Urteil vom 13.01.2022 - BVerwG 6 A 7.20

Judgment Date13 Enero 2022
ECLIDE:BVerwG:2022:130122U6A7.20.0
Neutral CitationBVerwG 6 A 7.20
CitationBVerwG, Urteil vom 13.01.2022 - 6 A 7.20 -
Record Number130122U6A7.20.0
Registration Date06 Abril 2022
Applied RulesGG Art. 5 Abs. 1 Satz 2, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4,VwGO § 99,IFG §§ 1, 3 Nr. 8, § 7 Abs. 2 Satz 1,BArchG § 1 Nr. 2, § 1 Nr. 10, § 3 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 1, §§ 10, 11, 12, 13
Subject MatterRecht der Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste, einschließlich der gegen diese Behörden gerichteten oder ihre Akten betreffenden Informations-, Auskunfts- und Einsichtsansprüche
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 6 A 7.20

In den Verwaltungsstreitsachen hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden
  2. Die Verfahren werden eingestellt, soweit die Beteiligten sie übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben
  3. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen
  4. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren
Gründe I

1 Die Klägerin ist Journalistin und Verfasserin zahlreicher Bücher mit politisch-historischen Inhalten. Sie streitet mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) um die Einsicht in Unterlagen aus der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien und die Benutzung von Find- und Recherchemitteln.

2 Die Klägerin beantragte mit E-Mail vom 21. Juli 2014 und gleichlautendem Schreiben vom 22. Juli 2014 bei dem BND "Einsicht in sämtliche Berichte, die Ihre Behörde in der Zeit von 1975 bis 1983 (Ende der Militärdiktatur) aus Argentinien erhalten hat, vor allem die Vermerke, Memos etc. Ihrer an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires tätigen Mitarbeiter." Der BND bestätigte unter dem 24. Juli 2014 den Eingang des Einsichtsbegehrens und bat, um dieses als Antrag nach § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BArchG a.F. effizient bearbeiten zu können, um die präzise und vollständige Ausfüllung eines dem Bestätigungsschreiben beigefügten Antragsformulars. Die Klägerin gab in dem von ihr mit Datum vom 24. Juli 2014 ausgefüllten und an den BND zurückgesandten Formular in der Rubrik "Benutzungsthema (bitte benennen Sie Zeitraum und präzise Suchbegriffe für die Datenbankrecherche)" Folgendes an: "Argentinien -1975-83, Militärdiktatur, K. + Z., Politische Gefangene, Terrorismus, Verschwundene deutsche Staatsbürger, Berichte des BND-Residenten 75-83, Atomwaffen".

3 Der BND führte zunächst eine Abfrage in seiner Archivdatenbank FAUST zu den von der Klägerin benannten Suchbegriffen durch. Die Unterlagen, die in den als Treffer ausgeworfenen Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703 enthalten waren, überprüfte er in einem weiteren Schritt manuell auf ihre Anfragegegenständlichkeit, auf die nicht durch Treffer belegten Suchbegriffe (sog. Spitzbewertung), auf den Ablauf der dreißigjährigen Schutzfrist des § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BArchG a.F. und auf eine Geheimschutzbedürftigkeit im Sinne des § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. Im Ergebnis beschied der BND die Klägerin unter dem 6. Februar 2015 dahingehend, dass zu den Begriffen "Militärdiktatur", "Z.", "Politische Gefangene", "Terrorismus", "verschwundene deutsche Staatsbürger" und "Atomwaffen" in Bezug auf Argentinien 1975-1983 im Archiv des BND keine Dokumente hätten ermittelt werden können. Im Hinblick auf "Argentinien 1975-1983" und "Berichte des BND-Residenten 1975-1983" sei die in den Signaturen 07.406 Teil 1 und 07.406 Teil 2 enthaltene sog. Ausgangsberichterstattung identifiziert worden. In die ca. 220 deklassifizierten Seiten dieser Signaturen könne die Klägerin Einblick nehmen. Im Übrigen könnten die Dokumente in den genannten Signaturen der Klägerin nicht zugänglich gemacht werden, weil absolute Versagungsgründe gemäß § 5 Abs. 8 (Satz 1) i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. gegeben seien. Die eigentliche Berichterstattung der Residentur - die Meldungen im engeren Sinne -, die in die Ausgangsberichterstattung eingeflossen sei, habe nach den von der Klägerin übermittelten Schlagworten in dem Archiv nicht ermittelt werden können.

4 Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 6. Februar 2015 Widerspruch ein. Sie machte unter anderem geltend, es sei unglaubwürdig, dass in dem Archiv des BND keine Dokumente zu den von ihr genannten Themenbereichen Diktatur, Terrorismus, politische Gefangene, Z. etc. hätten festgestellt werden können. Ihr müsse der Zugang zu den Findmitteln und den Registraturen des BND ermöglicht werden, damit sie selbst nach den entsprechenden Unterlagen suchen könne. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2015, zugestellt am 28. Juli 2015, wies der BND den Widerspruch der Klägerin zurück. Er habe unter vollständiger und lückenloser Berücksichtigung sämtlicher von der Klägerin angegebenen Suchbegriffe eine Datenbankabfrage durchgeführt. Er habe alle ihm zur Verfügung stehenden Such- und Recherchemittel vollständig eingesetzt sowie sämtliche im BND-Archiv verfügbaren Archivalien vollständig zur Bearbeitung des Antrags der Klägerin herangezogen. Ein Anspruch auf Einsicht in die als anfragegegenständlich erkannten Dokumente sei, soweit diese nicht vollständig zugänglich gemacht worden seien, nach § 5 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 BArchG a.F. nicht gegeben. Es bestehe im Sinne dieser Vorschrift Grund zu der Annahme einer Gefährdung des Wohls der Bundesrepublik Deutschland, wenn die Geheimhaltung der von ausländischen öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellten Informationen aufgehoben und dadurch der Informationsaustausch des BND mit anderen Nachrichtendiensten sowie letztlich die Aufgabenerfüllung des Dienstes gefährdet werde. Eine öffentlichkeitsorientierte Nutzung des für die Dokumentensuche genutzten Datenbanksystems durch Externe müsse unterbleiben, da dieses das maßgebende und abschließende Recherchemittel des BND nicht nur für die Bearbeitung von archivrechtlichen Nutzungsanfragen, sondern auch für interne Zwecke sei und in erheblichem Umfang substantielle Informationen über die einem archivrechtlichen Nutzungsverbot und die als Verschlusssachen der amtlichen Geheimhaltung unterliegenden Aktenbestände des BND enthalte. Zudem ergebe sich aus dem Bundesarchivgesetz generell kein Anspruch auf die Nutzung von behördeninternen Such- und Recherchemitteln.

5 Am 27. August 2015 hat die Klägerin die zunächst unter dem Aktenzeichen 6 A 4.15 und zuletzt unter dem Aktenzeichen 6 A 7.20 geführte Klage mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zu verpflichten, ihr sämtliche bei dem BND vorhandenen amtlichen Unterlagen mit Bezug zu Argentinien in der Zeit der Militärdiktatur zu den Themen gemäß den in dem Antragsformular vom 24. Juli 2014 genannten Suchbegriffen zur Einsichtnahme bereitzustellen sowie ihr Zugang zu den Find- und Recherchemitteln bei dem BND zum Zweck der eigenen Recherche nach den betreffenden Unterlagen zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2016 hat die Klägerin ihr Einsichtsbegehren einerseits konkretisiert und auf die von denjenigen Signaturen umfassten Unterlagen - vollständig und ungeschwärzt - gerichtet, die sich ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs bei der Datenbankrecherche des BND als Treffer qualifiziert hätten, unabhängig davon, ob sie der BND für anfragegegenständlich erachtet habe, mithin die Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703 . Die Klägerin hat andererseits betont, dass sie entsprechend ihrem ursprünglichen Verwaltungsantrag unabhängig von den von ihr später angegebenen Suchbegriffen, deren Sachgerechtigkeit im Hinblick auf das Ablagesystem des BND sie nicht beurteilen könne, Einsicht in sämtliche Berichte fordere, die der BND in der Zeit von 1975 bis 1983 aus Argentinien erhalten habe, vor allem in die Vermerke, Memos etc. der Mitarbeiter des BND an der deutschen Botschaft in Buenos Aires aus dieser Zeit.

6 Mit Beweisbeschluss vom 18. August 2016 hat der Senat der Beklagten aufgegeben, ihm über die bereits gegenüber der Klägerin als Signaturen 07.406 Teil 1 OT und 07.406 Teil 2 OT offengelegten Unterlagen hinaus sämtliche bei dem BND unter den Signaturen 07.406 Teil 1, 07.406 Teil 2, 32.303, 32.305, 32.306, 32.309, 10.701 und 10.703 erfassten Unterlagen vollständig und ungeschwärzt vorzulegen. Mit einer unter dem 28. Februar 2017 abgegebenen und unter dem 18. Juni 2017 in geringem Umfang wieder aufgehobenen Sperrerklärung hat das Bundeskanzleramt unter Berufung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und Alt. 3 VwGO eine Vorlage der angeforderten Unterlagen ohne in Teilen vorzunehmende Schwärzungen verweigert. Die Beklagte hat dem Senat die nach den Vorgaben des Bundeskanzleramts teilweise geschwärzten Unterlagen übersandt. Die Klägerin hat Akteneinsicht in diese Unterlagen erhalten. Sie hat in der Folge ihr Einsichtsbegehren hinsichtlich der in dem Beweisbeschluss vom 18. August 2016 genannten Signaturen mit Ausnahme von Blatt 112 und Blatt 420 bis 433 der Signatur 32.303 sowie Blatt 1 bis 142, 147 bis 151 und 248 bis 414 der Signatur 32.309 für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Teilerledigungserklärung angeschlossen.

7 Der Senat hat mit Beschluss vom 25. September 2017 den Beweisbeschluss vom 18. August 2016 an die durch die übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen veränderte prozessuale Lage angepasst und festgestellt, dass die Entscheidungserheblichkeit der hiernach weiterhin angeforderten Unterlagen auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Bundesarchivrechts mit dem darin enthaltenen, novellierten Gesetz über die Nutzung und Sicherung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz - BArchG) vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410) gegeben sei. Am 29. September 2017 hat der Senat das Verfahren auf Antrag der Klägerin an den gemäß § 189 VwGO gebildeten Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts (Fachsenat) zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung des Bundeskanzleramts abgegeben.

8 Mit Schriftsatz vom 20...

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