Urteil vom 10.10.2012 - BVerwG 7 C 10.10

JurisdictionGermany
Judgment Date10 Octubre 2012
Neutral CitationBVerwG 7 C 10.10
ECLIDE:BVerwG:2012:101012U7C10.10.0
CitationBVerwG, Urteil vom 10.10.2012 - 7 C 10.10
Registration Date15 Mayo 2013
Applied RulesAEUV Art. 267,EH-RL Art. 9 Abs. 1 und 3, Art. 10, 11, Anhang III Nr. 3, 5, 7,ZuG 2012 § 2 Satz 3, § 4 Abs. 3, § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 und 2,,TEHG a. F. §§ 1, 5, 6, 9, § 10 Abs. 4, §§ 16, 18,GG Art. 3, 12, 14,§§ 19, 20,,ZuG 2007 § 4 Abs. 4, §§ 5, 8 Abs. 1, § 11 Abs. 2
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number101012U7C10.10.0

BVerwG 7 C 10.10

  • VG Berlin - 13.04.2010 - AZ: VG 10 K 27.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Decker
am 10. Oktober 2012 für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. April 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Die Klägerin, ein Energieversorgungsunternehmen, wendet sich gegen die Kürzung der kostenlosen Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 und begehrt eine Mehrzuteilung von Zertifikaten in numerisch nicht bezeichneter Höhe.

2 Sie betreibt in B. das in den Jahren 1963 bis 1974 in Betrieb gegangene Braunkohlekraftwerk N. mit den Blöcken A bis H (Bestandsanlage) und dem im Jahr 2003 neu errichteten Block K (Erweiterungsanlage). Diesem Kraftwerk teilte die Beklagte mit Bescheid vom 20. Februar 2008 für die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 72 792 515 Emissionsberechtigungen zu (14 558 503 Berechtigungen jeweils zum 28. Februar des Jahres). Für die Kapazitätserweiterung der Anlage sind dabei im Vergleich zur ersten Zuteilungsperiode um ca. 40 % weniger Emissionsberechtigungen zugeteilt worden, auf das gesamte Kraftwerk bezogen werden in der zweiten Handelsperiode durch die kostenlosen Zuteilungen lediglich ca. 50 % des Bedarfs abgedeckt.

3 Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

4 Die Zuteilungen für die Bestandsanlage seien zu Recht auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 ZuG 2012 erfolgt und für den neu errichteten Block K auf der Grundlage des § 8 Abs. 2 ZuG 2012. Eine Anwendung von § 8 Abs. 1 ZuG 2007 auf den Erweiterungsteil scheide aus. § 2 Satz 3 i.V.m. § 8 Abs. 2 ZuG 2012 stehe dem entgegen. Aufgrund der Kommissionsentscheidung vom 29. November 2006 habe eine periodenübergreifende Zuteilung auch für neuere Bestandsanlagen nicht mehr erfolgen können. Ein Vertrauen auf die Fortführung der privilegierenden Regelung habe sich nicht bilden können, nachdem die Kommission im Jahre 2004 ihre diese betreffende Zustimmung ausdrücklich auf die erste Handelsperiode beschränkt habe. Zudem sehe das Zuteilungsgesetz 2012 für Energieanlagen ohnehin keinen Erfüllungsfaktor mehr vor, dessen Anwendung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 ZuG 2007 entfallen könnte. Die Zuteilung für die Erweiterungskapazität habe von einem produktbezogenen Emissionswert von 750 g CO2/kWh ausgehen müssen und nicht von den von der Klägerin für richtig befundenen 950 g CO2/kWh. Zudem habe der Berechnung der Zuteilungen an die Bestandsanlage nicht die tatsächliche Produktionsmenge der Kapazitätserweiterung (als Abzugsfaktor) zu Grunde gelegt werden dürfen, vielmehr hätten insoweit der Standardauslastungsfaktor und der produktbezogene Standardemissionswert zur Anwendung kommen müssen. Dies folge aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 ZuG 2012, wonach die in Abzug zu bringende Menge nach Maßgabe von Abs. 1 Satz 1 und somit nach dem Standardauslastungsfaktor zu ermitteln sei. Zu Recht habe die Beklagte für die Veräußerungskürzung einen Faktor von 0,844001906 und für die anteilige Kürzung einen solchen von 0,925 angewendet.

5 Die das Kraftwerk der Klägerin treffende Kürzung der zugeteilten Zertifikate sei mit der Emissionshandelsrichtlinie vereinbar. Das Kriterium 3 des Anhanges III der Richtlinie stelle auf die Gesamtmenge der Zuteilung in dem jeweiligen Mitgliedstaat ab, nicht aber auf bedarfsgerechte Mengenzuteilungen im Einzelfall. Auch garantiere Art. 10 Satz 2 der Richtlinie keine kostenlose Zuteilung im Umfang von 90 % der Emissionsberechtigungen an die jeweilige Anlage.

6 Die Kürzungen von Berechtigungen nach dem Zuteilungsgesetz 2012, die Vereinnahmung eines Versteigerungserlöses sowie der Verzicht des Gesetzes auf einen eigenen Braunkohle-Benchmark seien mit dem Grundgesetz - insbesondere auch mit der Finanzverfassung - vereinbar. Besonderheiten der Braunkohleverstromung werde durch begünstigende Festlegungen zum Standardauslastungsfaktor und zum Effizienzstandard Rechnung getragen. Nicht zu beanstanden sei, dass der Gesetzgeber wegen der problematischen Wettbewerbssituation Industrieanlagen einem anderen, günstigeren Zuteilungsmechanismus unterwerfe als Energieanlagen. Die Klägerin werde durch die Veräußerungskürzung nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt. Der Gesetzgeber sei insbesondere nicht gehindert, die Möglichkeit der Ableitung von Treibhausgasen zu einem wirtschaftlichen Produktionsfaktor zu machen. Die Kürzungen führten auch im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit zu keinem unverhältnismäßigen Ergebnis.

7 Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt:

8 Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze Bundesrecht, weil es maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts in Form der Emissionshandelsrichtlinie zu Lasten der Klägerin nicht richtig anwende. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit dem Kriterium 3 des Anhangs III der Richtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten, im Rahmen der Aufstellung der nationalen Allokationspläne dafür Sorge zu tragen, dass Zuteilungsregelungen nicht so ausgestaltet werden, dass für bestimmte, dem Emissionshandelsrecht unterfallende Tätigkeiten von vorneherein mit dem Potential der Anlage nicht im Einklang stehende Zuteilungen generiert werden. Mit dem Verzicht auf einen Braunkohle-Benchmark im Zuteilungsgesetz 2012 sei dies aber erfolgt. Das Kriterium 3 beziehe sich nicht ausschließlich auf die Gesamtmenge der Zuteilungen im jeweiligen Mitgliedstaat. Denn der Anhang III diene ausweislich seines Wortlauts dazu, den Mitgliedstaaten Vorgaben für deren nationale Allokationspläne zu machen. Das Kriterium 3 sei zudem im Zusammenhang mit der Anordnung einer mindestens 90%igen kostenlosen Zuteilung nach Art. 10 Satz 2 EH-RL zu verstehen. Beide Vorschriften zielten auf die durch das Verhältnismäßigkeitsgebot geforderte schonende und angemessene Einführung des Emissionshandelssystems mit einer zum ganz überwiegenden Teil kostenlosen Zuteilung der benötigten Emissionsberechtigungen. Den Erwägungsgründen 5, 8 und 20 der Emissionshandelsrichtlinie sei zu entnehmen, dass der Einsatz energieeffizienter Technologien gefördert werden solle bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Potentials zur Emissionsverringerung bei Tätigkeiten in industriellen Verfahren. Mitgliedstaaten müssten daher bei der ihnen freistehenden Verwendung der Benchmarkzuteilungssysteme von den besten verfügbaren Techniken ausgehen und dürften keine hiervon abweichende Benchmarkmethodik vorsehen. Das für die vorliegende Energieanlage relevante BVT-Referenzdokument unterscheide ausdrücklich zwischen den Brennstoffen Steinkohle und Braunkohle. Die Nichtberücksichtigung eines an den besten verfügbaren Techniken für Braunkohlekraftwerke ausgerichteten Emissionswertes im Zuteilungsgesetz 2012 habe zur Folge, dass der Betreiber einer derartigen Anlage sich nicht ansatzweise zwischen technischen Maßnahmen zur Emissionsreduzierung und Effizienzsteigerung oder dem käuflichen Erwerb von Emissionsberechtigungen entscheiden könne; er sei für den weiteren Betrieb der Anlage vielmehr zwingend auf den käuflichen Erwerb von Berechtigungen am Markt mit den dort sich ergebenden Preisen angewiesen. Mit Unionsrechts sei dies nicht vereinbar. Anders als Art. 11 Abs. 1 EH-RL, der auf die Gesamtzahl der Zertifikate abstelle, sei die kostenlose Mindestzuteilung von 90 % der Emissionsberechtigungen in Art. 10 Satz 2 EH-RL auch auf die einzelne Anlage bezogen. In Folge des Fehlens eines Benchmarks für den Einsatz von Braunkohle zur Energiegewinnung komme es vorliegend lediglich zu einer kostenlosen Zuteilung von Emissionsberechtigungen in Höhe von ca. 50 % des Bedarfs der Anlage. Die hier inmitten stehenden Fragen der Auslegung von Unionsrechts nötigten zur Aussetzung des Verfahrens und deren Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung.

9 Die Veräußerungskürzung nach § 20 ZuG 2012 verstoße gegen die Finanzverfassung des Grundgesetzes. Entgegen dem Verwaltungsgericht gebe es für eine in der Versteigerung von Berechtigungen nach § 20 ZuG 2012 liegende Abgabenerhebung keine besondere sachliche Rechtfertigung im Sinne der grundgesetzlichen Finanzverfassung. Insbesondere könne von keiner Verbesserung der Allokationseffizienz ausgegangen werden. Die Steuerung des Kraftwerkseinsatzes erfolge unabhängig davon, ob Berechtigungen kostenlos oder kostenpflichtig erlangt worden seien. Einen Lenkungseffekt durch die Verringerung des Umfangs der kostenlosen Zuteilungen gebe es nicht. Wenn der Gesetzgeber bestimmte Gewinne aus einer unternehmerischen Tätigkeit aus ökologischen Motiven abschöpfen wolle, stehe ihm hierzu wegen der fehlenden korrespondierenden Gegenleistung allein die Erhebung einer Steuer zur Verfügung. Einen solchen Regelungsgehalt habe § 20 ZuG 2012 jedoch nicht. Auch die Abschöpfung von windfall profits betreffe nicht die Effizienz des Handelssystems. Die durch §§ 19, 20 ZuG 2012 ermöglichte nichtsteuerliche Abgabenerhebung finde ebenso keine besondere sachliche Rechtfertigung in der Abschöpfung eines staatlich gewährten Sondervorteils. Eine knappe natürliche Ressource sei nicht betroffen. Die Kapazität der Luft zur Aufnahme von...

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