Urteil vom 25.10.2017 - BVerwG 1 C 21.16

Judgment Date25 Octubre 2017
Neutral CitationBVerwG 1 C 21.16
ECLIDE:BVerwG:2017:251017U1C21.16.0
CitationBVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 1 C 21.16
Registration Date13 Diciembre 2017
Record Number251017U1C21.16.0
Applied RulesVwVfG § 51,BVFG §§ 4, 6 Abs. 2, § 15 Abs. 1 und 2 Satz 2, § 100a Abs. 1
Subject MatterRecht der Vertriebenen einschließlich des Rechts der Vertriebenenzuwendung, der Sowjetzonenflüchtlinge und der politischen Häftlinge
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 1 C 21.16

  • VG Köln - 23.04.2014 - AZ: VG 10 K 4383/12
  • OVG Münster - 09.06.2016 - AZ: OVG 11 A 1254/14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig sowie
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke, Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2016 geändert.
  2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 23. April 2014 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger begehrt die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung.

2 Der am 6. April 1954 in T. (ehemalige Sowjetunion, heute: Kasachstan) geborene Kläger stellte am 31. März 1993 einen Aufnahmeantrag als Spätaussiedler. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 20. Juli 1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag des Klägers ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Nach den Angaben des Klägers im Aufnahmeantrag könne nicht davon ausgegangen werden, dass seine Deutschkenntnisse über ein passives Verstehen der Sprache hinausreichten. Es könne auch nicht angenommen werden, dass er die deutsche Sprache als Umgangssprache verwende. Folglich fehle es an der erforderlichen Beherrschung der deutschen Sprache. Zudem fehle ein ausdrückliches Bekenntnis zum deutschen Volkstum, da er sich nach Erlangung der Bekenntnisfähigkeit für die Eintragung der russischen Nationalität in seinen Inlandspass entschieden habe.

3 Durch Einbeziehungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 20. Juli 1993 wurde der Kläger gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG (a.F.) in den Aufnahmebescheid seiner Mutter einbezogen. Der Kläger reiste am 27. Dezember 1993 gemeinsam mit seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein.

4 Am 27. Januar 1994 stellte die Stadt N. der Mutter des Klägers eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG und dem Kläger eine Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG aus.

5 Mit Schreiben vom 6. November 2000 erhob der Kläger bei der Stadt N. "Widerspruch" gegen die Einstufung als Abkömmling einer Spätaussiedlerin und beantragte, das Verfahren wiederaufzugreifen sowie ihn als Spätaussiedler anzuerkennen. Unter dem 11. Dezember 2000 teilte die Stadt N. dem Kläger mit, dass der Widerspruch wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht zulässig sei und auch Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG nicht zu erkennen seien. Den dagegen im Januar 2001 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass er im Zeitpunkt der Aussiedlung über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügt habe. Die Eintragung des fremden Volkstums in seinen Inlandspass sei automatisch und ohne seinen Willen nach der Nationalität des Vaters erfolgt. Mit Schreiben vom 15. Juli 2004 und 22. Oktober 2004 wies die Stadt N. den Antrag des Klägers, das bestandskräftig abgeschlossene Verfahren wiederaufzugreifen, zurück und verwies auf die Bestandskraft ihrer Entscheidung vom 11. Dezember 2000.

6 Am 10. Dezember 2010 beantragte der Kläger, ihm im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG "einen Aufnahmebescheid gemäß § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen und in seiner Person die Voraussetzungen für eine Aufnahme als Spätaussiedler im Sinne des § 4 BVFG anzuerkennen".

7 Mit Bescheid vom 22. August 2011 lehnte das Bundesverwaltungsamt diesen - als Antrag auf Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG gewerteten - Antrag ab. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch des Klägers wies das Bundesverwaltungsamt zurück. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen.

8 Das Oberverwaltungsgericht hat das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, dem Kläger eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG stehe einem Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nicht entgegen. Denn diese Vorschrift finde auf den mehr als zehn Jahre vor Inkrafttreten dieser Bestimmung im Bundesgebiet aufgenommenen Kläger keine Anwendung. Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers habe das BVFG in der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829) gegolten. Diese Rechtslage sei für die Beurteilung der Spätaussiedlereigenschaft des Klägers maßgeblich. Der durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 eingefügte § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG sei erst am 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Es könne offenbleiben, ob eine auf die Aufenthaltnahme des Klägers rückwirkende Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG über die Übergangsvorschrift des § 100a Abs. 1 BVFG überhaupt hätte in Betracht kommen können. Denn § 100a Abs. 1 BVFG 2001 sei mit Wirkung vom 12. November 2015 aufgehoben worden. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG selbst ordne - anders als § 100a Abs. 1 BVFG - keine rückwirkende Geltung an. Hinzu komme, dass der Kläger durch seinen "Widerspruch" vom 6. November 2000 bereits vor Inkrafttreten des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG ein Bescheinigungsverfahren nach § 15 Abs. 1 BVFG in Gang gesetzt habe, über das nicht abschließend entschieden worden sei. Nicht zu vertiefen sei, ob die Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG in Fällen, in denen die Aufenthaltnahme vor dessen Inkrafttreten erfolgt ist, eine unzulässige Rückwirkung bedeute. Denn eine Rückwirkung von Rechtsfolgen liege bereits deswegen nicht vor, weil § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG auf den Fall des Klägers nicht anwendbar sei. Der Anspruch des Klägers scheitere auch nicht daran, dass dieser einen Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung erstmals (sinngemäß durch seinen Widerspruch) im Jahr 2000 und den Antrag auf Wiederaufgreifen seines Aufnahmeverfahrens erst im Jahr 2010 gestellt habe. Der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen der Aussiedlung und der Stellung des Aufnahmeantrags gelte nur für den Härtefallaufnahmeantrag nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG und sei nicht auf den Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung übertragbar. Der Kläger erfülle auch die Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft nach §§ 4, 6 BVFG im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Übersiedlung. Insbesondere stamme er von einer deutschen Volkszugehörigen ab, und ihm sei im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 das bestätigende Merkmal der Sprache vermittelt worden.

9 Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG finde auch auf Personen Anwendung, die vor dem 1. Januar 2005 im Wege des Aufnahmeverfahrens als Ehegatte/Abkömmling ausgesiedelt seien. Es gälten die Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts, wonach bei Fehlen einer Übergangsregelung neues Verfahrensrecht regelmäßig auf bereits anhängige Verfahren anzuwenden sei. Hiernach sei § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG auf alle noch nicht abgeschlossenen Fälle der Bescheinigungserteilung nach § 15 Abs. 1 BVFG anzuwenden. Aus der Anwendung von § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG auf Personen, die vor dem 1. Januar 2005 eingereist seien, ergebe sich keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Zwar wirke sie sich insoweit belastend aus, als die Möglichkeit der "Höherstufung" ab dem 1. Januar 2005 entfallen sei. Hieraus ergebe sich aber keine schützenswerte Position des betroffenen Personenkreises, die aus Vertrauensschutzgründen nicht wieder entzogen werden dürfte. Das Berufungsgericht hätte deshalb prüfen müssen...

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