren Soldaten.
13 2. Der frühere Soldat hat damit ein Dienstvergehen begangen (§ 23 Abs. 1 SG). Er hat vorsätzlich und schuldhaft seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 SG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung vom 30. Mai 2005 (BGBl. I 1482) verletzt.
14 Danach hat sich ein Soldat außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.
15 Eine solche ernsthafte Beeinträchtigung ist regelmäßig anzunehmen, wenn - wie hier - eine Straftat begangen wird, die mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 - 2 WD 20.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 84 Rn...
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