Urteil vom 12.12.2019 - BVerwG 8 C 8.19

JurisdictionGermany
Judgment Date12 Diciembre 2019
Neutral CitationBVerwG 8 C 8.19
ECLIDE:BVerwG:2019:121219U8C8.19.0
Applied RulesGG Art. 9 Abs. 3, Art. 19
Registration Date25 Febrero 2020
Record Number121219U8C8.19.0
Subject MatterVergaberecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 12.12.2019 - 8 C 8.19

BVerwG 8 C 8.19

  • VG Düsseldorf - 30.04.2015 - AZ: VG 6 K 2894/13
  • OVG Münster - 17.09.2018 - AZ: OVG 13 A 1328/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2019
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
für Recht erkannt:

  1. Die Revision wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger wendet sich gegen eine Verordnung des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen, die bestimmte Tarifverträge für repräsentativ im Sinne der Tariftreueregelung des nordrhein-westfälischen Vergaberechts erklärt. Er ist ein bundesweit tätiger Arbeitgeberverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Seine Mitgliedsunternehmen werden mehrheitlich von der öffentlichen Hand getragen. In Nordrhein-Westfalen erbringen sie insbesondere Leistungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs.

2 Das Gesetz über die Sicherung von Tariftreue und Sozialstandards sowie fairen Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen - TVgG NRW) vom 10. Januar 2012 (GV.NRW 2012, S. 17) sah vor, dass öffentliche Aufträge im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs nur an Unternehmen vergeben werden durften, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichteten, ihren Beschäftigten bei der Ausführung der Leistung mindestens das in Nordrhein-Westfalen für diese Leistungen in einem der einschlägigen und repräsentativen mit einer tariffähigen Gewerkschaft vereinbarten Tarifverträge vorgesehene Entgelt nach den tarifvertraglich festgelegten Modalitäten zu zahlen und während der Ausführungslaufzeit Änderungen nachzuvollziehen. Das für Arbeit zuständige Ministerium bestimmte durch Rechtsverordnung, welche Tarifverträge als repräsentativ im Sinne der gesetzlichen Tariftreueregelung anzusehen waren. Nach der gesetzlichen Verordnungsermächtigung war zur Feststellung der Repräsentativität auf die Bedeutung eines Tarifvertrages für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insbesondere auf die Zahl der von den jeweils tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigten, unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Beschäftigten oder auf die Zahl der jeweils unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Mitglieder der Gewerkschaft abzustellen, die den Tarifvertrag geschlossen hatte. Auf dieser Grundlage erklärte die Verordnung zur Feststellung der Repräsentativität von Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs (Repräsentative TarifverträgeVO - RepTVVO 2012) vom 31. Oktober 2012 (GV.NRW S. 552) einige Tarifverträge für repräsentativ. Vom Kläger abgeschlossene Tarifverträge waren nicht darunter.

3 Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass ihn die RepTVVO 2012in seiner durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit verletze und nichtig sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mangels feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses und mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seine Klage auf die am 5. April 2016 erlassene, an die Stelle der RepTVVO 2012getretene Repräsentative Tarifverträge Verordnung - RepTVVO 2016(GV.NRW S. 196) umgestellt, welche Tarifverträge des Klägers ebenfalls nicht für repräsentativ erklärt und auch nach den Änderungen des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen - TVgG NRW vom 31. Januar 2017 (GV.NRW S. 273) und vom 22. März 2018 (GV.NRW S. 172) fortgilt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Feststellungsklage sei statthaft, aber unzulässig, weil der Kläger nicht klagebefugt sei. Er könne sich als von der öffentlichen Hand getragener Verband nicht auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Von den 97 Mitgliedsunternehmen des Klägers stünden 68 und damit rund 70 % der Unternehmen ganz oder überwiegend im Eigentum inländischer öffentlich-rechtlicher Körperschaften oder Anstalten. Der Kläger könne sich daher ebenso wenig wie ein überwiegend staatlich beherrschtes gemischtwirtschaftliches Unternehmen auf Grundrechte berufen. Das folge aus der Grundrechtsbindung des Staates nach Art. 1 Abs. 3 GG und dem Sinn und Zweck der Grundrechte als Freiheitsrechte des Bürgers gegen die Staatsgewalt. Der Ausschluss der Grundrechtsberechtigung hänge weder von der Art der vom Kläger wahrgenommenen Aufgaben noch von seiner Organisationsform ab. Der Kläger könne auch nicht dem von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Lebensbereich zugeordnet werden. Er diene nicht der Verwirklichung individueller Freiheitsrechte und sei weder vom Staat unabhängig noch ihm gegenüber distanziert. Vielmehr habe die ihn tragende Mehrheit öffentlicher Arbeitgeber maßgeblichen Einfluss auf die verbandsinterne Willensbildung. Aus der einfachgesetzlichen Tariffähigkeit des Klägers könne ebenfalls nicht auf seine Grundrechtsberechtigung geschlossen werden.

4 Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, das Berufungsgericht überspanne die Anforderungen an die Annahme einer Klagebefugnis. Er könne sich auf die kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Seine Tätigkeit sei dem von diesem Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen. Bezogen auf den Schutzbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit drohe keine Konfusion von Grundrechtsbindungen und Grundrechtsberechtigungen eines mehrheitlich staatlich getragenen Arbeitgeberverbandes. Jede Tarifvertragspartei sei ohnehin zugleich Adressat und Berechtigter von Grundrechten. Die kollektive Koalitionsfreiheit könne schon begrifflich nicht von Individuen wahrgenommen werden. Deshalb sei unerheblich, dass die Tätigkeit des Klägers nicht der individuellen Grundrechtsausübung diene. Als Adressat der Tariftreueregelung befinde sich der Kläger überdies in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage. Ihm müsse daher Rechtsschutz ermöglicht werden. Dafür spreche auch die gebotene Berücksichtigung des Grundrechts auf kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 EMRK. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könne sich auch eine im Staatsbesitz befindliche juristische Person auf Rechte der Konvention berufen, sofern sie - wie der Kläger - keine öffentlichen...

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