Urteil vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20161013.2bvr136816 |
Citation | BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16 - Rn. (1-73), |
Judgement Number | 2 BvR 1368/16 |
Date | 13 Octubre 2016 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Verkündet
am 13. Oktober 2016
Fischböck
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1368/16 -
- 2 BvR 1444/16 -
- 2 BvR 1482/16 -
- 2 BvR 1823/16 -
- 2 BvE 3/16 -
I. |
über die Verfassungsbeschwerde |
des Herrn Prof. Dr. rer. nat. B…, |
- Bevollmächtigter:
- Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider,
- Treiberpfad 28, 13469 Berlin -
gegen |
1. |
eine Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland durch das zuständige Regierungsmitglied zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) und deren Zustimmung zur vorläufigen Anwendung dieses Abkommens im Rat der Europäischen Union, |
2. |
für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht erkennt, dass die Beschlüsse des Rates der Europäischen Union nicht der Zustimmung aller Mitgliedstaaten und damit auch nicht der Zustimmung Deutschlands bedürfen, gegen das Unterlassen der Bundesregierung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Verabschiedung des Abkommens der Europäischen Union mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) und die vorläufige Anwendung dieses Abkommens durch Beschluss des Rates der Europäischen Union zu verhindern, insbesondere eine Staatenklage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Europäische Union zur Klärung der Vertragswidrigkeit des Abkommens der Europäischen Union mit Kanada, CETA, und auch dessen vorläufige Anwendbarkeit zu betreiben |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1368/16 -,
II. |
über die Verfassungsbeschwerden |
der Frau G…, |
||
sowie 68.015 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
- 1. Prof. Dr. Andreas Fisahn,
- Grüner Weg 83, 32130 Enger,
-
2. Prof. Dr. Martin Hochhuth,
Kaiser-Joseph-Straße 268, 79098 Freiburg -
gegen |
1. |
die Zustimmung zum CETA-Vertrag durch die Bundesregierung im Rat der Europäischen Union oder im Europäischen Rat, |
2. |
hilfsweise die Zustimmung der Europäischen Union zum CETA-Vertrag, |
|
3. |
die Zustimmung des Bundestages zum CETA-Vertrag |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1444/16 -,
III. |
über die Verfassungsbeschwerden |
des Herrn A…, |
||
sowie 62 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M. -
gegen |
1. |
die Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten |
Annahme des CETA sowie die ebenfalls beantragte Autorisierung des Ratspräsidenten zum Abschluss des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU, |
||
2. |
die Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten vorläufigen Anwendung des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1482/16 -,
IV. |
über die Verfassungsbeschwerden |
1. |
des Herrn H…, |
|
2. |
des Herrn B…, |
|
3. |
des Herrn Dr. K…, |
|
sowie 125.009 weiterer Beschwerdeführer, |
- Bevollmächtigter:
- 1. Prof. Dr. Bernhard Kempen,
- Rheinblick 1, 53424 Oberwinter,
-
2. Prof. Dr. Wolfgang Weiß,
Sep-Ruf-Straße 33, 90480 Nürnberg -
gegen |
die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zur Unterzeichnung, zum Abschluss und zur vorläufigen Anwendung des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits (CETA) bzw. gegen die Nichtablehnung dieser Ratsbeschlüsse durch den deutschen Vertreter im Rat |
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 1823/16 -,
sowie |
||
V. |
über den Antrag, im Organstreitverfahren festzustellen, dass die Antragsgegnerin |
|
1. |
mit der Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten Annahme des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) sowie der ebenfalls beantragten Autorisierung der Ratspräsidenten zum Abschluss des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU das Grundgesetz und Europarecht und dadurch Rechte des Deutschen Bundestages verletzt, |
|
2. |
mit der Nichtablehnung der durch die Kommission beantragten vorläufigen Anwendung des CETA im Namen der EU durch den Deutschen Vertreter im Rat der EU das Grundgesetz und Europarecht und dadurch Rechte des Deutschen Bundestages verletzt |
Antragstellerin: |
Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Dr. Dietmar Bartsch und Dr. Sahra Wagenknecht, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano, LL.M -
Antragsgegnerin: |
Bundesregierung, vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundeskanzleramt, 10557 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Franz Mayer, LL.M., Lettestraße 3, 10437 Berlin -
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvE 3/16 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2016 durch
für Recht erkannt:
- Die Verfahren über die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden nach Maßgabe der Gründe abgelehnt.
A.
Die Verfassungsbeschwerden und das Organstreitverfahren richten sich gegen die Unterzeichnung, die vorläufige Anwendung und den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits (Comprehensive Economic and Trade Agreement - CETA).
I.
Die Europäische Union und Kanada beschlossen auf ihrem Gipfeltreffen in Berlin im Jahr 2007, ein Gutachten über die Kosten und Vorteile einer engeren ökonomischen Partnerschaft einzuholen. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine Beseitigung der Handelsschranken mit einem erheblichen Wachstum der wirtschaftlichen Aktivität der Europäischen Union und Kanadas einherginge.
1. Am 10. Juni 2009 nahmen die Europäische Union und Kanada Verhandlungen über ein Wirtschafts- und Handelsabkommen auf. Am 1. August 2014 wurden die Verhandlungen abgeschlossen und das Abkommen paraphiert. Auf dem Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und Kanada im September 2014 wurde das Ende der Verhandlungen bekannt gegeben. Obwohl die Verhandlungen bereits im Jahr 2014 abgeschlossen waren und der ausgehandelte Text von CETA im August 2014 veröffentlicht worden war, vereinbarten die Europäische Kommission und die kanadische Regierung später, im Rahmen von CETA beim Investitionsschutz und bei der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten einen neuen Ansatz zugrunde zu legen. Am 29. Februar 2016 verkündete die Kommission, dass die Europäische Union und Kanada sich auf einen derartigen neuen Ansatz geeinigt hätten und man von dem derzeitigen Ad-hoc-Schiedsgerichtssystem zugunsten eines ständigen, institutionalisierten Gerichts für die Beilegung von Streitigkeiten abweichen werde. Die Mitglieder des Gerichts würden künftig nicht mehr von den Streitparteien, also dem Investor und dem beteiligten Staat, sondern im Voraus von den Vertragsparteien des Abkommens ernannt. Ethische Verpflichtungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten würden detailliert geregelt und ein Berufungssystem eingeführt, das den in den innerstaatlichen Rechtsordnungen bestehenden Systemen vergleichbar sei.
2. CETA soll ausweislich der Erwägungsgründe der Präambel der weiteren Stärkung der engen Wirtschaftsbeziehungen der Vertragsparteien (erster Erwägungsgrund) und der Schaffung eines erweiterten und sicheren Marktes für die Waren und Dienstleistungen der Vertragsparteien durch den Abbau oder die Beseitigung von Handels- und Investitionshemmnissen (zweiter Erwägungsgrund) dienen. Gleichzeitig bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, in ihren Hoheitsgebieten unter Wahrung ihrer Flexibilität berechtigte Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz, öffentliche Sittlichkeit sowie die Förderung und den Schutz der kulturellen Vielfalt zu verfolgen und regelnd tätig zu werden (sechster und achter Erwägungsgrund).
3. Der ausgehandelte Entwurf des Abkommens (im Folgenden: CETA-E) hat mehrere Bestandteile. Der Hauptteil besteht aus 30 Kapiteln, die teilweise in Abschnitte gegliedert sind. Darüber...
Um weiterzulesen
FORDERN SIE IHR PROBEABO AN-
Urteil vom 02. März 2021 - 2 BvE 4/16
...über die in früheren Abkommen ausgenommenen Teile hinausgehen. 2. Der Senat hat mit Urteil vom 13. Oktober 2016 in den Verfahren 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 und 2 BvE 3/16 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters i......
-
Beschluss vom 19. November 2021 - 2 BvQ 96/21
...werden dürfen, bis das Bundesverfassungsgericht über die vorliegende Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2092/16 und die Verfassungsbeschwerden 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 sowie im Organstreitverfahren 2 BvE 3/16 endgültig entschieden hat Antragsteller: (….) hat die 2......
-
Beschluss vom 09. Februar 2022 - 2 BvR 1368/16
...- 2 BvR 1368/16 - - 2 BvR 1444/16 - - 2 BvR 1482/16 - - 2 BvR 1823/16 - - 2 BvE 3/16 - IM NAMEN DES VOLKES In den Verfahren I. über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Prof. Dr. rer. nat. (…), - Bevollmächtigter: (…) - gegen 1. eine Zustimmung der Bundesrepublikdie Verabschiedung des Abkomm......
-
Beschluss vom 07. Dezember 2016 - 2 BvR 1444/16
...der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg geblieben (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvE 3/16 -, Rn. 41). 1. a) Eine einstweilige Anordnung, die dem deutschen Vertreter im Rat di......
-
Urteil vom 02. März 2021 - 2 BvE 4/16
...über die in früheren Abkommen ausgenommenen Teile hinausgehen. 2. Der Senat hat mit Urteil vom 13. Oktober 2016 in den Verfahren 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 und 2 BvE 3/16 den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters i......
-
Beschluss vom 19. November 2021 - 2 BvQ 96/21
...werden dürfen, bis das Bundesverfassungsgericht über die vorliegende Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2092/16 und die Verfassungsbeschwerden 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16 sowie im Organstreitverfahren 2 BvE 3/16 endgültig entschieden hat Antragsteller: (….) hat die 2......
-
Beschluss vom 09. Februar 2022 - 2 BvR 1368/16
...- 2 BvR 1368/16 - - 2 BvR 1444/16 - - 2 BvR 1482/16 - - 2 BvR 1823/16 - - 2 BvE 3/16 - IM NAMEN DES VOLKES In den Verfahren I. über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Prof. Dr. rer. nat. (…), - Bevollmächtigter: (…) - gegen 1. eine Zustimmung der Bundesrepublikdie Verabschiedung des Abkomm......
-
Beschluss vom 07. Dezember 2016 - 2 BvR 1444/16
...der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg geblieben (vgl. Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1368/16, 2 BvR 1444/16, 2 BvR 1482/16, 2 BvR 1823/16, 2 BvE 3/16 -, Rn. 41). 1. a) Eine einstweilige Anordnung, die dem deutschen Vertreter im Rat di......