Urteil vom 06. Juli 1999 - 2 BvF 3/90
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:1999:fs19990706.2bvf000390 |
Citation | BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 06. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 - Rn. (1-168), |
Date | 06 Julio 1999 |
Judgement Number | 2 BvF 3/90 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Leitsätze
zum Urteil des Zweiten Senats
vom 6. Juli 1999
- 2 BvF 3/90 -
-
a) Eine Verordnung, die auf mehreren
Ermächtigungsgrundlagen beruht, muß diese vollständig
zitieren.
b) Eine Mißachtung des Zitiergebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG führt zur Nichtigkeit der Verordnung - Zur Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung) mit § 2a Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 des Tierschutzgesetzes
Bundesverfassungsgericht
- 2 BvF 3/90 -
Verkündet am 6. Juli 1999 Blödt Regierungsobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
über
den Antrag
festzustellen, daß die Verordnung zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung) vom 10. Dezember 1987 (BGBl I S. 2622) mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig ist, |
Antragstellerin: Landesregierung Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Horionplatz 1, Düsseldorf,
Wessobrunnerstraße 33, München -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterin
Präsidentin Limbach,
der Richter Kirchhof,
Winter,
Sommer,
Jentsch,
Hassemer,
Broß
und der Richterin Osterloh
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. April 1999 durch
für Recht erkannt:
Die Verordnung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung) vom 10. Dezember 1987 (Bundesgesetzblatt I Seite 2622) ist nichtig.
Der Antrag im abstrakten Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob die Verordnung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Schutz von Legehennen bei Käfighaltung (Hennenhaltungsverordnung) vom 10. Dezember 1987 (BGBl I S. 2622) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
I.
1. Die Hennenhaltungsverordnung (im folgenden: HHVO) regelt einen Tatbestand moderner Intensivtierhaltung. Nach ihrer begrifflichen Kennzeichnung zielt sie auf den Schutz von Legehennen bei Käfighaltung. Diese Art der Massentierhaltung hat sich im Verlauf der vergangenen 40 Jahre europaweit bei der Eiererzeugung durchgesetzt. Außer in Käfigen oder Käfigbatterien werden Legehennen in Freilandhaltung, intensiver Auslaufhaltung, Bodenhaltung oder in Volieren gehalten. 1996 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 132 Betriebe mit Legehennenbeständen von jeweils über 50.000 Tieren. Im Dezember 1996 wurden fast 80% der 42,4 Mio. Legehennen in 1.344 Betrieben mit mehr als 3.000 Tieren gehalten, hiervon wiederum 89,7% in Käfigen (vgl. Tierschutzbericht 1999, BTDrucks 14/600, S. 23). In der Europäischen Gemeinschaft wurden im selben Jahr insgesamt rund 270 Mio. Legehennen gehalten, davon 93% in Käfigen, wobei in bestimmten Mitgliedstaaten zunehmend alternative Haltungssysteme angewendet werden (vgl. Mitteilung der Kommission über den Schutz von Legehennen in verschiedenen Haltungssystemen, KOM 135 endg.; Ratsdok. 06985/98, BTDrucks 13/11371, S. 21). Während es 1975 in der Bundesrepublik Deutschland noch insgesamt 609.000 Legehennenhalter gab, reduzierte sich deren Zahl dort bis 1996 auf 173.500; hinzu kamen 46.400 Betriebe in den neuen Ländern.
Bei der Käfigbatteriehaltung werden die Legehennen in geschlossenen Räumen gehalten, in denen Drahtkäfige aufgestellt sind. Üblich sind Käfige für vier, fünf und in den moderneren Betrieben zunehmend für sechs Hennen. In Anbetracht der durchschnittlichen Körpermaße einer leichten Legehenne von 47,6 cm Länge und 14,5 cm Breite (bei angelegten Flügeln) in der Ruhelage und einem Flächenbedarf von mindestens 428 qcm in der am wenigsten Platz beanspruchenden normalen Standposition ist die Platzaufteilung der Hennen untereinander in einem Viererkäfig mit den praxisüblichen Maßen 40 x 45 cm so gedacht, daß drei Hennen zugleich vorne nebeneinander Platz finden können, während sich die vierte unter oder über diesen quer im hinteren Bereich des Käfigs aufhalten soll. Die Käfige werden, zumeist in mehreren Doppelreihen und diese wiederum in mehreren - bis zu acht - Käfigreihen übereinander aufgestellt. Der Käfigboden ist jeweils nach vorne geneigt, damit die Eier in eine vor dem Behältnis angebrachte Auffangrinne abrollen können. Die Käfigneigung wird dadurch erreicht, daß sich die Käfighöhe von mindestens 40 cm im vorderen Bereich durch einen ansteigenden Boden nach hinten hin auf 35 cm vermindert. Eine durchschnittlich große Henne der leichten Rasse, die bei aufrechter Körperhaltung im Zustand der Entspannung 38 cm bis zur Kammspitze und 26,4 cm bis zum Übergang zwischen Nacken und Genick mißt, kann deshalb nur im vorderen Bereich des Käfigs aufrecht stehen.
Die Futter- und Wasserversorgung erfolgt mechanisch mit Hilfe von an der vorderen Käfigaußenseite angebrachten Rinnen, die für die Tiere durch das Käfiggitter erreichbar sind. Die Fäkalien werden durch Förderbänder entsorgt, die unter den Käfigreihen verlaufen. Die Legehennen werden nach etwa 18 Lebenswochen in die Käfige "eingestallt" und verbleiben dort für eine Legeperiode von durchschnittlich 50 bis 60 Wochen, um anschließend geschlachtet und als Suppenhühner vermarktet zu werden.
Diese "industrielle Ausrichtung" der Eierproduktion ist Voraussetzung dafür, daß im Zeitraum 1997 bei einem Eierkonsum von 226 Eiern pro Kopf und Jahr ein nationaler Selbstversorgungsgrad von 72,8% erreicht wurde. Sie gewährleistet auch einen günstigen Produktionspreis. So bezifferte die Bundesregierung, ausgehend von durchschnittlichen Produktionskosten von 12,6 Pfennig pro Käfigei seit 1992 bis heute, die Produktionskosten für Eier aus alternativen Legehennenhaltungen (bei größeren Tierbeständen) pro Stück mit ca. 4 bis 9 Pfennige, d.h. um 30 und 70% höher (vgl. BTDrucks 12/3971 vom 10. Dezember 1992). Die EU-Kommission erwartet eine zwölf- bis 18%ige Erhöhung der Konsumeierpreise bei Einführung einer Käfigfläche von 800 qcm pro Henne. Sie geht außerdem davon aus, daß sich die derzeitigen Höchstpreise für Eier aus Alternativhaltungssystemen nicht halten werden, falls die gesamte oder ein Großteil der Produktion zu Alternativhaltungssystemen übergeht (vgl. Mitteilung der Kommission über den Schutz von Legehennen in verschiedenen Haltungssystemen vom 11. März 1998, BTDrucks 13/11371, S. 24 f.).
Da nach den EG-Vermarktungsvorschriften eine entsprechende Kennzeichnung (Freilandhaltung, intensive Auslaufhaltung, Boden-, Volieren- oder Käfighaltung) möglich ist - nicht gekennzeichnete Eier stammen in der Regel von Legehennen in Käfigbatteriehaltung -, hat es der Verbraucher in der Hand, Einfluß auf das Angebot zu nehmen und die bis zu 100% teureren Eier aus der Alternativhaltung nachzufragen (vgl. Tierschutzbericht 1999, BTDrucks 14/600, S. 27). Dabei müssen zur Zeit etwa 60% der in Deutschland nachgefragten Alternativeier aus dem Ausland importiert werden, davon etwa 60% aus holländischen Bodenhaltungen und 25% aus französischen Freilandhaltungen (vgl. Maisack, Wirtschaftlicher Wettbewerb in Europa und Tierschutz - Massentierhaltung - in: Rechtsschutz für Tiere, hrsg. von der Landesbeauftragten für Tierschutz in Hessen, 1998, S. 129 ff. ).
Neben den wirtschaftlichen sind es vor allem Vorteile hygienischer und gesundheitlicher Art, die nach Auffassung ihrer Befürworter für die Käfighaltung sprechen. Die Tiere befinden sich in kleinen Gruppen mit stabiler Rangordnung, die Gefahr des "Kannibalismus" ist gering und der Befall mit Endoparasiten nahezu ausgeschlossen. Die Bodenhaltung kann insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht (Parasitenbefall, Federpicken, gegenseitige Verletzungen) erhebliche Nachteile für die Tiere mit sich bringen. Im Vergleich zur Auslauf-, Boden- oder Volierenhaltung weist die Käfighaltung indes aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht Nachteile auf. So werden die Tiere infolge ihrer Unterbringung in einem durch räumliche Enge gekennzeichneten Drahtbehältnis nicht nur an der Ausübung natürlicher Verhaltensformen wie Flügel-Bein-Strecken, Flügelschlagen oder Flügellüften gehindert; andere arttypische Verhaltensweisen, wie das Aufbaumen, das Sandbaden, das Scharren oder die Eiablage an geschützter Stelle in einem Nest werden sogar gänzlich unterbunden (vgl. die zusammenfassende Darstellung im Tierschutzbericht 1999, BTDrucks 14/600, S. 24 ff.).
2. a) Nach Ergänzung des Art. 74 Nr. 20 GG um das Sachgebiet Tierschutz durch das Neunundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 18. März 1971 (BGBl I S. 207) wurde ein bundeseinheitliches Tierschutzgesetz (TierSchG) erlassen, das am 1. Oktober 1972 in Kraft getreten ist (BGBl I S. 1277). Ausweislich der Gesetzesbegründung sollten die Massentierhaltung aus ökonomischen Gründen beibehalten und für die dadurch aufgeworfenen vielfältigen tierschutzrechtlichen Fragen durch das Gesetz oder durch Vorschriften aufgrund des Gesetzes - bis zum Wirksamwerden der angestrebten supranationalen Regelungen - tierschutzrechtliche Mindeststandards gefunden werden (vgl. BTDrucks VI/2559, S. 9).
Das Erste Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 12. August 1986 (BGBl I S. 1309) hat an der bereits die Ursprungsfassung kennzeichnenden Konzeption eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes im Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für die seiner Obhut anheimgegebenen Lebewesen festgehalten (vgl. § 1 Satz 1 TierSchG). In bezug auf die Nutztierhaltung, vornehmlich die Intensivtierhaltung, wurden nach der Begründung des Regierungsentwurfs lediglich eine präzisere, den Schutz der Tiere aber nicht mindernde Fassung der insoweit einschlägigen Normierungen und zugleich die Herstellung...
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