Urteil vom 04.12.2020 - BVerwG 3 C 5.20

JurisdictionGermany
Judgment Date04 Diciembre 2020
Neutral CitationBVerwG 3 C 5.20
ECLIDE:BVerwG:2020:041220U3C5.20.0
Applied RulesFeV § 3 Abs. 1 und 2, § 11 Abs. 8, § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c bis e,GG Art. 80 Abs. 1 Satz 2,StVG §§ 2 f., § 28 Abs. 3 Nr. 1 und 4, § 29 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 7 Satz 1 und 2, § 65 Abs. 3 Nr. 2
Registration Date31 Marzo 2021
Record Number041220U3C5.20.0
Subject MatterRecht der Verkehrswirtschaft und des Verkehrsrechts, sowie des Betriebs von Wasserstraßen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 04.12.2020 - 3 C 5.20

BVerwG 3 C 5.20

  • VG München - 12.12.2018 - AZ: VG M 26 K 17.5985
  • VGH München - 17.01.2020 - AZ: VGH 11 B 19.1274

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Kenntner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge.

2 Er hatte am 8. Juni 2013 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 Promille auf einem Fahrrad am Straßenverkehr teilgenommen. Deshalb verurteilte ihn das Amtsgericht München mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 4. Juli 2013 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) zu einer Geldstrafe.

3 Nachdem der Kläger der von der Beklagten am 10. Januar 2017 erneut an ihn gerichteten Aufforderung nicht nachgekommen war, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung der Fragen vorzulegen, ob er auch zukünftig ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, sodass dadurch die Eignung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen ausgeschlossen sei, und ob er zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch unter Alkoholeinfluss mit einem Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen werde, sodass dadurch auch seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei, entzog ihm die Beklagte mit Bescheid vom 23. Mai 2017 die Fahrerlaubnis (1.), forderte ihn auf, den Führerschein unverzüglich abzugeben (2.), drohte ihm bei Nichtabgabe ein Zwangsgeld an (3.) und untersagte ihm das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen auf öffentlichem Verkehrsgrund (4.); den Sofortvollzug ordnete die Beklagte nicht an. Zur Begründung der hinsichtlich der Nummern 1 und 4 des Bescheids auf § 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gestützten Verfügung verwies sie darauf, dass der Kläger das Gutachten nicht vorgelegt habe, dessen Beibringung sie zu Recht von ihm gefordert habe.

4 Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München abgewiesen. Die Beklagte habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen schließen dürfen, da er das rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt habe. Diese Gutachtensanforderung habe auf die Trunkenheitsfahrt vom 8. Juni 2013 gestützt werden dürfen. Die Eintragung im Fahreignungsregister sei gemäß § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG erst mit Ablauf des 4. Juli 2018 nicht mehr für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge und mit Ablauf des 4. Juli 2023 nicht mehr für eine Fahrerlaubnisentziehung verwertbar gewesen.

5 Auf die beschränkt auf die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge zugelassene Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit dort das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge untersagt worden war. Zur Begründung heißt es: Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Dauerverwaltungsakts sei, nachdem die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet hätten, der Zeitpunkt, zu dem das vollständig abgesetzte Urteil von der Geschäftsstelle zum Zweck der Zustellung zur Versendung gebracht worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte aus der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens nicht mehr gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers schließen dürfen. Zwar sei die Beibringungsanordnung vom 10. Januar 2017 bei deren Erlass durch die Trunkenheitsfahrt vom 8. Juni 2013 gerechtfertigt gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Straftat noch im Fahreignungsregister eingetragen und die Beklagte gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV verpflichtet gewesen, die deshalb bestehenden Fahreignungszweifel aufzuklären. Doch dürfe der Kläger mittlerweile die Vorlage des geforderten Gutachtens verweigern; die Anlasstat sei nun getilgt und dürfe ihm daher nicht mehr entgegengehalten werden. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 StVG würden Entscheidungen über eine Straftat in fünf Jahren getilgt. Die vor dem 30. April 2014 in das Fahreignungsregister eingetragene Straftat des Klägers sei zum 1. Mai 2019 tilgungsreif geworden; nach § 29 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 7 Satz 1 StVG und nach § 29 Abs. 7 Satz 2 StVG könne sie ihm nicht mehr vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden. Auch wenn man davon ausginge, § 11 Abs. 8 FeV könne nach der Tilgung der Anlasstat weiter zur Anwendung kommen, weil die Gutachtensanordnung zuvor ergangen sei, ergäbe sich nichts Anderes. Ein Festhalten an der Untersagung wäre unverhältnismäßig. Sie müsste von der Beklagten auf Antrag sofort aufgehoben werden, da sie nach Tilgung der Anlasstat nicht mehr berechtigt sei, im Verfahren auf Aufhebung der Untersagung erneut ein Gutachten anzufordern. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV könne nicht entsprechend auf das Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge angewendet werden, da diese Regelung eine Fahrerlaubnisentziehung voraussetze. Auch der Umstand, dass dem Kläger mittlerweile bestandskräftig die Fahrerlaubnis entzogen worden sei, könne nicht dazu führen, dass die Beklagte von ihm gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens zur Klärung der Frage anfordern dürfe, ob das Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge aufzuheben sei. Diese Regelung erlaube nach einer Fahrerlaubnisentziehung die Anforderung eines Gutachtens nur zur Klärung der Frage, ob der Betroffene Kraftfahrzeuge sicher führen könne. Der Einwand der Beklagten, bei einer solchen Auslegung würden Personen, die ein negatives Gutachten vorgelegt und solche, die eine Beibringung verweigert hätten, ungleich behandelt, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Die Ungleichbehandlung könne nicht dazu führen, dass Tilgungsvorschriften für die zugrundeliegenden Delikte nicht beachtet und tilgungsreife Verstöße verwertet würden.

6 Die Beklagte macht zur Begründung ihrer - vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen - Revision geltend: Sie habe gemäß § 3 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers schließen dürfen. Komme es für die Rechtmäßigkeit einer auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Verfügung darauf an, ob die Gutachtensanforderung zu Recht erfolgt sei, sei das nach der Sach- und Rechtslage beim Erlass der Anforderung zu beurteilen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Trunkenheitsfahrt des Klägers noch verwertbar gewesen. Es könne dahinstehen, welcher Beurteilungszeitpunkt im Allgemeinen maßgeblich sei, wenn die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge angefochten werde. Selbst wenn auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre, hätte das nicht zur Folge, dass die Tilgung der Trunkenheitsfahrt die Rechtmäßigkeit der Untersagung entfallen lasse. Für deren Verwertbarkeit komme es allein auf den Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung an. Zwar sei bei Dauerverwaltungsakten regelmäßig davon auszugehen, dass maßgeblich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sei. Das liege aber nicht immer so; eine solche Ausnahme sei auch hier zu machen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass es für die Verwertbarkeit der Anlasstat allein auf den Zeitpunkt der Gutachtensanforderung ankomme und ein späteres Verwertungsverbot die Rechtmäßigkeit nicht nachträglich entfallen lasse. Bei der Anwendung von § 11 Abs. 8 FeV werde die mangelnde Fahreignung nicht aus der getilgten Tat, sondern aus der Weigerung hergeleitet, ein zu Recht gefordertes Gutachten vorzulegen. Das sei eine neue, unabhängig von der Tilgung der Anlasstat zu berücksichtigende Tatsache. Außerdem führe die Berücksichtigung einer zwischenzeitlichen Tilgung zu einem Wertungswiderspruch gegenüber Betroffenen, die einer berechtigten Gutachtensanforderung nachgekommen seien. Bei Vorlage eines negativen Gutachtens hätte eine spätere Tilgung der Anlasstat keine Rolle gespielt. Die unberechtigte Weigerung, ein Gutachten vorzulegen, sei der Vorlage eines negativen Gutachtens gleichzustellen. Entgegen dem Berufungsgericht sei die Aufrechterhaltung der Untersagung schließlich nicht unverhältnismäßig. Sie dürfe in einem Aufhebungsverfahren trotz Tilgung der Anlasstat ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom Kläger fordern. Da im Fahrerlaubnisrecht Regelungen zur Aufhebung einer bestandskräftigen Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge fehlten, sei auf Art. 49 Abs. 1 oder Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG zurückzugreifen. Die danach erforderliche nachträgliche Änderung der Sachlage sei aber nicht eingetreten, denn die fehlende Fahreignung des Klägers stehe gemäß § 3 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV fest. Solange es keine Belege für deren Wiedererlangung gebe, etwa durch ein positives Fahreignungsgutachten, kämen daher ein Wiederaufgreifen des Verfahrens oder ein Widerruf der Untersagung nicht in Betracht. Auch bei einer entsprechenden Anwendung der §§ 11 ff. FeV wäre sie berechtigt, vom Kläger ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu fordern. Die Rechtsgrundlage dafür ergebe sich, da ihm die Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs bestandskräftig entzogen...

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