Urteil vom 03.11.2020 - BVerwG 9 A 12.19

Judgment Date03 Noviembre 2020
ECLIDE:BVerwG:2020:031120U9A12.19.0
Neutral CitationBVerwG 9 A 12.19
Registration Date31 Mayo 2021
Record Number031120U9A12.19.0
Applied RulesSeeAnlG § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2,RL 2001/42/EG Art. 3, 4,FStrG § 17 Abs. 1 Satz 2, § 17e Abs. 5, § 19,AEG § 18 Abs. 1 Satz 2, § 18e Abs. 5, § 22,BNatSchG §§ 30, 34, 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2,UVPG 2010 § 6 Abs. 1 Satz 3,WaStrG § 31 Abs. 5 Satz 1,GG Art. 14 Abs. 1, Art. 14 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4,UVPG § 2 Abs. 7, § 35,VwVfG § 78,ROG § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Subject MatterStreitigkeiten, welche die Fehmarnbelt-Querung zwischen Puttgarden und der deutsch-dänischen Grenze betreffen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 9 A 12.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. September bis 1. Oktober 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler, Dr. Martini und Dr. Dieterich
am 3. November 2020 für Recht erkannt:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu je 1/3.
Gründe I

1 Die Klägerinnen wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für den Neubau einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby, deutscher Vorhabenabschnitt, vom 31. Januar 2019.

2 1. Gegenstand des Verfahrens ist der deutsche Teil der Festen Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: FFBQ), ein von der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark gemeinsam geplanter kombinierter Straßen- und Eisenbahntunnel durch den Fehmarnbelt, der die Inseln Fehmarn und Lolland verbinden soll. Das planfestgestellte Vorhaben beinhaltet den Bau eines Absenktunnels in offener Grabenbauweise zwischen Puttgarden auf Fehmarn und der Grenze der deutschen und dänischen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ). Es beginnt südlich von Puttgarden mit der Ausfädelung der Bahnstrecke Lübeck - Puttgarden und der Verschwenkung der B 207/E 47 (Heiligenhafen - Puttgarden). Sodann verläuft die Trasse östlich des Fährhafens Puttgarden und wird durch den Tunnel geradlinig in nordöstlicher Richtung durch die Ostsee - u.a. durch das FFH-Gebiet "Fehmarnbelt" - geführt.

3 Von dem insgesamt über 18 km langen Tunnelbauwerk liegen 9,5 km im Bereich des deutschen Küstenmeeres und der deutschen AWZ. Der Absenktunnel ist im Querschnitt bis zu 47 m breit und bis zu 13 m hoch. Er wird aus Fertigelementen zusammengesetzt, die in eine auf dem Meeresboden gegrabene Rinne abgesenkt werden; seitlich werden die Gräben mit Kies und Sand verfüllt, ehe der Tunnel mit einer Steinlage überschüttet wird. Er umfasst eine zweigleisige elektrifizierte Bahnlinie, für den Straßenverkehr in getrennten Tunnelröhren zwei Richtungsfahrbahnen mit je zwei Fahr- und einem Standstreifen sowie einen Korridor für Wartungsarbeiten und Evakuierungen. Darüber hinaus genehmigt der Planfeststellungsbeschluss u.a. die Anlage eines temporären Arbeitshafens sowie den Neubau einer Landgewinnungsfläche östlich des Fährhafens.

4 2. Bereits im Staatsvertrag mit Schweden zum Bau der festen Öresundquerung verpflichtete sich Dänemark, die Planung und den Bau einer FFBQ zu fördern. Das Königreich Dänemark und die Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten nach Durchführung zahlreicher Voruntersuchungen auf der Grundlage vorangegangener gemeinsamer Erklärungen sowie eines grenzüberschreitenden Umweltkonsultationsverfahrens am 3. September 2008 einen Staatsvertrag über eine Feste Fehmarnbeltquerung (im Folgenden: StV), dem der Bundestag mit Gesetz vom 17. Juli 2009 zustimmte (BGBl. II S. 799; im Folgenden: Zustimmungsgesetz). Darin vereinbaren die Parteien eine nutzerfinanzierte feste Querung über den Fehmarnbelt, die von Dänemark auf eigene Kosten geplant, errichtet, betrieben und unterhalten wird; soweit die Querung auf deutschem Hoheitsgebiet liegt, überträgt Deutschland Dänemark diese Aufgaben. Der Vertrag überlässt die technische Ausgestaltung der Querung - ebenso wie die genaue Linienführung - den nationalen Genehmigungsverfahren. Er sieht weiter vor, dass Dänemark eine Gesellschaft - die Beigeladene - gründet, welche die Planung, Einholung der Genehmigungen, Errichtung und den Betrieb der FFBQ übernimmt. Die Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren erfolgt für den auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Teil der FFBQ nach deutschem, für den auf dänischem Gebiet befindlichen Teil nach dänischem Recht; im Bereich der AWZ findet das jeweilige nationale Recht im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) Anwendung, soweit der Staatsvertrag nichts Abweichendes regelt. Gebaut wird die FFBQ nach den geltenden dänischen technischen Normen und Vorschriften. Darüber hinaus verpflichten sich die Parteien zum Ausbau der jeweiligen Hinterlandanbindungen, der auf deutscher Seite u.a. den Ausbau der Straßenverbindung E 47 (B 207) zwischen Heiligenhafen (Ost) und Puttgarden zu einer vierstreifigen Bundesstraße, die Elektrifizierung der Schienenstrecke zwischen Lübeck und Puttgarden sowie den zweigleisigen Ausbau der Schienenstrecke zwischen Bad Schwartau und Puttgarden umfasst.

5 3. Vorhabenträger auf deutscher Seite sind für den Straßenteil der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein (im Folgenden: LBV) und für die Schienenstrecke die Beigeladene. Unter dem 9. November 2009 schlossen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Schleswig-Holstein, und die Beigeladene einen Verwaltungshelfervertrag. Danach übernimmt die Beigeladene die Planung und den Entwurf, die Vorbereitung der Planfeststellung und den Grunderwerb auch für den Straßenabschnitt.

6 Am 18. Oktober 2013 beantragten die Vorhabenträger die Feststellung des Plans für den deutschen Teil der FFBQ. Dabei wurden zwar die Straßen- und die Schienenverbindung als selbständige Vorhabenteile behandelt, das Verfahren wurde jedoch unter Verweis auf § 78 VwVfG einheitlich nach den Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes geführt. Am 17. April 2014 verzichtete das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) auf ein förmliches Linienbestimmungsverfahren. Die Auslegung und die Erörterungstermine erfolgten zwischen Mai 2014 und November 2015. Nach Durchführung eines Planänderungsverfahrens mit erneuter umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung in den Jahren 2016/2017 (1. Planänderung) reichten die Vorhabenträger weitere Deckblätter und Unterlagen bei der Planfeststellungsbehörde ein (2. Planänderung), welche diese im Januar 2018 Trägern öffentlicher Belange, der Klägerin zu 1 sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen zuleitete. Eine auf Bitte der Planfeststellungsbehörde erstellte gutachterliche Stellungnahme der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) zu den Themengebieten Hydrologie, Morphologie, Sedimentverdriftung und Sedimentation, hierzu eingegangene Erläuterungen und Ergänzungen der Vorhabenträger sowie weitere zahlreiche Deckblätter, die zwischen Februar und Oktober 2018 eingereicht wurden, leitete die Planfeststellungsbehörde Trägern öffentlicher Belange sowie anerkannten Naturschutzvereinigungen, nicht jedoch der Klägerin zu 1 zur Stellungnahme zu. Für weitere, nach November 2018 eingereichte Deckblätter wurde keine erneute Beteiligung durchgeführt. Ende Oktober 2018 gab der Beklagte ein Existenzgefährdungsgutachten betreffend die Klägerin zu 1 in Auftrag, welches am 29. Januar 2019 vorgelegt wurde. Danach muss die Klägerin zu 1 durch den Betrieb der FFBQ zwar signifikante Umsatz- und Ergebniseinbußen hinnehmen, sie wird jedoch nicht in ihrer Existenz gefährdet.

7 Am 31. Januar 2019 erging der angefochtene Planfeststellungsbeschluss (PFB). Die Auslegung erfolgte vom 26. März bis 8. April 2019.

8 4. Die Klägerinnen zu 1 und 3 betreiben mit jeweils drei Fähren den Fährverkehr zwischen Puttgarden und Rødbyhavn. Vier der Fähren verkehren in einem bis zu halbstündigen Takt mit einer Überfahrtzeit von 45 Minuten. Die zwei weiteren Fähren werden für Frachtkunden bzw. Gefahrgütertransporte eingesetzt. Der vormals ebenfalls im Fährbetrieb abgewickelte Zugverkehr wurde bereits 1997 (Güterverkehr) und im Dezember 2019 (Personenverkehr) eingestellt. Die Klägerin zu 2 führt im Fährhafen Puttgarden ein insbesondere auf skandinavische Käufer ausgerichtetes Grenzhandelsgeschäft für Getränke und Süßwaren. Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin u.a. der Flurstücke ..., ... und ... sowie - gemeinsam mit der Klägerin zu 2 - des Flurstücks ... der Gemarkung P., Flur ... Von diesen Grundstücksflächen sollen für das Vorhaben 18 976 m² dauerhaft erworben, 4 348 m² durch Dienstbarkeiten dauerhaft beschränkt und 30 061 m² vorübergehend in Anspruch genommen werden.

9 Die Klägerinnen rügen mit zahlreichen Einwänden, zu denen sie insgesamt 102 Beweisanträge gestellt haben, die Nichtigkeit sowie die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Der Beklagte habe die Grenzen seiner Zuständigkeit überschritten. Die angefochtene Entscheidung sei auf der Grundlage mehrerer Verfahrensfehler, u.a. einer unzureichenden Öffentlichkeitsbeteiligung, ergangen. Die Beteiligung der Klägerinnen bei der Erstellung des - zudem fehlerhaften - Existenzgefährdungsgutachtens sei unzureichend gewesen. Der Staatsvertrag sei verfassungs- und europarechtswidrig und daher keine taugliche Planungsgrundlage. Insbesondere folge weder aus ihm noch aus weiteren Gesichtspunkten eine hinreichende Rechtfertigung des Plans, dessen Finanzierbarkeit zudem aufgrund der Beschränkungen des europäischen Beihilferechts ausgeschlossen sei. Der Planfeststellungsbeschluss missachte die verfassungsrechtlichen Anforderungen an privatnützige Enteignungen und entfalte keine enteignungsrechtliche Vorwirkung. Die Anforderungen an die Schiffs- und an die Tunnelsicherheit sowie an einen funktionsfähigen Arbeitshafen würden nicht gewahrt. Die vorgegebenen Höchstgrenzen der Sedimentfreisetzung könnten nicht eingehalten werden. Zudem sei von erheblich längeren Bauzeiten auszugehen. Das Vorhaben verstoße in vielfacher Weise gegen gebiets-, arten- und biotopschutzrechtliche Bestimmungen sowie gegen das Wasserrecht. Die...

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