Urteil vom 03.12.2020 - BVerwG 4 C 6.18

JurisdictionGermany
Judgment Date03 Diciembre 2020
Neutral CitationBVerwG 4 C 6.18
ECLIDE:BVerwG:2020:031220U4C6.18.0
Applied Rules2. FlugLSV §§ 3, 5 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3,FluglärmG §§ 1, 7, 9 Abs. 1, 2, 3 und 4,GG Art. 80 Abs. 1 Satz 2,DIN 4109
Registration Date03 Junio 2021
Record Number031220U4C6.18.0
Subject MatterRecht der Anlegung und des Betriebes von Flugplätzen - §§ 6 ff. des Luftverkehrsgesetzes
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 03.12.2020 - 4 C 6.18

BVerwG 4 C 6.18

  • VGH Kassel - 20.02.2018 - AZ: VGH 9 C 1969/14.T

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Decker,
Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 2018 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Gründe I

1 Die Kläger begehren die weitergehende Anerkennung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für baulichen Schallschutz gegen Fluglärm.

2 Sie sind Eigentümer eines mit einem 1958 errichteten Wohnhaus bebauten Grundstücks. Im Jahr 2004 erstattete die Beigeladene Kosten für bauliche Maßnahmen im Rahmen eines Schallschutzprogramms. Nach der Verordnung des Landes Hessen über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 30. September 2011 (GVBl. I S. 438) liegt das Grundstück in der Tag-Schutzzone 1 sowie in der Nacht-Schutzzone des Flughafens.

3 Nachdem den Klägern mit Bescheiden vom 16. September 2013 und 11. März 2014 die Erstattung im Einzelnen bezeichneter Schallschutzmaßnahmen zugesichert worden war, setzte der Beklagte die erstattungsfähigen Aufwendungen mit Bescheid vom 23. März 2015 auf 1 441,99 € fest. Bei einem errechneten Außenpegel LAeq Nacht von 50 bis weniger als 55 dB(A) ging er dabei wegen der Teilnahme an einem früheren Schallschutzprogramm für die Schlafräume gemäß § 5 Abs. 3 der 2. FlugLSV von einem erforderlichen Bauschalldämm-Maß der Umfassungsbauteile von 27 dB und für die sonstigen Aufenthaltsräume bei einem errechneten Außenpegel LAeq Tag von 60 bis weniger als 65 dB(A) gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 der 2. FlugLSV von einem erforderlichen Bauschalldämm-Maß der Umfassungsbauteile von 32 dB aus. Diese Bauschalldämm-Maße seien nach dem Ergebnis der schalltechnischen Objektbeurteilung nicht in allen Räumen eingehalten.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage auf Anerkennung weiterer Aufwendungen als erstattungsfähig abgewiesen. Der Verordnungsgeber sei nach dem Fluglärmschutzgesetz dazu ermächtigt gewesen, die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden, die bei der Festsetzung der Lärmschutzbereiche schon errichtet gewesen seien, abweichend von den Schallschutzanforderungen für Neubauten festzulegen. Der Abschlag von 3 Dezibel für Bestandsgebäude bzw. 8 Dezibel, sofern Bestandsgebäude vor Festsetzung des Lärmschutzbereichs bereits an einem Schallschutzprogramm teilgenommen haben, verstoße weder gegen das Fluglärmschutzgesetz noch gegen sonstiges höherrangiges Recht.

5 Dagegen richtet sich die Revision der Kläger. Sie sind der Auffassung, für die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Bestandsgebäuden fehle es an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage. Jedenfalls seien die vorgesehenen Bauschalldämm-Maße nicht mit der in § 7 FluglärmG geregelten Pflicht zur Beachtung des Standes der Schallschutztechnik im Hochbau vereinbar.

6 Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.

II

7 Die Revision bleibt erfolglos. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) im Einklang.

8 Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung der Erstattungsfähigkeit weiterer Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an ihrem Gebäude. Die angegriffenen Bescheide finden ihre Rechtsgrundlage in § 9 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Fluglärmschutzgesetz - FluglärmG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550) i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung - 2. FlugLSV) vom 8. September 2009 (BGBl. I S. 2992). Die dem Bescheid zugrunde liegenden Normen der Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung sind wirksam und waren bei der Bestimmung des Erstattungsanspruchs anzuwenden. Sie finden eine Ermächtigungsgrundlage im Fluglärmschutzgesetz (A.) und verstoßen weder gegen dessen Vorgaben (B.) noch gegen sonstiges höherrangiges Recht (C.).

9 A. § 5 Abs. 2 Satz 1 der 2. FlugLSV regelt die Erstattungsfähigkeit von Schallschutzmaßnahmen für bauliche Anlagen nach § 1 Satz 2 der 2. FlugLSV, also (u.a.) solche schutzbedürftigen Einrichtungen und Wohnungen, die bei der Festsetzung eines Lärmschutzbereichs errichtet sind (Bestandsbauten). Aufwendungen werden für bauliche Schallschutzmaßnahmen insoweit erstattet, wie sich diese bei Bauschalldämm-Maßen ergeben, die um 3 Dezibel unter den Bauschalldämm-Maßen für die Errichtung baulicher Anlagen nach § 3 der 2. FlugLSV (Neubauten) liegen.

10 Gemäß § 5 Abs. 3 der 2. FlugLSV werden u.a. bei Bestandsbauten, für die vor dem 15. September 2009 bereits im Rahmen freiwilliger Schallschutzprogramme oder in sonstiger Weise Aufwendungen erstattet worden sind, Aufwendungen für weitere bauliche Schallschutzmaßnahmen nach Maßgabe des Absatzes 2 erstattet, wenn die Bauschalldämm-Maße der früheren Schallschutzmaßnahmen um mehr als 8 Dezibel unter den Bauschalldämm-Maßen für Neubauten liegen.

11 Beide Regelungen finden ihre Ermächtigungsgrundlage in § 7 FluglärmG, der mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar ist. Sie sind auch in ihrer konkreten Ausgestaltung von dieser Ermächtigungsgrundlage gedeckt.

12 I. § 7 FluglärmG ermächtigt die Bundesregierung, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 15 FluglärmG) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Schallschutzanforderungen einschließlich Anforderungen an Belüftungseinrichtungen unter Beachtung des Standes der Schallschutztechnik im Hochbau festzusetzen, denen die baulichen Anlagen zum Schutz ihrer Bewohner vor Fluglärm in dem Fall des § 6 FluglärmG genügen müssen.

13 Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Der Gesetzgeber muss das zu erlassende Verordnungsrecht nach Tendenz und Programm so genau umreißen, dass sich die Grenzen des Zulässigen schon aus der Ermächtigung erkennen und vorhersehen lassen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen indes nicht ausdrücklich der Ermächtigungsnorm zu entnehmen sein. Zu deren Klärung können - wie auch sonst bei der Auslegung einer Vorschrift - der Sinnzusammenhang der Norm mit anderen Bestimmungen und das Ziel, das die gesetzliche Regelung insgesamt verfolgt, berücksichtigt sowie die Entstehungsgeschichte der Norm herangezogen werden (BVerfG, Beschlüsse vom 14. März 1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. - BVerfGE 80, 1 und vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15 - BVerfGE 143, 38 Rn. 55; BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2017 - 5 C 17.16 - BVerwGE 161, 105 Rn. 18, vom 20. Oktober 2016 - 7 C 6.15 - NVwZ 2017, 485 Rn. 25 und vom 22. Januar 2020 - 8 CN 2.19 - BVerwGE 167, 267 Rn. 10).

14 1. Gemessen daran ist der Verordnungsgeber nach § 7 FluglärmG nicht nur ermächtigt, die Schallschutzanforderungen an Neubauten zu regeln, sondern auch den Rahmen zu bestimmen, innerhalb dessen Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Bestandsbauten erstattet werden.

15 § 7 FluglärmG bezieht sich auf die Schallschutzanforderungen, denen bauliche Anlagen zum Schutz ihrer Bewohner vor Fluglärm in dem Fall des § 6 genügen müssen. § 6 bestimmt, dass die nach § 5 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 3 FluglärmG zulässigen baulichen Anlagen sowie Wohnungen in der Tag-Schutzzone 2 nur errichtet werden dürfen, sofern sie den nach § 7 festgesetzten Schallschutzanforderungen genügen. Damit gilt die Verordnungsermächtigung nach ihrem Wortlaut nur für Bauten, die in Lärmschutzbereichen neu errichtet werden dürfen.

16 § 7 FluglärmG steht in Zusammenhang mit den §§ 5 bis 8 FluglärmG, die Bauverbote, Schallschutzanforderungen an bauliche Anlagen, die in den Schutzzonen ausnahmsweise errichtet werden dürfen, und die Entschädigung bei Bauverboten regeln. Die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden, die bei Festsetzung der Lärmschutzzonen bereits errichtet waren, regelt § 9 FluglärmG. Nach dessen Absätzen 1 und 2 werden Eigentümern von in der Tag-Schutzzone 1 und der Nacht-Schutzzone gelegenen Wohnungen oder sonstigen schutzbedürftigen Gebäuden auf Antrag Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach Maßgabe der Absätze 3 und 4 erstattet. Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 FluglärmG werden Aufwendungen nur erstattet, soweit sich die Maßnahmen im Rahmen der nach § 7 erlassenen Rechtsverordnung halten. Der Verweis in § 9 FluglärmG zeigt, dass die Verordnung zugleich den Rahmen zu bestimmen hat, innerhalb dessen Aufwendungen für baulichen Schallschutz an Bestandsbauten erstattet werden.

17 2. § 7 FluglärmG genügt dem im Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot wurzelnden Parlamentsvorbehalt. Dieser gebietet, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden. Wann es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen (BVerfG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 2 BvF 1, 3/12 - BVerfGE 136, 69 Rn. 102 und vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12, 2 BvR 1989/12 - BVerfGE 139, 19 Rn. 52 ff. m.w.N.). Der Gesetzgeber...

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