Urteil vom 03.12.2020 - BVerwG 4 C 7.18

JurisdictionGermany
Judgment Date03 Diciembre 2020
Neutral CitationBVerwG 4 C 7.18
ECLIDE:BVerwG:2020:031220U4C7.18.0
CitationBVerwG, Urteil vom 03.12.2020 - 4 C 7.18
Registration Date03 Junio 2021
Subject MatterRecht der Anlegung und des Betriebes von Flugplätzen - §§ 6 ff. des Luftverkehrsgesetzes
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number031220U4C7.18.0

BVerwG 4 C 7.18

  • VGH Kassel - 23.01.2018 - AZ: VGH 9 C 1852/14.T

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Dr. Decker, Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage unzulässig ist, soweit sie auf die Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 gestützt ist.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt die weitergehende Anerkennung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für baulichen Schallschutz gegen Fluglärm.

2 Sie ist Eigentümerin eines mit einem 1962 errichteten Wohnhaus bebauten Grundstücks, das nach der Verordnung des Landes Hessen über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 30. September 2011 (GVBl. I S. 438) in der Tag-Schutzzone 1 sowie in der Nacht-Schutzzone des Flughafens liegt.

3 Am 1. März 2012 beantragte sie bei dem Beklagten Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach §§ 9, 10 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm. Der Beklagte sicherte ihr mit Bescheid vom 19. Juni 2013 zu, die Aufwendungen für die Durchführung von im Einzelnen aufgeführten Schallschutzmaßnahmen in einer voraussichtlichen Höhe von 1 345,10 € als erstattungsfähig anzuerkennen. Bei einem errechneten Außenpegel von LAeq Nacht 50 bis weniger als 55 dB(A) und von LAeq Tag 60 bis weniger als 65 dB(A) ging er dabei gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 der 2. FlugLSV von einem erforderlichen Bauschalldämm-Maß der Umfassungsbauteile von 32 dB aus. Dieses Bauschalldämm-Maß sei nach dem Ergebnis der schalltechnischen Objektbeurteilung nicht in allen Räumen eingehalten.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage auf Anerkennung weiterer Aufwendungen als erstattungsfähig abgewiesen. Soweit die Klägerin ihr Begehren auf die Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 stütze, könne offenbleiben, ob die Klage zulässig sei. Sie sei jedenfalls unbegründet, weil den Bescheiden nach der späteren Planfeststellung für den Ausbau des Flughafens keine Geltung mehr zukomme. Auch nach dem Fluglärmschutzgesetz stehe der Klägerin kein Anspruch auf weitergehenden Schallschutz zu. Der angegriffene Bescheid wende zutreffend § 5 Abs. 2 Satz 1 der 2. FlugLSV an, der im Fluglärmschutzgesetz eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage finde. Der Verordnungsgeber sei ermächtigt gewesen, die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden, die bei der Festsetzung der Lärmschutzbereiche schon errichtet gewesen seien, abweichend von den Schallschutzanforderungen für Neubauten festzulegen. Der Abschlag von 3 Dezibel für Bestandsgebäude verstoße weder gegen das Fluglärmschutzgesetz noch gegen sonstiges höherrangiges Recht.

5 Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, der Anspruch auf Anerkennung einer weitergehenden Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für baulichen Schallschutz folge aus den gemäß § 13 FluglärmG fortgeltenden Bescheiden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 sowie aus dem Fluglärmschutzgesetz. Für die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen an Bestandsgebäuden fehle es an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage. Die Flugplatz-Schallschutzmaßnahmenverordnung verstoße auch im Übrigen gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Bestimmtheitsgebot sowie Grundrechte. Zudem rügt die Klägerin Verfahrensfehler.

6 Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.

II

7 Die Revision bleibt erfolglos. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs steht mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) weitgehend im Einklang und erweist sich im Übrigen jedenfalls im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8 A. Die vom Bundesverwaltungsgericht in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen nicht für alle Klagegegenstände vor.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hätte die Klage als unzulässig abweisen müssen, soweit sie auf die Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 gestützt ist. Denn grundsätzlich darf ein Gericht nach der gesetzlichen Regelung der Zulässigkeitsvoraussetzungen als Sachurteilsvoraussetzungen gemäß §§ 40 ff. VwGO eine Sachentscheidung nur über zulässige Klagen treffen (BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2017 - 8 C 2.16 - BVerwGE 157, 292 Rn. 19). Ob eine Klage ausnahmsweise dann, wenn die Rechtsschutzvoraussetzungen zweifelhaft sind und die Abweisung der Klage als unbegründet einfacher ist als eine Prüfung der Rechtsschutzvoraussetzungen, aus materiellen Gründen abgewiesen werden darf (so BVerwG, Beschluss vom 11. November 1991 - 4 B 190.91 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 237 = juris Rn. 6, offengelassen in BVerwG, Urteil vom 8. Februar 2017 - 8 C 2.16 - BVerwGE 157, 292 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 21), bedarf keiner Entscheidung. Denn bei dem auf die Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 gestützten Begehren handelt es sich um einen eigenständigen Streitgegenstand, für den ersichtlich kein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

10 I. Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die von dem Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt (BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 46 und Beschluss vom 3. Mai 2016 - 7 C 7.15 - juris Rn. 3). Bei gleichem Antrag liegt eine Mehrheit von Streitgegenständen vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Verselbstständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausgestaltet. Der Klageanspruch als prozessualer Anspruch und Rechtsfolgenbehauptung wird im Verwaltungsprozess gerade auch von der einschlägigen Rechtsschutzform bestimmt (BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2016 - 7 C 7.15 - juris Rn. 3 ff.).

11 Daran gemessen liegen unterschiedliche Streitgegenstände vor. Der Anspruch nach den §§ 9, 10 FluglärmG i.V.m. der 2. FlugLSV betrifft die Erstattungsfähigkeit bzw. Erstattung baulicher Schallschutzmaßnahmen. Er knüpft an die Belegenheit von Wohngrundstücken in festgesetzten Lärmschutzbereichen (§ 2 ff. FluglärmG i.V.m. der 1. FlugLSV vom 27. Dezember 2008, BGBl. I S. 2980 und der Verordnung des Landes Hessen über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 30. September 2011, GVBl. I S. 438) an. Die Erstattungsfähigkeit von Schallschutzmaßnahmen richtet sich u.a. nach dem jeweiligen äquivalenten Dauerschallpegel und Bauschalldämm-Maß (§ 5 der 2. FlugLSV). Demgegenüber sehen die auf § 6 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 29b Abs. 2 LuftVG gestützten Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 lärmbegrenzende Betriebsbeschränkungen für die Nachtzeit und Maßnahmen des baulichen Schallschutzes in einem festgelegten Nachtschutzgebiet vor (vgl. A II.2. und Nr. II.4. des Bescheides vom 26. April 2001 sowie Bescheid vom 25. November 2002), das mit der Nacht-Schutzzone i.S.v. § 2 Abs. 2 FluglärmG nichts gemein hat. Die Ansprüche auf baulichen Schallschutz konnten längstens bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Festlegung des Schutzgebiets geltend gemacht werden und waren unmittelbar gegen die Beigeladene zu richten (vgl. A II.7. und Nr. II.9. des Bescheides vom 26. April 2001). Die zugrundeliegenden Lebenssachverhalte unterscheiden sich damit im Tatsächlichen und in der rechtlichen Bewertung. Aus § 13 Abs. 1 FluglärmG folgt nichts Anderes.

12 II. Die auf die Bescheide des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 gestützte Klage war mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Die Klägerin hat keinen auf diese Bescheide gestützten Antrag gestellt. Vielmehr war ihr Antrag vom 1. März 2012 ausdrücklich auf die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach den §§ 9, 10 FluglärmG gerichtet. Adressiert war er nicht an die Beigeladene, sondern an den Beklagten. Unabhängig davon wäre die unter A II.9. des Bescheides vom 26. April 2001 vorgesehene Antragsfrist von fünf Jahren nach Festsetzung des Schutzgebiets abgelaufen. Entgegen der Ansicht der Klägerin begann der Fristlauf nicht mit Festsetzung der Lärmschutzbereiche nach dem Fluglärmschutzgesetz, sondern spätestens mit der Festsetzung des durch den Bescheid vom 25. November 2002 geänderten und erweiterten Schutzgebiets.

13 III. Der Senat macht von seiner Befugnis Gebrauch, insoweit das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in ein Prozessurteil umzuwandeln und die Klage als unzulässig abzuweisen (arg. § 144 Abs. 4 VwGO). Da der Verwaltungsgerichtshof die Frage der Zulässigkeit...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT