Urteil vom 24.03.2021 - BVerwG 6 C 4.20

JurisdictionGermany
Judgment Date24 Marzo 2021
Neutral CitationBVerwG 6 C 4.20
ECLIDE:BVerwG:2021:240321U6C4.20.0
Applied RulesVwGO §§ 64, 82 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 3 Satz 4,BVerfSchG § 4 Abs. 2,BGB § 80 Abs. 2 Satz 1, § 81 Abs. 2, § 82 Satz 1 und 2, § 87 Abs. 1, §§ 133, 134, 138,GG Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 9 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 1,ZPO §§ 59, 61, § 62 Abs. 1 Alt. 2
Registration Date31 Mayo 2021
Record Number240321U6C4.20.0
Subject MatterSachen, die nicht einem anderen Senat zugewiesen sind
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 24.03.2021 - 6 C 4.20

BVerwG 6 C 4.20

  • VG Frankfurt am Main - 27.04.2016 - AZ: VG 7 K 4809/15.F
  • VGH Kassel - 27.01.2020 - AZ: VGH 7 A 2164/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revisionen werden zurückgewiesen.
  2. Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu je 1/5 zu tragen.
Gründe I

1 Die Kläger sind die Stifter der "... Stiftung" (Stiftung ...) und begehren die staatliche Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig.

2 Zweck der Stiftung soll es nach § 2 der Stiftungssatzung im Wesentlichen sein, die schiitische islamische Bildung nach den Worten der Heiligen (...) und für die Freunde der Heiligen (...) in Deutschland und der ganzen Welt bekannt zu machen, Texte für die verschiedenen islamisch-schiitischen Glaubensrichtungen zu übersetzen und zu verfassen, um diese Kultur in Diskussionen bekannt zu machen und die richtige islamische Erziehung von schiitischen Moslems in Deutschland zur Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen oder Religionen zu fördern. Die Stiftungssatzung beruft den Kläger zu 1) als ersten Vorsitzenden des Stiftungsrates und die Kläger zu 2) bis 5) in die weiteren Organe der Stiftung. Im Dezember 2014 beantragten die Kläger die Anerkennung der Stiftung.

3 Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen teilte dem Regierungspräsidium Darmstadt mit, über den Kläger zu 1) sei unter anderem bekannt, dass er Vorstandsvorsitzender der ... e.V. sei und unter Schiiten deutschlandweit als der zweitwichtigste Imam nach ..., dem Leiter des Islamischen Zentrums H. gelte. Beide Vereinigungen seien personell und ideologisch eng verflochten und stünden wegen der von ihnen propagierten iranischen Staatsdoktrin unter Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden. Mit Bescheid vom 9. September 2015 lehnte das Regierungspräsidium die Anerkennung ab, weil die Stiftung das Gemeinwohl gefährde. Die über den Kläger zu 1) vorliegenden Erkenntnisse ließen befürchten, dass er als Vorsitzender der Stiftung das Ziel der Errichtung einer islamischen Republik mit der Scharia als einziger Rechtsordnung verfolgen werde.

4 Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 27. April 2016 zur Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig. Bei der Frage der Gemeinwohlgefährdung dürfe allein auf den vorliegend unbedenklichen und von der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) gedeckten Stiftungszweck abgestellt werden, wie er im Stiftungsgeschäft und der Satzung formuliert sei. Ob vom Stifter oder den für die Organe der Stiftung vorgesehenen Personen eine Gefahr für das Gemeinwohl ausgehe, müsse bei der Anerkennung außer Betracht bleiben. Zur Abwehr solcher Gefahren durch die hinter der Stiftung stehenden Personen sei der Beklagte auf die Möglichkeiten der Stiftungsaufsicht verwiesen.

5 Die dagegen erhobene Berufung des Beklagten hatte Erfolg. Mit Beschluss vom 27. Januar 2020 wies der Verwaltungsgerichtshof die Klage unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils ab. Die Klage sei hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 5) bereits unzulässig, weil diese dem Gericht auch auf Nachfrage keine Wohnanschrift angegeben hätten. Dies lasse die Prozessführungsbefugnis der Kläger zu 1) und 2) unberührt, weil sich aus dem materiellen Recht kein Zwang zur gemeinschaftlichen Prozessführung ergebe. In der Sache hätten die Kläger zu 1) und 2) aber keinen Anspruch auf Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig, weil deren Zweck das Gemeinwohl gefährde. Der Stiftungszweck könne nicht allein aus dem unverfänglich und moderat formulierten Wortlaut der Satzung gewonnen werden, sondern sei anhand des Willens des Stifters und dessen wahren Absichten zu ermitteln. Dafür seien auch dessen Persönlichkeit, sein Auftreten in der Öffentlichkeit und die sonst über ihn bekannten Erkenntnisse zu berücksichtigen. Der Person des Klägers zu 1) als quasioffiziellem Repräsentant des iranischen Staates komme dabei besondere Bedeutung zu. Weil im Iran seit der Revolution keine Trennung zwischen Staat und Religion stattfinde, habe die religiöse Tätigkeit des Klägers zu 1) zugleich eine politische Komponente. Der Kläger zu 1) sei Mitstifter und solle als erster Vorsitzender des Stiftungsrates und mit seiner geistlichen Autorität als schiitischer Gelehrter nach der Satzung eine ungewöhnlich starke Stellung einnehmen. Daher bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die künftige Stiftung als Instrument benutzt werde, die Verbreitung schiitisch-islamischen Gedankenguts iranischer Prägung zu fördern und zu unterstützen, das im Widerspruch zu den Prinzipien des Grundgesetzes und seiner freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zugelassen.

6 Die Kläger haben dem Verwaltungsgerichtshof innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die ladungsfähigen Anschriften der Kläger zu 3) bis 5) mitgeteilt und die Revision wie folgt begründet: Der Beschluss beruhe auf der unzutreffenden Erwägung, dass der Stiftungszweck nicht nur anhand der Satzung, sondern anhand des tatsächlichen Stifterwillens zu ermitteln sei. Die Grundsätze des sog. Republikaner-Urteils des Bundesverwaltungsgerichts (Az.: 3 C 55.96 ) könnten angesichts der gesetzlichen Regelung in § 80 Abs. 2 BGB, die strikt auf die Gemeinwohlgefährdung durch den Stiftungszweck abstelle, keine Anwendung finden. Die Verfolgung eines vom satzungsgemäßen Stiftungszweck abweichenden Stifterwillens könne erst berücksichtigt werden, wenn dieser in der Art und Weise der Erfüllung des Stiftungszwecks durch die rechtsfähige Stiftung zum Ausdruck komme. Die Kläger beantragen, unter Abänderung des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs die Berufung des beklagten Landes gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

7 Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II

8 Die Revisionen, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), sind unbegründet, weil der angefochtene urteilsvertretende Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO) nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) beruht. Sämtliche Revisionen genügen den Begründungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO (1). Die auf Anerkennung der "... Stiftung" als rechtsfähig gerichteten Verpflichtungsklagen sind zulässig (2), aber unbegründet, weil das Berufungsgericht im Einklang mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BGB festgestellt hat, dass der Stiftungszweck das Gemeinwohl gefährdet (3).

9 1. Die Revisionen der Kläger zu 1) bis 5), die als Mitstifter jeweils im eigenen Namen auf Anerkennung der gemeinsamen Stiftung klagen, sind zulässig. Zwar befasst sich das für sämtliche Kläger einheitliche Revisionsvorbringen nicht näher mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses, soweit dieser die Klagen der Kläger zu 3) bis 5) wegen Verstoßes gegen § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO als unzulässig abgewiesen hat. Ein Angriff auf diese tragende Erwägung ist hier jedoch ausnahmsweise entbehrlich, weil das Fehlen dieser Sachentscheidungsvoraussetzung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist durch Nachreichung der Wohnanschriften der Kläger zu 3) bis 5) geheilt worden ist.

10 a) Die Zulässigkeit der Revisionen beurteilt sich, auch wenn ein Fall notwendiger Streitgenossenschaft vorliegt, mit Blick auf die Begründungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO für jeden Kläger gesondert (§ 64 VwGO i.V.m. §§ 59, 61 ZPO; vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 - 7 C 86.67 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 3). Denn die Vertretungsfiktion des ebenfalls von § 64 VwGO in Bezug genommenen § 62 Abs. 1 ZPO beschränkt sich auf Fälle der Frist- oder Terminsäumnis, begründet jedoch keine "einheitliche Streitpartei". Vielmehr bleiben Streitgenossen auch in den Fällen des § 62 ZPO selbständige Streitparteien in jeweils gesonderten Prozessrechtsverhältnissen (BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - V ZR 246/94 - BGHZ 131, 376 ).

11 b) Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, d.h. bei natürlichen Personen in der Regel der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird (BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19; Beschluss vom 14. Februar 2012 - 9 B 79.11 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11; stRspr). Die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift stellt eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung dar, die - wenn das Rechtsmittel der Revision wie vorliegend eröffnet ist - auch im Revisionsverfahren nachgeholt werden kann. Die Kläger zu 3) bis 5) haben dem Gericht innerhalb der...

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