Urteil vom 12.07.2022 - BVerwG 4 A 10.20

JurisdictionGermany
Judgment Date12 Julio 2022
Neutral CitationBVerwG 4 A 10.20
ECLIDE:BVerwG:2022:120722U4A10.20.0
Record Number120722U4A10.20.0
Registration Date20 Octubre 2022
Subject MatterRecht des Ausbaues von Energieleitungen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 12.07.2022 - 4 A 10.20 -

BVerwG 4 A 10.20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt, Prof. Dr. Külpmann und Dr. Hammer und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
für Recht erkannt:

  1. Die Klagen werden abgewiesen
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte
Gründe I

1 Die Kläger wenden sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss in Gestalt eines Planergänzungsbeschlusses für eine Höchstspannungsfreileitung südwestlich von Köln.

2 Der Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln vom 30. Dezember 2016 stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Rommerskirchen - Sechtem, Bauleitnummer (Bl.) 4215 fest. Die Leitung ist ein Teilstück des als Nr. 15 in den Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) aufgenommenen Vorhabens "Neubau Höchstspannungsleitung Osterath - Weißenthurm, Nennspannung 380 kV".

3 Zwischen Frechen und Brühl nutzt die planfestgestellte Trasse den Trassenraum der zu demontierenden Bl. 4501 (220-/380-kV-Freileitung) und der Bl. 0706 (110-kV-Freileitung "Gleuel West" und "Gleuel Ost"), deren Stromkreise mitgeführt werden. Ab Mast 61 quert sie den Ortsteil Hürth-Efferen in einem Grünzug entlang der Straßen "In den Höhnen" und "Kiebitzweg". In diesem Bereich liegt das Grundstück, an dem die Kläger als Eigentümer unterschiedlicher Wohnungen zum Zeitpunkt der Klageerhebung miterbbauberechtigt waren und das für einen Schutzstreifen in Anspruch genommen werden soll. Im weiteren Verlauf werden die Stromkreise der Bl. 0706 in die Umspannanlage Kalscheuren eingeführt und sodann - erstmals - als Weiterleitung dieser Stromkreise zwei 110-kV-Stromkreise auf dem Gestänge mitgeführt. Die Trasse verschwenkt sodann in südliche Richtung, verläuft am Ostrand von Köln-Meschenich über landwirtschaftlich genutzte Flächen und erreicht den Punkt Brühl.

4 Auf eine Klage der Kläger erklärte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - (BVerwGE 161, 263) den Planfeststellungsbeschluss hinsichtlich des zwischen dem Punkt Frechen und dem Punkt Brühl liegenden Abschnitts für rechtswidrig und nicht vollziehbar. Die Entscheidung für die Trasse in diesem Bereich war fehlerhaft, weil die Möglichkeit einer Umgehung der Ortslage von Hürth (damals Variante 5a/b) nicht ausreichend ermittelt und abgewogen worden war (a. a. O. Rn. 78 ff.).

5 Der Beklagte führte ein ergänzendes Verfahren durch, ohne die Öffentlichkeit erneut zu beteiligen. Die Kläger konnten in den Räumen der Beigeladenen Einsicht in die Aufstellungsvorgänge nehmen und erhielten die Unterlagen mit Gelegenheit zur Stellungnahme vom 30. April 2020 bis zum 15. Mai 2020.

6 Im Planergänzungsverfahren wurde die ehemalige Variante 5a/b in vier technischen Varianten aufgegliedert und weiter untersucht. Die Varianten umgeben Hürth-Efferen südlich. Sie verlaufen vom Punkt Frechen aus in südöstlicher Richtung, queren das Gebiet zwischen dem Hürther Waldsee und dem Otto-Maigler-See, in dem auch das Naturschutzgebiet und Natura-2000-Gebiet "Waldseenbereich Theresia" liegt, verschwenken nach Osten und teilen sich östlich des Chemieparks Knapsack in die Untervarianten A und B auf. Die Untervarianten A verlaufen nordöstlich zwischen den Ortslagen Fischenich und Kendenich, die Untervarianten B südöstlich auf zum Teil neuer Trasse zum Punkt Brühl. Mit Planergänzungsbeschluss vom 25. Juni 2020 hielt die Planfeststellungsbehörde das ursprüngliche Abwägungsergebnis aufrecht.

7 Die Kläger machen geltend, der Planfeststellungsbeschluss in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses leide an Verfahrensmängeln, weil die Planfeststellungsbehörde nicht auf einen Erörterungstermin habe verzichten dürfen und die Einsichtnahme in die Unterlagen erschwert gewesen sei. Das Festhalten an der Antragstrasse erweise sich als abwägungsfehlerhaft. So seien Varianten zu Unrecht schon im Wege der Grobprüfung verworfen worden. Die Einbeziehung der 110-kV-Leitungen in die Planung sei inkonsistent, die Untersuchungsergebnisse zu den Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft seien nicht nachvollziehbar. Belastungen der Anwohner seien nicht ausreichend ermittelt und die von der Vorhabenträgerin vorgelegten Ergebnisse von der Planfeststellungsbehörde nicht geprüft worden. In der Gesamtabwägung seien die Auswirkungen des Vorhabens auf den Menschen zu gering gewichtet worden.

8 Die Kläger beantragen,
den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln vom 30. Dezember 2016 für die Errichtung und den Betrieb der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Rommerskirchen - Sechtem in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 25. Juni 2020 im Abschnitt Punkt Frechen - Punkt Brühl aufzuheben.

9 Der Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klagen abzuweisen.

10 Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.

II

11 Die Klagen sind nicht begründet. Der Planfeststellungsbeschluss in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12 A. Der Planergänzungsbeschluss ist frei von Verfahrensfehlern ergangen.

13 I. Der Beklagte hat ohne Rechtsfehler von einem Erörterungstermin abgesehen. Für das ergänzende Verfahren im Sinne des § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG NRW gilt nach § 43d Satz 1 i. V. m. § 43 Abs. 4 und 5 EnWG der § 76 VwVfG NRW mit der Maßgabe, dass im Falle des § 76 Abs. 1 VwVfG NRW von einer Erörterung im Sinne des § 73 Abs. 6 VwVfG NRW und des § 18 Abs. 1 Satz 4 UVPG abgesehen werden kann. Der Verweis in § 43d Satz 1 EnWG ist nicht auf die Fälle wesentlicher Planänderungen nach § 76 Abs. 1 VwVfG NRW beschränkt. Nach § 43d Satz 1 EnWG i. V. m. § 76 Abs. 3 VwVfG NRW bedarf es auch dann keines Anhörungsverfahrens und damit keines Erörterungstermins, wenn ein ergänzendes Verfahren nicht auf eine Änderung des regelnden Teils des Plans gerichtet ist. In einem solchen Fall erweist sich § 43d Satz 1 EnWG als Rechtsfolgenverweisung (BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 4 A 9.19 - UPR 2022, 98 Rn. 35 f.).

14 Der Senat muss nicht entscheiden, ob und wie der Verzicht auf einen Erörterungstermin im Falle einer unwesentlichen Planänderung oder des Festhaltens am Plan begründet werden muss. Die in dem Planergänzungsbeschluss (PEB S. 5 und S. 83) sowie dem Aktenvermerk vom 19. Mai 2020 niedergelegte Begründung, wonach im Ergänzungsverfahren auf einen Erörterungstermin verzichtet werden konnte, weil keine neuen oder stärkeren Betroffenheiten ausgelöst worden sind und die maßgeblichen Punkte bereits Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens waren, genügte jedenfalls. Wie der Wortlaut des § 76 Abs. 3 VwVfG zeigt, ist der Verzicht auf das Anhörungsverfahren und damit auch auf einen Erörterungstermin entgegen der klägerischen Ansicht nicht auf Ausnahmefälle beschränkt.

15 II. Die Kläger wurden ausreichend beteiligt. Nach § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG NRW genügt selbst für den Fall, dass nach der Änderung eines Plans Belange Dritter erstmals oder stärker als bisher berührt werden, eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen. Dies muss erst recht gelten, wenn der Plan im ergänzenden Verfahren aufrechterhalten bleibt.

16 B. Die Entscheidung, an der Antragstrasse festzuhalten, leidet nicht an erheblichen Abwägungsfehlern.

17 Gemäß § 43 Abs. 3 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsverbot verlangt, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT