Urteil vom 21.01.2015 - BVerwG 10 C 11.14

JurisdictionGermany
Judgment Date21 Enero 2015
Neutral CitationBVerwG 10 C 11.14
ECLIDE:BVerwG:2015:210115U10C11.14.0
CitationBVerwG, Urteil vom 21.01.2015 - 10 C 11.14
Registration Date19 Marzo 2015
Applied RulesRhPfGemO § 31 Abs. 1,VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4,GG Art. 28 Abs. 1 Satz 2
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number210115U10C11.14.0

BVerwG 10 C 11.14

  • VG Trier - 08.05.2012 - AZ: VG 1 K 1302/11.TR
  • OVG Koblenz - 15.03.2013 - AZ: OVG 10 A 10573/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2015
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 8. Mai 2012 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. März 2013 werden geändert. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2011 rechtswidrig war.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger wurde bei der Kommunalwahl am 7. Juni 2009 in den Rat der beklagten Stadt gewählt. Mit Beschluss vom 22. September 2011 schloss der Rat ihn aus. Der Kläger hat den Ausschließungsbescheid angefochten; nach Ablauf der Wahlperiode begehrt er noch die gerichtliche Feststellung, dass dieser Ausschluss rechtswidrig war.

2 Mit Urteil vom 22. Dezember 2010 verurteilte das Landgericht Trier den Kläger wegen in Mittäterschaft begangener gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger auf die Nachricht hin, eine Gruppe politischer Gegner habe Wahlplakate seiner Partei abgerissen, mehrere Gleichgesinnte organisiert und sich auf die Suche nach den "Plakatabreißern" begeben habe. Ihm und einem Teil seiner Begleiter sei es gelungen, einen bei der Verfolgung gestrauchelten "Plakatabreißer" zu stellen. Dieser habe von den Begleitern des Klägers etwa fünf Faustschläge gegen den Kopf und fünf Tritte gegen den Rumpf erhalten. Der Kläger habe das Geschehen selbst zwar lediglich beobachtet, sei aber dessen Hauptinitiator gewesen; zudem habe die Gruppe einen gemeinsamen Tatplan verfolgt. Die Revision des Klägers gegen dieses Urteil verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 3. August 2011, seine Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

3 § 31 Abs. 1 der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung (GemO) sieht vor, dass ein Ratsmitglied durch Beschluss des Gemeinderates aus diesem ausgeschlossen werden kann, wenn es nach seiner Wahl durch Urteil eines deutschen Strafgerichts rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt wird und durch die Straftat die für ein Ratsmitglied erforderliche Unbescholtenheit verwirkt hat. Gestützt hierauf schloss der Rat der Beklagten den Kläger - ohne dessen Mitwirkung - mit einstimmigem Beschluss vom 22. September 2011 aus dem Stadtrat aus. Die genannte Vorschrift schütze die Lauterkeit und Sauberkeit der Verwaltung. Die Tätigkeit als Ratsmitglied und damit als Vertreter der Bevölkerung setze ein Vertrauensverhältnis zwischen den Vertretenen und den Vertretern voraus. Dieses sei hier in ganz besonderem Maße gestört, nachdem der Kläger sich über das Recht und das staatliche Gewaltmonopol hinweggesetzt, sich selbst zum Richter einer Sachbeschädigung aufgeworfen und dabei in menschenverachtender Weise körperliche Gewalt gegen einen Wehrlosen eingesetzt habe. Damit habe sich der Kläger der ihm durch die Wahl entgegengebrachten öffentlichen Achtung als unwürdig erwiesen. Der Wähler könne dem Kläger erst bei der nächsten Kommunalwahl das Vertrauen verweigern. Während der Wahlperiode obliege es dem Stadtrat sicherzustellen, dass die politische Willensbildung im Rat nur durch integre Mitglieder erfolge.

4 Seine hiergegen erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass § 31 GemO verfassungswidrig sei. Durch das Grundgesetz und die Landesverfassung von Rheinland-Pfalz würden auch für Kommunalwahlen die Wahlrechtsgrundsätze garantiert. Besonders die Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl würden aber durch den Ausschluss aus dem Stadtrat verletzt, weil sich die Mehrheit des Rates eines politischen Gegners unter Berufung auf ein so unklares Merkmal wie die Unbescholtenheit entledigen könne.

5 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, § 31 Abs. 1 GemO lasse sich verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Die Vorschrift habe keinen strafrechtlichen Charakter, weshalb die Gesetzgebungsbefugnis des Landes nicht durch das Strafgesetzbuch des Bundes verdrängt sei. Sie sei auch hinlänglich bestimmt gefasst. Schließlich verletze sie keinen der verfassungsrechtlich verbürgten Wahlrechtsgrundsätze. Zwar stelle der Ausschluss aus dem Gemeinderat einen Eingriff in die Allgemeinheit, die Gleichheit und die Unmittelbarkeit der Wahl dar; diese Grundsätze beschränkten sich nicht auf die Erlangung des Mandats, sondern umfassten auch das Recht des Gewählten, das Mandat während der gesamten Wahlperiode auszuüben. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt, weil § 31 Abs. 1 GemO bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dem Schutz von Rechtsgütern diene, die ihrerseits von der Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Wahlrechtsgrundsätze seien. Die Vorschrift diene dem Schutz des Ansehens der Gemeindevertretung. Dieses Schutzgut genieße zwar nicht generell und als solches, wohl aber dann wenigstens gleichen verfassungsrechtlichen Rang, wenn es dazu diene, die Funktionsfähigkeit des gewählten Organs zu sichern. Das sei hier der Fall, weil dem Stadtrat die Funktion zukomme, das Gemeindevolk zu repräsentieren, und weil seine Repräsentationsfähigkeit die Akzeptanz seiner Entscheidungen im Gemeindevolk und diese wiederum dessen Vertrauen in die Integrität des Rates voraussetze. Die gebotene Verhältnismäßigkeit sei dadurch herzustellen, dass der Ausschluss nur in Anknüpfung an eine schwerwiegende Straftat verhängt werden dürfe, sei es dass diese im Rahmen der Ratstätigkeit begangen worden sei oder doch in einem hinreichend engen sachlichen Zusammenhang mit ihr stehe - wie hier im Vorfeld einer Ratswahl -, sei es dass sie die charakterliche Eignung als Ratsmitglied ausschließe. Außerdem müsse die Straftat sich in besonderem Maß negativ auf das Ansehen des Gemeinderates auswirken. Die umschriebenen Voraussetzungen lägen hier vor; der Ausschluss sei auch in einem fehlerfreien Verfahren beschlossen worden.

6 Mit seiner Revision wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen. Gegen das Berufungsurteil wendet er ein, der Ausschluss sei zur Erreichung des behaupteten Zieles, das Ansehen des Rates zu schützen, von vornherein ungeeignet, weil er dessen Ansehen eher beschädige. Einen Ausschluss auf Zeit als milderes Mittel habe der Gesetzgeber nicht erwogen. Das Verhältnis des § 31 GemO zu § 45 StGB sei unklar. Schon die strafrechtliche Vorschrift verletze den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Das gelte erst recht für die kommunalrechtliche Bestimmung, zumal die Wählbarkeit nur durch Richterspruch aberkannt werden dürfe.

7 Bei der turnusmäßigen Kommunalwahl vom 25. Mai 2014 ist der Kläger nicht mehr in den Stadtrat der Beklagten gewählt worden. Er beantragt seitdem, das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 8. Mai 2012 und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. März 2013 zu ändern und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2011 rechtswidrig war.

8 Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9 Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

10 Der Vertreter des Bundesinteresses hält den nach dem Ende der Wahlperiode gestellten Feststellungsantrag für unzulässig, äußert freilich verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 31 Abs. 1 GemO.

II

11 Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Abänderung der klagabweisenden Urteile des Verwaltungs- wie des Oberverwaltungsgerichts zu der Feststellung, dass der Ausschluss des Klägers aus dem Rat der Beklagten rechtswidrig war.

12 1. Mit dem Ablauf der Wahlperiode, für die der Kläger in den Rat der Beklagten gewählt war, hat sich dessen ursprüngliches Begehren, den Ratsbeschluss über den Ausschluss aufzuheben, erledigt. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der Fortsetzungsfeststellungsklage weiter. Das ist zulässig. Namentlich verfügt er über das hierfür nötige Interesse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

13 Allerdings behauptet der Kläger zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr; auf dieselbe...

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