Urteil vom 17.09.2021 - BVerwG 3 C 21.20

Judgment Date17 Septiembre 2021
ECLIDE:BVerwG:2021:170921U3C21.20.0
Neutral CitationBVerwG 3 C 21.20
CitationBVerwG, Urteil vom 17.09.2021 - 3 C 21.20 -
Registration Date16 Diciembre 2021
Record Number170921U3C21.20.0
Subject MatterGesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heilberufe, der Gesundheitsfachberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchen- und Infektionsschutzrechts
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 3 C 21.20

  • VG Köln - 07.11.2017 - AZ: VG 7 K 5706/14
  • OVG Münster - 04.03.2020 - AZ: OVG 13 A 3138/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dr. Sinner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 2020 wird zurückgewiesen
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Der Rechtsstreit betrifft die Abgrenzung von diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke und Präsentationsarzneimitteln.

2 Die Klägerin vertreibt in Österreich hergestellte Produkte in Deutschland, sie bringt u.a. das Erzeugnis "... Kapseln" unter der ergänzenden Bezeichnung "Diätetisches Lebensmittel zum Diätmanagement bei Prostatabeschwerden" in den Verkehr. Auf der Verpackung ist eine Einnahmeempfehlung von 2 x 2 Kapseln täglich für Erwachsene angebracht. Diese Tagesdosis enthält laut Etikettierung 560 mg Weidenröschenkrautpulver, 360 mg Sägepalmenfrüchteextrakt, 8 mg Lycopin, 80 mg Vitamin C und 13,4 mg Vitamin E.

3 Auf der Internetseite des österreichischen Herstellers werden zu den Inhaltsstoffen folgende Angaben gemacht: "Inhaltsstoffe des Weidenröschens wirken antiviral, antitumoral und hemmen jene Enzyme, die bei der Entstehung der benignen Prostatahyperplasie (BPH) involviert sind. Sabalfrüchte wirken entzündungshemmend, antiproliferativ und antiödematös. Dadurch ergibt sich das folgende Anwendungsgebiet: Miktionsstörungen bedingt durch BPH (Stadium I-II). Die Vitamine C und E sowie das Carotinoid Lycopin schützen die Prostata vor freien Radikalen. Lycopin besitzt eine protektive Wirkung gegenüber Prostatakrebs." Einen Hinweis auf den Namen des Herstellers oder seine Internetseite enthält das Etikett des von der Klägerin vertriebenen Produkts nicht.

4 Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Antrag des saarländischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie nach § 21 Abs. 4 des Arzneimittelgesetzes - AMG - fest, dass es sich bei dem Erzeugnis um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele. Das Produkt sei als Präsentationsarzneimittel anzusehen. Sägepalmextrakt finde als Urologikum Anwendung zur symptomatischen Behandlung von Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie. Es seien zahlreiche Fertigarzneimittel mit diesem Wirkstoff auf dem Markt, sodass hierfür eine Verkehrsauffassung als Arzneimittel existiere. Aufgrund seiner traditionellen volksmedizinischen Anwendung bei Miktionsbeschwerden bestehe auch für Weidenröschenpulver eine Verkehrsauffassung als Arzneimittel. Aus dieser Verkehrsauffassung und den Angaben zu den Wirkungen der Inhaltsstoffe ergebe sich eine objektive Zweckbestimmung als Arzneimittel. Hieran könne die subjektive Zweckbestimmung der Verkehrsbezeichnung als Lebensmittel nichts ändern. Schließlich müsse das Erzeugnis auch als Funktionsarzneimittel bewertet werden, weil die empfohlene Einnahmemenge von 360 mg Sägepalmextrakt über der in der Monographie der Kommission E genannten Tagesdosis von 320 mg liege.

5 Den daraufhin erhobenen Widerspruch wies das BfArM mit Bescheid vom 29. September 2014 zurück. Zwar werde an der Einordnung als Funktionsarzneimittel nicht mehr festgehalten, weil in der angegebenen Dosierung eine pharmakologische Wirkung nicht belegt sei. Schon mit der Produktbezeichnung greife das Erzeugnis aber die bestehende Verkehrsauffassung von Sägepalmenfruchtextrakt zur Verwendung bei Prostataleiden auf. Auch eine Internetrecherche mit gängigen Suchmaschinen belege, dass die für Sägepalmenfrucht gezeigten Treffer ganz überwiegend arzneiliche oder therapeutische Verwendungen zum Gegenstand hätten.

6 Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht Köln abgewiesen. Die Beklagte habe das Erzeugnis zu Recht als Präsentationsarzneimittel eingestuft. Bei dieser Bewertung sei die von der Klägerin gewählte Produktkategorie hinwegzudenken; andernfalls läge die Zulassungspflicht als Arzneimittel in ihrem Belieben. Mit den Inhaltsstoffen präsentiere die Klägerin durchgehend pflanzliche Zubereitungen mit langjähriger arzneilicher Verwendung bei der Behandlung einer benignen Prostatahyperplasie und ihren urologischen Folgeerscheinungen. Diese Inhaltsstoffe seien dem potentiellen Kundenkreis, der an entsprechenden Beschwerden leide, als pflanzliche Arzneimittel bekannt. Die Voraussetzungen eines diätetischen Lebensmittels erfülle das Präparat der Klägerin im Übrigen nicht. Auch diätetische Lebensmittel seien für - wenngleich besondere - Ernährungszwecke bestimmt; hieran fehle es bei dem streitbefangenen Erzeugnis.

7 Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen das erstinstanzliche Urteil geändert und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Bei der Abgrenzung eines Präsentationsarzneimittels von einem diätetischen Lebensmittel seien Besonderheiten zu beachten. Da das Diätmanagement einen Krankheitsbezug aufweise, dürfe auch das hierfür bestimmte Lebensmittel mit Bezug auf diese Krankheit ausgelobt werden. Die Pflichtangaben bei Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke seien daher grundsätzlich nicht geeignet, die Präsentationsarzneimitteleigenschaft eines Produkts zu begründen. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs handele es sich bei dem streitbefangenen Erzeugnis nicht um ein Präsentationsarzneimittel. Dies gelte, obwohl das Erzeugnis die Voraussetzungen für die Annahme eines diätetischen Lebensmittels aller Voraussicht nach nicht erfülle: Es sei nicht erkennbar, dass Prostatabeschwerden einen speziellen Nährstoffbedarf hervorriefen, der durch die Kapseln ausgeglichen werde. Die unzutreffende Einordnung als diätetisches Lebensmittel bewirke aber keine Einstufung als Präsentationsarzneimittel. Schutz vor derartigen Falschdeklarationen sei vielmehr mit den Mitteln des Lebensmittelrechts zu gewährleisten.

8 Zur Begründung ihrer Revision trägt die Beklagte insbesondere vor, die Annahme eines Präsentationsarzneimittels werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass die hierfür maßgeblichen Angaben zugleich zu den Pflichtangaben der in Anspruch genommenen Produktkategorie gehörten. Mit der ausgelobten Indikation Prostatabeschwerden werde vorliegend ein direkter Krankheitsbezug hergestellt. Die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG enthaltene Ausnahmeregelung könne ein Erzeugnis nur in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke nachgewiesen seien. Hieran fehle es vorliegend auch nach Auffassung des Berufungsgerichts. Angesichts seiner stofflichen Zusammensetzung stelle das Erzeugnis der Klägerin aus Verbrauchersicht nicht ein falsch deklariertes Lebensmittel, sondern ein wirkungsloses Arzneimittel dar.

9 Die Klägerin hält die Revision bereits für unzulässig, da innerhalb der Revisionsbegründungsfrist kein bestimmter Antrag gestellt worden sei. Auch in der Sache sei die Revision nicht begründet. Bei der Abgrenzung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke und Präsentationsarzneimitteln komme es auf die Zweckbestimmung "zum Diätmanagement" an. Werde sie - wie vorgeschrieben - angegeben, könne das Erzeugnis auch dann nicht als Präsentationsarzneimittel eingestuft werden, wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke nicht erfüllt seien. Ob ein Lebensmittel ordnungsgemäß aufgemacht und gekennzeichnet sei, unterfalle nicht der Prüfkompetenz der Beklagten, sondern obliege der Prüfung durch die...

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