Urteil vom 17.12.2021 - BVerwG 7 C 7.20

JurisdictionGermany
Judgment Date17 Diciembre 2021
Neutral CitationBVerwG 7 C 7.20
ECLIDE:BVerwG:2021:171221U7C7.20.0
Registration Date05 Mayo 2022
Record Number171221U7C7.20.0
Subject MatterAbfallrecht und Bodenschutzrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 17.12.2021 - 7 C 7.20 -

BVerwG 7 C 7.20

  • OVG Lüneburg - 23.05.2019 - AZ: 7 KS 78/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2021
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer, Dr. Günther, Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2019 wird zurückgewiesen
  2. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt die Erweiterung einer Deponie.

2 Sie betreibt im Landkreis Northeim in Niedersachsen eine Deponie mit derzeit ca. 10 ha Fläche. Im Oktober 2014 beantragte sie die Erweiterung der Deponiefläche um ca. 7,1 ha. Ungefähr 4,5 ha der Erweiterungsfläche liegen in dem knapp 17 000 ha umfassenden EU-Vogelschutzgebiet V68 "Sollingvorland", das der Kommission der Europäischen Union 2007 gemeldet worden ist. In dem der Meldung zugrundeliegenden Standarddatenbogen wird in der Artenliste der Neuntöter - neben acht anderen Vogelarten - mit vier Exemplaren erwähnt und das Vorkommen dieser Vogelart mit der Stufe "C" angegeben. Unter dem Gliederungspunkt 4.2 "Quality and Importance" des Standarddatenbogens heißt es: "Hohe Bedeutung für Brutvogelarten der strukturreichen Kulturlandschaft des Berglandes (Rotmilan/Uhu)".

3 Der im Landkreis Holzminden liegende Teil des Schutzgebietes, nicht aber die 655 ha große Teilfläche im Landkreis Northeim, sind in der Folge unter nationalen Gebietsschutz nach § 32 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) gestellt worden.

4 Während des Planfeststellungsverfahrens äußerten die zuständigen Behörden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf die Betroffenheit des Neuntöters. Zwischenzeitlich seien 223 Neuntöter-Paare dokumentiert. Das Gebiet sei faktisches Vogelschutzgebiet, weshalb eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes unzulässig sei.

5 Das beklagte Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig stellte mit Beschluss vom 8. August 2017 den Plan der Klägerin für die Deponieerweiterung unter Ablehnung der Erweiterung im Bereich des Vogelschutzgebiets fest. In dem faktischen Vogelschutzgebiet seien in 2012 und 2014 jeweils vier teilweise wechselnde Neuntöter-Reviere in den Randbereichen der Deponie festgestellt worden; jeweils ein Brutrevier habe im geplanten Erweiterungsbereich gelegen. Die zwischen 2010 und 2014 kartierte Populationsgröße von mindestens 223 Exemplaren habe bereits bei der Meldung als Vogelschutzgebiet bestanden, so dass damals die Einstufung als wertbestimmende Art gerechtfertigt gewesen sei. Da die untere Naturschutzbehörde in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2017 ausgeführt habe, eine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung des Vogelschutzgebietes könne nicht ausgeschlossen werden, widerspreche die beantragte Planfeststellung Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie.

6 Die Klage gegen die Ablehnung der Feststellung des Plans für die Erweiterung der Deponie im Bereich des Vogelschutzgebietes hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Mai 2019 abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss sei im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Es sei nicht im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sichergestellt, dass durch die beantragte Erweiterung der Deponie keine Gefahren für die geschützten Güter hervorgerufen würden. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie setze der abfallrechtlichen Fachplanung Schranken, die im Wege der Abwägung nicht überwunden werden könnten. Das in der Vogelschutzrichtlinie vorgesehene strenge Schutzregime für faktische Vogelschutzgebiete sei für die streitigen ca. 4,5 ha anzuwenden.

7 Es spreche Überwiegendes dafür, dass bereits 2007 ein Bestand von 223 Exemplaren vorhanden gewesen sei und es sich dabei um einen stetigen Bestand handele. Zwischenzeitlich sei der Neuntöter in der Aufstellung wertbestimmender Vogelarten der EU-Vogelschutzgebiete in Niedersachsen genannt. Zur (nachträglichen) Berücksichtigung des Neuntöters sei keine Ergänzung des Standarddatenbogens in einem neuen Meldeverfahren nach der Vogelschutzrichtlinie erforderlich. Die Richtlinie sei ihrem Zweck nach auf einen dynamischen Schutz aller wildlebenden Vogelarten gerichtet.

8 Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und führt aus: Die erfolgte Unterschutzstellung sei ausreichend. Zum Zeitpunkt der Planfeststellung hätten 96 Prozent der an die Kommission gemeldeten Schutzgebietsfläche unter nationalem Schutz gestanden. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Neuntöters liege nicht vor. Für den Neuntöter liege es fern, ihn in der äußerst kleinen Teilfläche von 4,5 ha als wertbestimmend anzunehmen. Es fehlten hinreichende Feststellungen dazu, ob und inwieweit die Flächen mit Blick auf den Neuntöter zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten gehörten. Die Nichtaufnahme des Neuntöters sei nicht bewusst sachwidrig erfolgt. Das Vogelschutzgebiet V68 habe für den Neuntöter den 21. Platz von den 35 Schutzgebieten in Niedersachsen eingenommen, für die in den Vollzugshinweisen des Landes mit Stand 2011 jeweils ein nicht wertbestimmendes Vorkommen der Art angegeben sei. Die Beklagte habe nicht hinreichend belegt, dass die später festgestellten 223 Exemplare auch schon im Jahr 2007 dort gelebt hätten. Die damalige rechtmäßige Gebietsmeldung könne nicht durch spätere Erkenntnisse wieder in Frage gestellt werden. Für ein Nachmeldeverfahren wäre die Landesregierung im Benehmen mit dem Bundesumweltministerium zuständig und müsste den Standarddatenbogen nutzen. Selbst wenn der Neuntöter als wertbestimmend zu betrachten wäre, sei zu prüfen, ob und inwieweit sich dies auf das gesamte Schutzgebiet oder lediglich Teile davon auswirke. Es wären die weitreichenden Folgen einer solchen Nachberücksichtigung mit dem verfassungs- und unionsgrundrechtlich geschützten Eigentum in Ausgleich zu bringen. Auch die Bagatellgrenzen für Flächenverluste seien nicht überschritten. Das Schutz- und Kompensationskonzept gewährleiste, dass ein günstiger Erhaltungszustand der Art gesichert bleibe.

9 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2019 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Planfeststellungsantrag zu entscheiden, soweit darin die Planfeststellung hinsichtlich des im EU-Vogelschutzgebiet ''Sollingvorland'' liegenden Teils des Flurstücks 52/3, Flur 2 der Gemarkung Lüthorst abgelehnt worden ist.

10 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11 Der Beklagte verteidigt das Urteil und führt ergänzend aus: Auch bei Anwendung allein ornithologischer Kriterien seien die streitgegenständlichen Flächen einzubeziehen. Denn es stehe fest, dass Uhu und Rotmilan als wertbestimmende Arten dort vorkämen. Der Standarddatenbogen aus dem Jahr 2007 bestätige die Einordnung als wertbestimmende Art. Dort sei die Population mit "p>4" angegeben und als signifikant mit Stufe "C" bewertet worden.

II

12 Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auf keinem Verstoß gegen revisibles Recht.

13 1. Allerdings ist im Hinblick auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung und nicht auf den des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses abzustellen.

14 Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebend ist, beantwortet nicht das Prozessrecht, sondern das einschlägige materielle Recht (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 1990 - 8 C 87.88 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 218 und vom 20. Oktober 2016 - 7 C 6.15 - Buchholz 404 IFG Nr. 20 Rn. 12). Danach ist bei Planfeststellungsverfahren für die Begründetheit der Anfechtungsklage wie der auf § 74 Abs. 2 VwVfG gestützten Verpflichtungsklage auf Planergänzung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. April 1997 - 11 A 7.97 - BVerwGE 104, 337 , vom 1. April 2004 - 4 C 2.03 - BVerwGE 120, 276 und vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 52). Dies hat - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - seinen Grund darin, dass Kern der planerischen Entscheidung die fachplanerische Abwägung durch die Planfeststellungsbehörde ist. Die jeweiligen Vorschriften des...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT