Urteil vom 20.01.2022 - BVerwG 2 WD 2.21

Judgment Date20 Enero 2022
Neutral CitationBVerwG 2 WD 2.21
Record Number200122U2WD2.21.0
Registration Date04 Abril 2022
Subject MatterBerufungen nach der WDO
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 2 WD 2.21

  • TDG Süd 4. Kammer - 29.09.2020 - AZ: TDG S 4 VL 18/19

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 20. Januar 2022, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Grotjohann und
ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Michaeli,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Pflichtverteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 29. September 2020 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme dahingehend geändert, dass der Verlust des Dienstgrads ausgeschlossen wird. Dem Soldaten wird der Dienstgrad eines Feldwebels belassen
  2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen
  3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat
Gründe I

1 Das disziplinargerichtliche Verfahren betrifft den Vorwurf des sexuellen Übergriffs.

2 1. Der ... geborene Soldat verfügt über den Hauptschulabschluss und hat die Berufsfachschule in der Fachrichtung Technik Schwerpunkt Metalltechnik besucht. Nach einer erfolgreichen Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker wurde er unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Juli 2010 zum Unteroffizier ernannt. Seine Dienstzeit endet regulär mit Ablauf des 31. März 2029. Zuletzt wurde er 2015 zum Oberfeldwebel ernannt. Die Urkunde über die Ernennung zum Hauptfeldwebel wurde dem Soldaten wegen des laufenden disziplinargerichtlichen Verfahrens aufgrund der Zustimmungsentscheidung des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr vom 4. Januar 2018 nicht ausgehändigt.

3 Den Feldwebelanwärterlehrgang Teil AMT schloss er mit "gut" ab, den Feldwebellehrgang Teil AMT mit "3"; den Feldwebellehrgang Teil MFT absolvierte er mit "2,250". Seit Januar 2016 ist er Angehöriger der ... und wird dort als Schirrmeister eingesetzt. Den Kurs zum Schirrmeister bestand er mit der Note "1".

4 Der Soldat wurde zuletzt planmäßig am 4. Mai 2016 im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "6,00" beurteilt. Er sei ein höchst motivierter, pflicht- und verantwortungsbewusster Unteroffizier, der sich uneingeschränkt mit dem Beruf des Soldaten identifiziere. Mit seinem offenen, optimistischen, hilfsbereiten Wesen und seiner Freundlichkeit wirke er auf das Gemeinschaftsgefüge fördernd ein. Leistungsprofil und Persönlichkeitsbild ließen ein Entwicklungspotential bei Bedarf bis in die höchsten Verwendungen seiner Laufbahn erkennen. Der nächsthöhere Vorgesetzte hat sich dem angeschlossen.

5 Die Sonderbeurteilung vom 23. April 2021 beurteilt den Soldaten mit "7,10". Dieser sei ein eifriger, engagierter und äußerst zuverlässiger Unteroffizier, der als Schirrmeister durch gutes Fachwissen, hervorragendes Engagement und absolut zuverlässige Arbeit überzeuge. Seine Ziele verfolge er engagiert mit Fleiß und guter Einsatzbereitschaft. Besonnen und souverän führe er die ihm unterstellten Soldaten. Er halte sich körperlich fit und beweise vorbildlich Verlässlichkeit und Leistungswillen. Persönliche Belange stelle er jederzeit hinter dienstliche Anforderungen zurück. Auch in Belastungssituationen treffe er ausgewogene Entscheidungen. Er sei seinen Untergebenen stets Vorbild, führe von Vorne und verstehe, zu motivieren. Durch seine fachliche Kompetenz, seine charakterliche Reife und seine beispielhaften Führungsqualitäten habe er sich den uneingeschränkten Respekt aller Dienstgradgruppen erneut erworben. Der nächsthöhere Vorgesetzte hat sich dem angeschlossen. Der Soldat verliere nie das Wesentliche aus den Augen und erziele auch in stressigen Situationen tadellose Arbeitsergebnisse.

6 Erstinstanzlich hat der Leumundszeuge Hauptmann ... den ihm seit 2018 bekannten Soldaten als ausgezeichneten Schirrmeister beschrieben, den er zum Berufssoldaten fördern wolle. Der Soldat habe seine Leistungen gesteigert; er würde ihn in seiner Vergleichsgruppe dem mittleren Feld zuordnen. In der Berufungshauptverhandlung hat er seine Aussage bestätigt und ergänzend ausgeführt, der Soldat habe sich erneut gesteigert. Er würde ihn aktuell mit "7,3" bzw. "7,4" beurteilen. Probleme mit den Kameradinnen in seiner Einheit habe er nie gehabt. Dies betreffe auch die zwei Kameradinnen, die an dem seinerzeitigen Partyurlaub teilgenommen hätten.

7 Der Soldat verfügt über Ehrenzeichen und zwei förmliche Anerkennungen aus den Jahren 2010 und 2013 wegen vorbildlicher Pflichterfüllung.

8 Der aktuelle Disziplinarbuchauszug des Soldaten weist ein fünfzehnmonatiges Beförderungsverbot aus dem Jahr 2013 aus, das gegen ihn wegen Verkehrsunfallflucht ausgesprochen wurde. Er enthält auch die sachgleiche strafgerichtliche Verurteilung des Soldaten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten durch das Landgericht ... vom 7. Januar 2019 wegen sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Das Urteil des Landgerichts erging auf eine maßnahmebeschränkte Berufung des Soldaten gegen das Urteil des Amtsgerichts ... vom 10. Juli 2018. Dem Urteil des Landgerichts lag ein Sachverständigengutachten zugrunde, aufgrund dessen eine alkoholbedingt erheblich eingeschränkte Schuldfähigkeit angenommen wurde. Der Soldat hat aufgrund des Strafurteils an die Geschädigte 4 000 € Schmerzensgeld gezahlt; auf der Grundlage einer zivilgerichtlichen Entscheidung zahlte er ihr weitere 700 €.

9 Der aktuelle Zentralregisterauszug weist die zu diesem gerichtlichen Disziplinarverfahren sachgleiche strafgerichtliche Verurteilung aus.

10 Der Soldat ist ledig und kinderlos. Er erhält Dienstbezüge von etwa 2 425 € netto. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind nach seinen Angaben geordnet.

11 2. Auf der Grundlage des unter dem 3. April 2018 eingeleiteten disziplinargerichtlichen Verfahrens hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Soldaten durch Anschuldigungsschrift vom 19. März 2019 als Dienstvergehen zur Last gelegt:
"Der Soldat hat am 23. Juli 2017 gegen 6:00 Uhr in Palma de Mallorca in einem Hotelzimmer im Hotel ... zwei Finger etwa vier Zentimeter tief in die Scheide der zu diesem Zeitpunkt schlafenden Kameradin Oberstabsgefreiter A. (...) gegen deren Willen und unter Ausnutzung ihrer Widerstandsunfähigkeit eingeführt."

12 3. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom 29. September 2020 aus dem Dienstverhältnis entfernt.

13 a) In tatsächlicher Hinsicht stehe auf der Grundlage der Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts, von denen sich zu lösen kein Anlass bestehe, fest:
"Im Zeitraum vom 20.07.2017 bis zum 27.07.2017 befand sich die Bundeswehrsoldatin A. mit einer Gruppe von weiteren Personen, teilweise ebenfalls Soldatinnen und Soldaten, zu einem Partyurlaub auf Mallorca. Hier teilte sie aus Kostengründen ein Doppelzimmer in dem Hotel ... mit dem Angeklagten. Eine Beziehung, insbesondere eine sexuelle Beziehung, bestand zwischen dem Angeklagten und der Zeugin A. nicht. Die beiden waren auch übereingekommen, dass es zwischen ihnen auf dem Mallorcaurlaub zu keinen sexuellen Handlungen kommen sollte. Am frühen Morgen des Sonntags, 23.07.2017, hatte der Angeklagte, der ganz erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte und infolgedessen betrunken war, sich als erster in das Hotel und in das Doppelzimmer begeben und bereits ins Bett gelegt. Die Zeugin A. folgte etwas später, legte sich ebenfalls ins Bett und schlief ein. Nachdem die Zeugin eingeschlafen war, startete der Angeklagte einen Annäherungsversuch. Er legte sich direkt neben die Zeugin, die auf der Seite schlief, den Rücken dem Angeklagten zugewandt. Der Angeklagte legte den Arm um die Zeugin und streichelte ihren Bauch. Es erfolgte seitens der Zeugin keinerlei Reaktion, sodass dem Angeklagten bewusst wurde, dass die Zeugin noch schlief. Er setzte daraufhin seinen Annäherungsversuch fort, indem er seine Hand in die Hose und in den Slip der Zeugin führte. Anschließend drang er mit zwei Fingern in die Scheide der Zeugin ca. 4 cm tief ein. Daraufhin erwachte die Zeugin A. und der Angeklagte zog seine Hand wieder zurück. Die Zeugin stand auf und realisierte erst einige Minuten später, was der Angeklagte ihr angetan hatte. Zwar hat der Angeklagte sich einige Tage später noch während des Mallorcaurlaubs bei der Zeugin entschuldigt. Dennoch belastete die Zeugin das Geschehen so sehr, dass sie...

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