Urteil vom 18. September 2024 - 2 BvE 1/20
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:es20240918.2bve000120 |
Judgement Number | 2 BvE 1/20 |
Date | 18 September 2024 |
Citation | BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 18. September 2024 - 2 BvE 1/20 -, Rn. 1-136, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Leitsätze
zum Urteil des Zweiten Senats vom 18. September 2024
– 2 BvE 1/20, 2 BvE 10/21 –
Wahl/Abwahl von Ausschussvorsitzenden im Deutschen Bundestag
- Jenseits der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und daraus abgeleitet der Fraktionen gilt der Grundsatz der formalen Gleichheit. Daraus leitet sich ein Recht auf Gleichbehandlung ab
- Dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch findet seinen Ausdruck im Recht der Abgeordneten und der Fraktionen auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich daher – als Teilhabeanspruch – auch auf Beteiligungsrechte, die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingeräumt werden und über die unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden spezifischen Statusrechte hinausgehen
- Einschränkungen der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten und der Fraktionen durch die Geschäftsordnung unterliegen besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen. Sie müssen dem Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren
- Geht es demgegenüber allein um den formalen Status der Gleichheit der Abgeordneten in Form der Teilhabe an Rechtspositionen, die erst die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einräumt, findet eine verfassungsgerichtliche Überprüfung lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind.
Verkündet
am
18. September 2024
Keck
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 1/20 -
- 2 BvE 10/21 -
Wahl/Abwahl von Ausschussvorsitzenden
im Deutschen Bundestag
I. | über die Anträge festzustellen, | |
b) | dass der Deutsche Bundestag dadurch gegen die Rechte der Antragstellerin aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes – Recht auf Gleichbehandlung als Fraktion sowie Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – und gegen deren aus dem Rechtsstaatsprinzip, Artikel 20 Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 des Grundgesetzes folgendes Recht auf effektive Opposition verstößt, dass er es dem von der Antragstellerin entsandten Abgeordneten Brandner unmöglich macht, seine Rechte und Pflichten als Vorsitzender des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages tatsächlich wahrzunehmen, |
Antragstellerin: | AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Vorsitzenden Tino Chrupalla und Dr. Alice Weidel, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigter: (…) -
Antragsgegner: | 1. | Deutscher Bundestag, vertreten durch die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
2. | Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, vertreten durch die Vorsitzende Elisabeth Winkelmeier-Becker, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigte:
(…) -
und | Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen |
- 2 BvE 1/20 -,
II. | über den Antrag festzustellen, |
Antragstellerin: | AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Vorsitzenden Tino Chrupalla und Dr. Alice Weidel, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigter:
(…) -
Antragsgegner: | 1. | Deutscher Bundestag, vertreten durch die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
2. | Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages, vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. Lars Castellucci, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, | |
3. | Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, vertreten durch die stellvertretende Vorsitzende Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, | |
4. | Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages, vertreten durch den stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Christoph Hoffmann, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, | |
5. | Präsidentin des Deutschen Bundestages, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, | |
6. | Präsidium des Deutschen Bundestages, vertreten durch die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, |
- Bevollmächtigte:
(…) -
und | Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen |
- 2 BvE 10/21 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Langenfeld,
Wallrabenstein,
Fetzer,
Offenloch,
Frank,
Wöckel
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2024 durch
für Recht erkannt:
- Die Verfahren 2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- Die Anträge werden, soweit sie zulässig sind, zurückgewiesen. Im Übrigen werden die Anträge verworfen.
- Die Anträge der Antragstellerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen werden abgelehnt.
A.
Die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren betreffen die Besetzung von Ausschussvorsitzen im Deutschen Bundestag. Die Antragstellerin wendet sich zum einen gegen die Abwahl des ihrer Fraktion angehörenden Vorsitzenden des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (im Folgenden: Rechtsausschuss) in der 19. Wahlperiode (2 BvE 1/20). Zum anderen rügt sie die Durchführung von Wahlen unter den Ausschussmitgliedern zur Bestimmung der Vorsitzenden der Ausschüsse für Inneres und Heimat (im Folgenden: Innenausschuss), Gesundheit (im Folgenden: Gesundheitsausschuss) und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (im Folgenden: Entwicklungsausschuss) des Deutschen Bundestages zu Beginn der 20. Wahlperiode, bei denen die von ihr vorgeschlagenen Kandidaten jeweils keine Mehrheit erreichten (2 BvE 10/21).
I.
1. Der Deutsche Bundestag bildet eine wechselnde Zahl ständiger Fachausschüsse. Diese nehmen in großem Umfang Aufgaben des Plenums zu dessen Entlastung wahr. Weite Teile der fachlichen Beratungen und der Vorbereitung der Entscheidungen des Deutschen Bundestages, die abschließend dem Plenum in seiner Gesamtheit obliegen, sowie der Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben des Parlaments finden in den Ausschüssen statt (vgl. zur Bedeutung der Ausschussarbeit für die parlamentarische Tätigkeit BVerfGE 44, 308 <317>; 80, 188 <224>). Die Zusammensetzung der Ausschüsse wird im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorgenommen (§ 12 Satz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
a) Die Ausschussvorsitzenden erfüllen nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eine sowohl geschäftsleitende als auch repräsentative Funktion (vgl. Grigoleit/Kersten, DÖV 2001, S. 363 <365>; Kese, ZParl 1993, S. 613 <613>; Vetter, Die Parlamentsausschüsse im Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 139; Hölscheidt, DVBl 2024, S. 741 f.).
aa) Ihnen obliegt die Vorbereitung, Einberufung und Leitung der Ausschusssitzungen sowie die Durchführung der Ausschussbeschlüsse (§ 59 Abs. 1 GO-BT); sie erfüllen damit organisatorische Aufgaben zur sachgerechten Erledigung der dem Ausschuss vom Plenum übertragenen Angelegenheiten (vgl. Grigoleit/Kersten, DÖV 2001, S. 363 <365>; Kese, ZParl 1993, S. 613 <613>;...
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