Urteil vom 03. Februar 2009 - 2 BvL 54/06
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2009:ls20090203.2bvl005406 |
Judgement Number | 2 BvL 54/06 |
Citation | BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 03. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 - Rn. (1-115), |
Date | 03 Febrero 2009 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s a t z
zum Urteil des Zweiten Senats vom 3. Februar 2009
- 2 BvL 54/06 -
Lässt sich eine Finanzierungsverantwortung der mit einer Sonderabgabe belasteten Abgabepflichtigen praktisch ausschließlich mit Blick auf Zweck und Wirkung staatlicher Förderungsmaßnahmen zugunsten der belasteten Gruppe begründen, bestehen in Bezug auf die gruppennützige Verwendung erhöhte Anforderungen. Der durch die Abgabe zu finanzierende und die Abgabe rechtfertigende Gruppennutzen muss evident sein.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvL 54/06 - |
Verkündet am 3. Februar 2009 Ankelmann Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle |
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 10 Abs. 3 Nrn. 2, 7 und 8 in Verbindung mit den §§ 1 und 2 des Absatzfondsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1993 (BGBl I S. 998), zuletzt geändert durch die Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 29. Oktober 2001 (BGBl I S. 2785), gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 105 GG und Art. 110 GG verstoßen und damit nichtig sind,
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Mai 2006 - 13 K 2230/05 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Voßkuhle,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2008 durch
für Recht erkannt:
§ 2 Absatz 1 bis Absatz 4 Satz 1, Absatz 6, § 10 Absatz 1 bis Absatz 8, § 11 und § 12 des Gesetzes über die Errichtung eines zentralen Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft (Absatzfondsgesetz) in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1993 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 998), mit nachfolgenden Änderungen, zuletzt in der Fassung des Gesetzes zur Neufassung des Absatzfondsgesetzes vom 4. Oktober 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2342), sind seit dem 1. Juli 2002 mit Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 105 und Artikel 110 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
Das Verfahren betrifft die Frage, ob die Abgabe, die nach dem Absatzfondsgesetz von Unternehmen der Land- und Ernährungswirtschaft erhoben wird, mit dem Grundgesetz, insbesondere mit den Anforderungen an die Erhebung einer nichtsteuerlichen Abgabe, vereinbar ist. Ihr Aufkommen fließt einem Absatzfonds zu, der den Absatz und die Verwertung von Erzeugnissen dieser Wirtschaftszweige fördern soll.
I.
1. Um der deutschen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft ein wirkungsvolles Instrument zur zentralen Absatzförderung zu verschaffen und ihre Marktstellung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu festigen, wurde im Jahr 1969 durch § 1 des Gesetzes über die Errichtung eines zentralen Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft (Absatzfondsgesetz) - AbsFondsG - vom 26. Juni 1969 (BGBl I S. 635) der heute noch bestehende Fonds errichtet. Nach der dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Fassung des § 2 Abs. 1 AbsFondsG vom 21. Juni 1993 (BGBl I S. 998, zuletzt geändert durch die Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 29. Oktober 2001, BGBl I S. 2785) hat dieser Fonds die Aufgabe,
den Absatz und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft durch Erschließung und Pflege von Märkten im In- und Ausland mit modernen Mitteln und Methoden zentral zu fördern. Er kann bei der Erschließung von Märkten auch auf die Verbesserung der Qualität und der Marktorientierung von Erzeugnissen hinwirken.
Mit für den vorliegenden Entscheidungszusammenhang unwesentlichen Änderungen lautet § 2 Abs. 1 AbsFondsG in der geltenden Fassung vom 4. Oktober 2007 (BGBl I S. 2342):
Der Absatzfonds hat den Absatz und die Verwertung von Erzeugnissen der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft durch Erschließung und Pflege von Märkten im In- und Ausland mit modernen Mitteln und Methoden unter Berücksichtigung der Belange des Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes zentral zu fördern. Er soll dabei auch auf die Verbesserung der Qualität und Sicherheit sowie der Marktorientierung von Erzeugnissen hinwirken.
2. Die näheren Regelungen zur Beitragserhebung sind seit der Gesetzesfassung von 1993 bis auf eine Umstellung auf Euro-Beträge praktisch unverändert geblieben. Nachfolgend wird lediglich auf die aktuelle Gesetzesfassung vom 4. Oktober 2007 (BGBl I S. 2342) Bezug genommen:
Dem Absatzfonds fließen zur Durchführung seiner Aufgaben Beiträge zu, die von Betrieben der Land- und Ernährungswirtschaft nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 bis 8 AbsFondsG erhoben werden. Die Beiträge werden nach § 10 Abs. 8 AbsFondsG von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, erhoben. Dies geschieht bei den sogenannten Flaschenhalsbetrieben, den Betrieben an den jeweils marktengsten Stellen, die ein landwirtschaftlicher Rohstoff auf seinem Weg zum Verbraucher durchläuft. Solche regelmäßig als Abgabenschuldner herangezogenen Flaschenhalsbetriebe sind gemäß § 10
AbsFondsG unter anderem Zuckerfabriken, Mühlenbetriebe, Brauereien, Molkereien, Schlachtbetriebe und Eierpackstellen. Die mögliche Überwälzung der Beiträge von den abgabepflichtigen Betrieben auf deren Lieferanten ist gemäß § 10 Abs. 7 AbsFondsG Vereinbarungen zwischen jenen Betrieben vorbehalten.
Die für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblichen Beitragsregelungen lauten in der aktuellen Fassung des Gesetzes wie folgt:
§ 10
Finanzierung
(1) Dem Absatzfonds fließen zur Durchführung seiner Aufgaben Beiträge nach den folgenden Absätzen zu.
(2) Die Beiträge werden von den Betrieben der Land- und Ernährungswirtschaft nach Maßgabe der Absätze 3 bis 8 erhoben. Auf eingeführte Waren mit Ursprung im Ausland werden keine Beiträge erhoben, wenn vom Beitragspflichtigen der Ursprung im Ausland nachgewiesen wird.
(3) Der Beitrag beträgt für
1. Zuckerfabriken 0,16 Euro je 1.000 Kilogramm aufgenommene Zuckerrüben,
2. Mühlenbetriebe 0,48 Euro je 1.000 Kilogramm in der Handelsmüllerei vermahlenes Brotgetreide,
3. Brauereibetriebe 0,61 Euro je 1.000 Kilogramm verwendetes Malz,
4. Erzeugerzusammenschlüsse sowie Betriebe, die und soweit sie mit Kern-, Stein- oder Beerenobst, Tafeltrauben, Gemüse, Küchenkräutern, Hülsenfrüchten oder Kartoffeln Großhandel treiben, 0,40 Euro je 100 Euro von inländischen Erzeugern oder Sammlern an sie oder unter ihrer Mitwirkung abgesetzte Waren dieser Art; wirkt bei dem Absatz ein Erzeugerzusammenschluss oder ein Großhandelsbetrieb mit, so ist dieser und nicht der Erzeugerzusammenschluss oder Großhandelsbetrieb beitragspflichtig, an den die Ware abgesetzt worden ist,
5. Betriebe, die Waren der unter Nummer 4 genannten Art, soweit es sich um frische, gekühlte oder lediglich zur vorläufigen Haltbarmachung entweder gefrorene oder vorbearbeitete Waren oder um Hülsenfrüchte handelt, industriell bearbeiten oder zu Erzeugnissen verarbeiten, deren Charakter überwiegend von diesen Waren bestimmt wird, 0,40 Euro je 100 Euro zu diesem Zweck aufgenommene Waren dieser Art,
6. Molkereien, Milchsammelstellen und Rahmstationen 1,22 Euro je 1.000 Kilogramm angelieferte Milch,
7. Eierpackstellen 0,30 Euro je 1.000 verpackte Eier,
8. Geflügelschlachtereien, deren monatliche Schlachtkapazität mindestens 500 Tiere beträgt, 0,36 Euro je 100 Kilogramm Lebendgewicht des geschlachteten, zur Vermarktung bestimmten Mastgeflügels,
9. Betriebe, die für gewerbliche Zwecke geschlachtetes Vieh der Fleischbeschau zuführen,
- 2,04 Euro je Rind,
- 0,51 Euro je Schwein,
- 0,30 Euro je Schaf,
es sei denn, der ganze Tierkörper wird bei der fleischhygienerechtlichen Beurteilung beanstandet,
10. Ölmühlenbetriebe
- 0,71 Euro je 1.000 Kilogramm geschlagener Raps- und Rübsensamen,
- 0,81 Euro je 1.000 Kilogramm geschlagene Sonnenblumenkerne.
(4) Der Beitrag beträgt für Betriebe, die Blumen, Zierpflanzen, Ziergehölze, Gehölze für den Straßen- und Landschaftsbau oder deren Pflanzgut auf einer Mindestgrundfläche von 150 Flächeneinheiten bei den Gehölzen und deren Pflanzgut, von 400 Flächeneinheiten bei den übrigen Pflanzen und deren Pflanzgut erzeugen oder kultivieren, jährlich 0,06 Euro je genutzte Flächeneinheit. Als Flächeneinheit gelten
1. bei Blumen und Zierpflanzen:
5,0 Quadratmeter Freiland,
1,0 Quadratmeter Frühbeet,
0,5 Quadratmeter Gewächshaus;
2. bei Ziergehölzen und Gehölzen für den Straßen- und Landschaftsbau:
10,0 Quadratmeter Freiland.
Werden die in Satz 2 Nr. 1 und 2 genannten Pflanzen miteinander im zeitlichen Wechsel oder gemischt angebaut, gelten als Flächeneinheit die Quadratmetersätze derjenigen Pflanzen, deren Anbau überwiegt. Werden die in Satz 2 Nr. 1 und 2 genannten Pflanzen mit anderen Pflanzen im zeitlichen Wechsel oder gemischt in der Weise angebaut, dass mehr als die Hälfte des Kalenderjahres oder der Grundfläche mit den anderen Pflanzen genutzt wird, gilt als Flächeneinheit das Doppelte der nach Satz 2 Nr. 1 oder 2 jeweils maßgebenden Quadratmetersätze; Satz 3 gilt entsprechend.
(5) Ein Beitrag wird nicht erhoben in den Fällen
1. des Absatzes 3 Nr. 1, 5, 6 und 7 für Ware, für die ein...
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Beschluss vom 16. September 2009 - 2 BvR 852/07
...der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen Rechnung zu tragen (vgl. m.w.N. zuletzt Urteil des Zweiten Senats vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, DVBl 2009, S. 375 ; Beschluss des Zweiten Senats vom 12. Mai 2009 - 2 BvR 743/01 -, NVwZ 2009, S. 1030 ). Als Gebühr oder Beitrag kann die Um......
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...für die Folgen gruppenspezifischer Zustände und Verhaltensweisen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, DVBl 2009, S. 375 ). Charakteristisch für den Finanzmarkt ist, dass Fehlentwicklungen, denen die Aufsicht vorbeugen soll, nicht nur das einzelne Unte......
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...(vgl. etwa: Urteile vom 19. März 2003 a.a.O. S. 15 ff., vom 6. Juli 2005 a.a.O. S. 146 f. sowie zuletzt vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 - DVBl 2009, 375 .) und ihm folgend der erkennende Senat (Urteile vom 3. Dezember 2003 a.a.O. S. 43 ff. und vom 13. September 2006 a.a.O. S. 10) in ständ......
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