Urteil vom 10.10.2019 - BVerwG 3 C 8.17

JurisdictionGermany
Judgment Date10 Octubre 2019
Neutral CitationBVerwG 3 C 8.17
ECLIDE:BVerwG:2019:101019U3C8.17.0
Applied RulesHeilprG § 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 1, § 5,LogopG § 2 Abs. 1 Nr. 1,1. DVO-HeilprG § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. i,LogAPrO § 1 Abs. 1,GG Art. 12 Abs. 1
Registration Date18 Febrero 2020
Record Number101019U3C8.17.0
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heil- und Heilhilfsberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchenrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 10.10.2019 - 3 C 8.17

BVerwG 3 C 8.17

  • VG Sigmaringen - 28.06.2016 - AZ: VG 7 K 3134/15
  • VGH Mannheim - 23.03.2017 - AZ: VGH 9 S 1899/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2019
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß und Dr. Kenntner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. März 2017 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt von dem beklagten Land eine auf den Bereich der Logopädie beschränkte - sektorale - Heilpraktikererlaubnis.

2 Sie absolvierte in den Jahren 1999 bis 2002 eine Ausbildung zur Logopädin und ist seitdem - zunächst angestellt, seit dem Jahr 2004 selbstständig - unter dieser Berufsbezeichnung tätig. Ihren im März 2015 gestellten Antrag auf Erteilung einer auf das Gebiet der Logopädie beschränkten Heilpraktikererlaubnis lehnte das Landratsamt Tübingen mit Bescheid vom 30. April 2015 ab. Das Heilpraktikergesetz (HeilprG) kenne nur die einheitliche Berufsbezeichnung "Heilpraktiker/in". Die Verwaltungsvorschrift des Landes zur Durchführung des Heilpraktikergesetzes sehe die ausnahmsweise Erteilung einer sektoralen Erlaubnis nur für die Gebiete Psychotherapie, Physiotherapie und Podologie vor. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium Tübingen mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2015 zurück. Die Erteilung einer auf ein bestimmtes Fachgebiet beschränkten Heilpraktikererlaubnis setze voraus, dass die beabsichtigte heilkundliche Tätigkeit hinreichend abgrenzbar sei. Das sei bei der Logopädie nicht der Fall. Die eigenverantwortliche Ausübung der Heilkunde in diesem Bereich erfordere in vielen Fällen eine umfangreiche Differentialdiagnostik in ganz unterschiedlichen medizinischen Fachgebieten. Die logopädische Therapie sei auch nicht eindeutig umrissen. Je nach Art und Ursache der zu behandelnden Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- oder Hörstörungen würden unterschiedliche Therapieformen angewendet.

3 Ihrer Klage mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 30. April und 28. August 2015 zu verpflichten, über ihren Erlaubnisantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 28. Juni 2016 stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Urteil vom 23. März 2017 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die von der Klägerin beabsichtigte Anwendung logopädischer Behandlungsmethoden ohne ärztliche Verordnung erfülle die Voraussetzungen der erlaubnispflichtigen Heilkundeausübung im Sinne von § 1 Abs. 2 HeilprG. Die Tätigkeit erfordere heilkundliche Fachkenntnisse und könne nennenswerte Gesundheitsgefährdungen zur Folge haben. Die Gefahrengeneigtheit der heilkundlichen Tätigkeit lasse sich auch ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens bejahen. Es könne bereits davon ausgegangen werden, dass mit der Anwendung mancher logopädischer Behandlungsmethoden unmittelbare Gesundheitsrisiken verbunden seien. Unabhängig davon drohten jedenfalls mittelbare Gefährdungen, weil Patienten im Einzelfall davon absehen könnten, einen Arzt aufzusuchen, obwohl dies geboten wäre. Die Erlaubnispflicht nach dem Heilpraktikergesetz entfalle nicht deshalb, weil die Klägerin ausgebildete Logopädin sei. Dieser Berufsabschluss berechtige nicht zur Krankenbehandlung ohne ärztliche Verordnung und somit nicht zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Recht angenommen, dass die Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf den Bereich der Logopädie erteilt werden dürfe. Der Umfang der erlaubten Heiltätigkeit sei hinreichend bestimmt, weil das Gebiet der Logopädie hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar sei. Der Tätigkeitsumfang werde durch die staatliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäden definiert. Zudem handele es sich um ein in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenes Heilmittel. Dass die logopädische Tätigkeit zu einem gewissen Teil Verrichtungen umfasse, die nicht dem Heilkundebereich zuzuordnen seien oder bei denen die Zuordnung zweifelhaft sein könnte, stehe der Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis nicht entgegen. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestehe kein Anlass. Die hinreichende Ausdifferenziertheit und Abgrenzbarkeit seien keine medizinisch-fachlichen Tatsachen, die einem Beweis zugänglich wären. Ein Logopäde sei allerdings allein kraft seiner Ausbildung nicht zu einer Krankenbehandlung ohne ärztliche Verordnung befähigt. Zum Schutz der Patienten sei deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, dass die in der Ausbildung nicht vermittelten Kenntnisse für eine eigenverantwortliche logopädische Heilkundetätigkeit nachgewiesen würden.

4 Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Der Verwaltungsgerichtshof habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt. Er hätte ein Sachverständigengutachten dazu einholen müssen, ob logopädische Verfahren geeignet seien, unmittelbare oder mittelbare Gesundheitsgefährdungen hervorzurufen, und ob das Gebiet der Logopädie hinreichend ausdifferenziert und abgrenzbar sei. Zudem hätte er weiter aufklären müssen, ob die Logopädie überwiegend von Tätigkeiten geprägt sei, die heilkundliche Fachkenntnisse erforderten. Die Einstufung der logopädischen Behandlungsmethoden als insgesamt heilkundliche Tätigkeit sei nur nachvollziehbar, sofern der heilkundliche Tätigkeitsanteil den nicht-heilkundlichen Anteil weit überwiege. Das Berufungsurteil lasse im Unklaren, was der heilkundliche Teil der logopädischen Tätigkeit sei und wie er vom nicht-heilkundlichen Bereich abzugrenzen sei. Es gebe eine Vielzahl logopädischer Therapieformen, die nicht eindeutig oder ausschließlich heilkundlicher Natur seien. Die für die Erlaubniserteilung erforderliche Abgrenzbarkeit der heilkundlichen logopädischen Tätigkeit sei deshalb nicht gegeben. Es sei zudem verfehlt, die krankenversicherungsrechtlichen Heilmittelvorschriften zur Bestimmung des Berufsbildes der Logopädie heranzuziehen. Das Berufungsurteil beruhe außerdem auf einer unrichtigen Auslegung des Heilpraktikerrechts. Eine weitere Aufsplitterung der Heilpraktikererlaubnis stehe nicht im Einklang mit dem Zweck des Heilpraktikergesetzes und widerspreche der staatlichen Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Gesetzgeber habe bewusst davon abgesehen, den Gesundheitsfachberufen die Befugnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde einzuräumen. Die Zulassung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis für Logopädie mit der damit verbundenen eingeschränkten Kenntnisüberprüfung höhle das gesetzliche Schutzkonzept aus und gefährde die Patientensicherheit. Logopäden behandelten oftmals Patienten mit einer schwerwiegenden Grunderkrankung. Es bedürfe daher stets einer ausführlichen Diagnostik. Ohne ärztliche Befunderhebung könne kein sinnvolles Therapiekonzept erstellt werden, schwerwiegende Grunderkrankungen würden möglicherweise nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt. Aufgrund des weiten logopädischen Tätigkeitsgebietes, das praktisch alle medizinischen Fachbereiche berühre, müssten die Anforderungen an die Kenntnisüberprüfung im Wesentlichen denen der allgemeinen Heilpraktikererlaubnis entsprechen. Sei aber eine umfassende Kenntnisüberprüfung geboten, fehle der Grund für die Zulassung einer sektoralen Erlaubnis. Die Änderungen des Heilpraktikerrechts durch Art. 17e und Art. 17f des Dritten Pflegestärkungsgesetzes vom 23. Dezember 2016 zeigten die Absicht des Gesetzgebers, das Niveau der Überprüfung der Heilpraktikeranwärter im Interesse des Patientenschutzes zu erhöhen. Die Zulassung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis für das Gebiet der Logopädie widerspreche diesem Ziel. Soweit der Verwaltungsgerichtshof auf das Bestehen einer systematischen Unstimmigkeit verweise, die sich daraus ergebe, dass der Gesetzgeber einerseits Gesundheitsfachberufe mit erheblichen Qualifikationsanforderungen geschaffen habe und andererseits über das Heilpraktikergesetz die Möglichkeit der Heilkundeausübung allein aufgrund einer Kenntnisüberprüfung durch das Gesundheitsamt beibehalten habe, berücksichtige er nicht, dass sich diese Unstimmigkeit aufgrund der gestiegenen Anforderungen an die Kenntnisüberprüfung erheblich verringert habe.

5 Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.

6 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht lehnt eine auf das Gebiet der Logopädie beschränkte Heilpraktikererlaubnis ab. Es bestünden grundlegende Bedenken, die Rechtsprechung zur sektoralen Heilpraktikererlaubnis für das Gebiet der Physiotherapie auf andere...

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