Urteil vom 22.02.2024 - BVerwG 5 C 7.22

JurisdictionGermany
Judgment Date22 Febrero 2024
Neutral CitationBVerwG 5 C 7.22
ECLIDE:BVerwG:2024:220224U5C7.22.0
CitationBVerwG, Urteil vom 22.02.2024 - 5 C 7.22 -
Record Number220224U5C7.22.0
Registration Date28 Agosto 2024
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesSGB VIII § 2 Abs. 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1 und 2 Satz 2, § 4 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 5 Abs. 1 Satz 1, § 9 Nr. 1, §§ 24, 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 3, § 74a Satz 1, § 75 Abs. 3, § 79 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1,GG Art. 3 Abs. 1 und 3 Satz 1, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 19 Abs. 3, Art. 140,WRV Art. 137 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 und 6,KiBiz NW 2016 §§ 19, 20 Abs. 1 Satz 1, 2, 3, 5, § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2, 4

BVerwG 5 C 7.22

  • VG Düsseldorf - 29.08.2018 - AZ: 24 K 9389/17
  • OVG Münster - 12.01.2021 - AZ: 21 A 3824/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge und Preisner
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 2021 wird zurückgewiesen
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
  3. Gerichtskosten werden nicht erhoben
Gründe I

1 Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Neubescheidung ihres Antrags auf staatliche Finanzierung einer Kindertageseinrichtung.

2 Die Klägerin, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung und anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe, betrieb im Kindergartenjahr 2016/2017 die im Stadtgebiet der Beklagten gelegene Kindertageseinrichtung ... Dafür bewilligte ihr die Beklagte als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe in Anwendung der Finanzierungsregelungen des nordrhein-westfälischen Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) mit mehreren Leistungsbescheiden für das genannte Kindergartenjahr einen staatlichen Zuschuss in Höhe von insgesamt 572 299,56 €. Die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Förderungsantrags gerichtete Klage der Klägerin blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.

3 Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nach §§ 18 bis 24 KiBiz keinen Anspruch auf eine weitere, über die bisher gewährten Zuschüsse und Pauschalen hinausgehende staatliche Förderung. Soweit die Klägerin ihr Begehren auf Neubescheidung des Förderungsantrags auf § 74 SGB VIII stütze, stehe dem die Sperrwirkung des § 74a Satz 1 SGB VIII entgegen. Der Landesgesetzgeber habe mit den vorgenannten Regelungen des Kinderbildungsgesetzes von der ihm nach § 74a Satz 1 SGB VIII eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht und eine eigenständige und umfassende Regelung zur Finanzierung von Tageseinrichtungen geschaffen. Die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 2 KiBiz über die Höhe des staatlichen Zuschusses für kirchliche Träger sei nicht verfassungswidrig. Sie verstoße nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, weil sie für kirchliche Träger von Tageseinrichtungen einen Zuschuss von 88 Prozent der Kindpauschalen nach § 19 KiBiz vorsehe, während den anderen anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe nach § 20 Abs. 1 Satz 3 KiBiz ein Zuschuss in Höhe von 91 Prozent der Kindpauschalen zu gewähren sei. Der geringere staatliche Zuschuss und damit höhere finanzielle Eigenanteil für kirchliche Träger knüpfe nicht ausdrücklich am Merkmal des Glaubens oder der religiösen Anschauung an. Es bedürfe keiner Entscheidung, ob die tatbestandliche Anknüpfung an die Organisationsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts mittelbar diskriminierend zulasten der Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts wirke. Denn es fehle jedenfalls an dem nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erforderlichen Kausalzusammenhang. Es lasse sich nicht feststellen, dass die in Rede stehende Benachteiligung gerade die Folge des Habens eines Glaubens oder einer religiösen Anschauung sei. Dagegen spreche, dass über den Körperschaftsstatus an das Steuererhebungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts angeknüpft werde, über das andere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe nicht verfügten. Ebenso wenig verstießen die landesrechtlichen Finanzierungsregelungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Strukturprinzipien des Kinder- und Jugendhilferechts für ein plurales, bedarfsgerechtes Leistungsangebot und das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz folge des Weiteren auch nicht aus den Ausführungen der Klägerin zu § 4 Abs. 2 SGB VIII, denn aus dieser Vorschrift ergäben sich keine Vorgaben für die landesgesetzlichen Finanzierungsregelungen. Ferner lägen ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG als solchen oder eine Verletzung der über diese Verfassungsnorm zu berücksichtigenden jugendhilferechtlichen Grundsätze der Subsidiarität und der Trägerpluralität auch nicht darin, dass die nach den Finanzierungsregelungen des Kinderbildungsgesetzes im streitigen Kindergartenjahr 2016/2017 gewährte staatliche Finanzierung für die Mehrzahl der Träger nicht auskömmlich gewesen sei. Denn der Landesgesetzgeber sei - wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der (Neu-)Regelung komplexer Sachverhalte gefordert - seiner Überprüfungspflicht nachgekommen und habe Anpassungen vorgenommen, um der Unauskömmlichkeit der Finanzierung abzuhelfen. Dass die Nachbesserung das Problem der Unterfinanzierung zahlreicher Träger im Kindergartenjahr 2016/2017 nicht endgültig gelöst habe, gebe keinen Anlass, die Finanzierungsregelungen als verfassungswidrig anzusehen. Denn der Zeitraum, der dem Landesgesetzgeber für die Nachbesserung zuzugestehen sei, sei insbesondere in Ansehung der in die richtige Richtung weisenden Änderungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen. Soweit der geltend gemachte Neubescheidungsantrag der Klägerin überdies auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet sei, im Ermessenwege über die Gewährung eines weiteren Zuschusses aus Mitteln des kommunalen Haushalts zu entscheiden, finde dieser in Art. 3 Abs. 1 GG und § 4 Abs. 2 SGB VIII keine Anspruchsgrundlage.

4 Mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter und rügt insbesondere, das Oberverwaltungsgericht habe unter Verletzung von Bundesrecht Folgendes verkannt: Die Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 2 KiBiz verstoße gegen den speziellen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, da der niedrigere Zuschuss für kirchliche Träger im Vergleich zu anderen anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe eine Benachteiligung wegen des Glaubens oder der religiösen Anschauung darstelle. Zudem führe die Unauskömmlichkeit der staatlichen Finanzierung zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung der Träger der freien Jugendhilfe gegenüber den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe. Infolge der Verfassungswidrigkeit der landesrechtlichen Finanzierungsregelungen sei der Rückgriff auf § 74 SGB VIII nicht gesperrt, wonach ihr ein Anspruch auf weitergehende Förderung für das streitige Kindergartenjahr zustehe. In jedem Fall habe sie gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Bewilligung zusätzlicher Finanzierungsleistungen im Kindergartenjahr 2016/2017 aus kommunalen Haushaltsmitteln.

5 Die Beklagte und die Vertreterin des Bundesinteresses verteidigen das angefochtene Urteil.

II

6 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsverstoß einen Anspruch der Klägerin auf Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Antrags der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses für die von ihr im Kindergartenjahr 2016/2017 betriebene Kindertagesstätte ... in W. verneint.

7 Das Neubescheidungsbegehren der Klägerin ist der Sache nach auf die Gewährung eines Zuschusses gerichtet, der über den Betrag hinausgeht, den ihr die Beklagte für die genannte Kindertagesstätte und das genannte Kindergartenjahr auf der Grundlage der §§ 18 bis 24 des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz - KiBiz) vom 30. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 462) in der für das in Rede stehende Kindergartenjahr maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 8. Juli 2016 (GV. NRW. S. 622; im Folgenden KiBiz 2016) zu gewähren hatte und - was zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht - auch gewährt hat. Die Fassung des Gesetzes vom 8. Juli 2016 hat, soweit sie für die Entscheidung von Bedeutung ist, den gleichen Wortlaut und Regelungsgehalt wie die im angefochtenen Urteil fehlerhafterweise in Bezug genommene Fassung des Gesetzes vom 17. Juni 2014 (GV. NRW. S. 336). Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis zutreffend dahin erkannt, dass § 74 Abs. 3 SGB VIII als Rechtsgrundlage für eine weitere staatliche Förderung der Klägerin ausscheidet (1.). Ebenso hat es zu Recht entschieden, dass der Klägerin weder aus Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. § 4 Abs. 2 SGB VIII noch unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung eines Zuschusses aus kommunalen Haushaltsmitteln gegenüber der Beklagten zusteht (2.).

8 1. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 74 Abs. 3 SGB VIII auf eine Neubescheidung über eine weitere staatliche Förderung zu den Kosten der genannten Kindertageseinrichtung im Kindergartenjahr 2016/2017. Nach Satz 1 dieser Bestimmung entscheidet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen über die Art und Höhe der Förderung. Diese bundesrechtliche Vorschrift scheidet wegen einer Sperrwirkung des Landesrechts als Rechtsgrundlage aus, wenn der Landesgesetzgeber von der ihm in § 74a Satz 1 SGB VIII eingeräumten Kompetenz zur Regelung der Finanzierung von Kindertageseinrichtungen Gebrauch gemacht und eine eigenständige und abschließende Finanzierungsregelung getroffen hat (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2010 - 5 CN 1.09 - Buchholz 436.511 § 74a SGB VIII...

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