Urteil vom 08. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:1997:rs19970708.1bvr162194 |
Date | 08 Julio 1997 |
Judgement Number | 1 BvR 1621/94 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s ä t z e
zum Urteil des Ersten Senats vom 8. Juli 1997
- 1 BvR 1621/94 -
- Das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl I S. 1546) ist mit dem Grundgesetz vereinbar
- Zur Anwendung von Absatz 4 Nr. 1 der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 des Einigungsvertrages bei der Kündigung eines Hochschullehrers wegen mangelnder fachlicher Eignung
Verkündet
am 8. Juli 1997
Kehrwecker
Amtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1621/94 -
des Herrn Dr. P... |
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Matthias Böhm und Partner, Kurfürstenstraße 13, Berlin -
a) |
gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 13. Juni 1994 - 16 Sa 23/94 -, |
|
b) |
mittelbar gegen das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag vom 20. August 1992 (BGBl I S. 1546) |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten Seidl,
der Richter Grimm,
Kühling,
der Richterinnen Seibert,
Jaeger,
Haas
und der Richter Hömig,
Steiner
aufgrund der mündlichen Verhandlung in Leipzig vom 11. und 12. März 1997 durch
für Recht erkannt:
- Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Kündigung eines aus dem öffentlichen Dienst der Deutschen Demokratischen Republik übernommenen Hochschullehrers wegen mangelnder fachlicher Eignung.
I.
Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (EV), dem Bundestag und Bundesrat durch Gesetz vom 23. September 1990 zugestimmt haben (BGBl II S. 885), regelt unter anderem die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Beitrittsgebiet. Nach Art. 20 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 EV (künftig: Abs. 4 Nr. 1 EV) ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht (zu Sinn und Zweck der Regelung vgl. BVerfGE 92, 140 ). Ursprünglich war die Regelung auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Wirksamwerden des Beitritts befristet. Durch das Gesetz zur Verlängerung der Kündigungsmöglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung nach dem Einigungsvertrag (Verlängerungsgesetz) vom 20. August 1992 (BGBl I S. 1546; im folgenden: Verlängerungsgesetz) wurde ihre Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 1993 verlängert.
II.
1. a) Der Beschwerdeführer ist Diplom-Historiker und war an der Humboldt-Universität Berlin seit 1988 als Hochschuldozent für Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit in der Sektion Geschichte tätig. Seine Lehrbefähigung und den Titel eines doctor scientiae erwarb er durch zwei Dissertationen (A und B), die nicht veröffentlicht sind. Sein Arbeitsverhältnis blieb nach dem Beitritt zunächst bestehen. Zuletzt arbeitete er am Institut für Geschichtswissenschaften des Fachbereichs Philosophie und Geschichtswissenschaft.
An der Hochschule war nach dem Beitritt eine Struktur- und Berufungskommission (SBK) gebildet worden, der die Evaluierung der aus der Deutschen Demokratischen Republik übernommenen Hochschullehrer oblag. Im Rahmen seiner Tätigkeit für diese Kommission erstellte Prof. S., Hochschullehrer an der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, im Jahre 1992 ein Gutachten über die fachliche Eignung des Beschwerdeführers. Er stützte sich dabei ausschließlich auf die beiden Dissertationen. Nach seinem Urteil handelt es sich bei der Dissertation A eher um eine politisch interessierte Analyse als um eine geschichtswissenschaftliche Arbeit. Die Dissertation B führe insgesamt zu keiner erheblichen Veränderung des Erkenntnisstandes über ihren Gegenstand, die Frühgeschichte der CDU und ihrer Wirtschaftskonzeptionen. Der Arbeit fehle vor allem die bei diesem Thema notwendige Auseinandersetzung mit der einschlägigen westdeutschen Literatur, die lediglich zitiert werde. Das Gutachten schließt mit der Bewertung: Angesichts der Tatsache, daß sich die Arbeiten auf einem sehr schmalen Feld der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik bewegten, die Publikationstätigkeit des Beschwerdeführers bisher äußerst gering gewesen sei und seine ungedruckten Qualifikationsarbeiten keine überzeugenden Belege für seine Fähigkeit zu historisch-kritischem Arbeiten erbrächten, sei eine dauerhafte Weiterbeschäftigung wegen mangelnder Qualifikation nicht vertretbar.
Die SBK hörte im November 1991 den Beschwerdeführer an und sprach sich daraufhin mit vier Stimmen bei zwei Enthaltungen für eine Kündigung aus. Zwei der von der Humboldt-Universität benannten Hochschullehrer fehlten sowohl bei der Anhörung als auch bei der Abstimmung. Nach erneuter schriftlicher Anhörung bekräftigte die SBK, deren Vorsitzender inzwischen Prof. S. geworden war, im Januar 1993 ihr früheres Votum. Anfang April 1993 wurde dem Beschwerdeführer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation gekündigt.
b) Die Kündigungsschutzklage des Beschwerdeführers war in erster Instanz erfolgreich.
Das Landesarbeitsgericht änderte das Urteil und wies die Klage ab. Es verneinte einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers hinsichtlich der Eignungsanforderungen. Die Entscheidung der beklagten Hochschule halte der Nachprüfung aber stand. Die Hochschule habe die fachliche Eignung des Beschwerdeführers, insbesondere aufgrund des Gutachtens und einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. S., überzeugend verneint. Vor allem der Umstand, daß der Beschwerdeführer auch bis 1994 die bemängelten Leistungen in den Dissertationen nicht durch andere überzeugende wissenschaftliche Veröffentlichungen ausgeglichen habe, trage wesentlich zur Rechtfertigung der Kündigung bei. Der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei an einer Veröffentlichung wissenschaftlicher Abhandlungen gehindert gewesen, brauche nicht nachgegangen zu werden. Er habe keine konkreten Abhandlungen benannt oder vorgelegt, an deren Veröffentlichung er gehindert gewesen sei. Das Verfahren vor der SBK diene lediglich der verwaltungsinternen Vorbereitung eines zivilrechtlichen Vorgehens; rechtliche Außenwirkung entfalte es nicht. Verfahrensfehlern brauche deshalb nicht nachgegangen zu werden.
Die Verlängerung der Sonderkündigungstatbestände sei verfassungsgemäß. Es liege in der Kompetenz des Bundesgesetzgebers, unterschiedliche Kündigungsschutzbestimmungen für unterschiedliche Teile des Staatsgebietes zu erlassen, sofern dafür sachlich rechtfertigende Gründe bestünden. Davon sei hier auszugehen. Der Personalabbau sei vielfach nicht mit der erwarteten Zügigkeit durchgeführt worden. Alle Betroffenen hätten mit einer Anpassung des Zeitrahmens an die tatsächlichen Gegebenheiten rechnen müssen. Im übrigen sei die Kündigung auch nach § 1 Abs. 2 KSchG wirksam.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wurde zurückgewiesen.
c) Mit seiner gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts und mittelbar gegen das Verlängerungsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG.
Die Verlängerung der Sonderkündigungstatbestände sei rechtsstaatswidrig. Der Einigungsvertrag lasse eine Verlängerung nicht zu. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten auf die befristete Geltung dieser Bestimmungen vertraut. Daß der Personalabbau nicht fristgerecht durchgeführt worden sei, hätten die...
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