Urteil vom 26.01.2021 - BVerwG 1 C 5.20

JurisdictionGermany
Judgment Date26 Enero 2021
Neutral CitationBVerwG 1 C 5.20
ECLIDE:BVerwG:2021:260121U1C5.20.0
Applied RulesBVFG 2013 § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 2, § 15 Abs. 1 und 2, § 27 Abs. 2,BVFG 1993 § 6
Registration Date31 Marzo 2021
Record Number260121U1C5.20.0
Subject MatterRecht der Vertriebenen einschließlich des Rechts der Vertriebenenzuwendung, der Sowjetzonenflüchtlinge und der politischen Häftlinge
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 26.01.2021 - 1 C 5.20

BVerwG 1 C 5.20

  • VG Köln - 21.06.2017 - AZ: VG 10 K 6530/15
  • OVG Münster - 13.11.2019 - AZ: OVG 11 A 1665/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. November 2019 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe I

1 Die Klägerin begehrt die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).

2 Die 1961 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2013 wurde sie in den ihrer Mutter bzw. Großmutter im Februar 1995 erteilten Aufnahmebescheid einbezogen. Im August 2014 reiste sie mit ihrer Familie in das Bundesgebiet ein und erhielt eine Bescheinigung als Abkömmling nach § 15 Abs. 2 BVFG.

3 Noch zuvor im November 2013 beantragte die Klägerin von der Russischen Föderation aus die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedlerin. Der Antrag wurde im März 2014 auf ihre Anerkennung als Spätaussiedlerin erweitert. Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens legte sie nach ihrer Einreise ein ärztliches Attest über die Erkrankung ihrer Mutter sowie B 1-Sprachzertifikate des Goethe-Instituts vom 22. Juli 2014 (Module "Sprechen", "Lesen" und "Schreiben"), ausgestellt in St. Petersburg, und vom 19. Januar 2015 (Modul "Hören"), ausgestellt in Moskau, vor.

4 Die Beklagte lehnte den Aufnahmeantrag mit Bescheid vom 21. Mai 2015 mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet aufgegeben und für die Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheides gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG keine besondere Härte glaubhaft gemacht. Der Anerkennung als Spätaussiedlerin stehe das fehlende Bekenntnis zur deutschen Nationalität entgegen. Sie sei in ihrem ersten Inlandspass und in den Geburtsurkunden ihrer 1983 und 1987 geborenen Söhne mit russischer Nationalität eingetragen und habe vor ihrer Ausreise keine Änderung der Nationalitätsangaben veranlasst.

5 Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2015 zurückgewiesen. Der Klägerin könne keine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG ausgestellt werden, weil sie mangels Bekenntnisses zum deutschen Volkstum keine deutsche Volkszugehörige und damit keine Spätaussiedlerin sei. Die durch die B 1-Zertifikate belegten deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin seien nicht geeignet, das notwendige Bekenntnis glaubhaft zu machen.

6 Im Klageverfahren machte die Klägerin u.a. geltend, Bemühungen, im Jahr 1987 anlässlich der Geburt ihres Sohnes ihre Nationalität in der Geburtsurkunde eintragen zu lassen, seien fehlgeschlagen. Sie legte zudem eine Bescheinigung des Standesamtes des Bezirks K. vom Mai 2016 vor, wonach eine Änderung ihrer Nationalität im Heiratsregister abgelehnt worden sei.

7 Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 21. Juni 2017 abgewiesen.

8 Im Berufungsverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, das Nichtbestehen des Moduls "Hören" der Sprachprüfung vor der Ausreise sei ihrer Hörbehinderung geschuldet gewesen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen, soweit sie auf die Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheides gerichtet gewesen ist.

9 Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. November 2019 das Berufungsverfahren im Umfang der Klagerücknahme eingestellt, das Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21. Mai 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2015 zur Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG verpflichtet. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt ihrer Übersiedlung nach Deutschland im August 2014 die Voraussetzungen der Spätaussiedlereigenschaft nach der seit September 2013 geltenden Fassung des Bundesvertriebenengesetzes erfüllt. Sie stamme von einer deutschen Volkszugehörigen ab. Ihre Mutter sei Spätaussiedlerin. Die Klägerin habe auch ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt. Dieses liege allerdings nicht durch Nationalitätenerklärung vor, weil sie in ihrem ersten Inlandspass und in den Geburtsurkunden ihrer Kinder mit russischer Nationalität eingetragen sei und bis zu ihrer Ausreise keine Änderung ihrer Personenstandsurkunden durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung herbeigeführt habe. Das begründe kein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis (mehr), weil sie sich inzwischen durch Erlernen der deutschen Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVFG auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt habe. Darin liege ein die frühere Erklärung zu einer nichtdeutschen Nationalität rückgängig machendes positives Verhalten. Auch ein derartiges Bekenntnis auf andere Weise müsse grundsätzlich bereits im Aussiedlungsgebiet erbracht werden, ohne dass der Gesetzgeber den Nachweis zwingend an die Vorlage eines bestimmten Zertifikates geknüpft habe. Der Aufnahmebewerber müsse nur den Nachweis erbringen, die Anforderungen entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) zu erfüllen. Es dürfte zwar regelmäßig die Annahme gerechtfertigt sein, dass ein Antragsteller, der ein oder mehrere der vier Module des Goethezertifikats nicht bestanden habe, den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse nicht geführt habe. Im Einzelfall könne aber aus dem Verfehlen eines positiven Ergebnisses beim Ablegen einzelner Modulprüfungen dann nicht auf unzureichende Deutschkenntnisse geschlossen werden, wenn das Nichtbestehen nicht mangelnden Sprachkenntnissen, sondern gesundheitlichen Gründen geschuldet sei. Die Klägerin habe zur Überzeugung des Senats nachgewiesen, dass sie das Modul "Hören" vor der Ausreise nicht wegen mangelhafter Deutschkenntnisse, sondern wegen einer krankhaften Veränderung ihrer Hörfähigkeit nicht bestanden habe. Dass sie seinerzeit keinen spezifischen Bedarf angemeldet oder wenigstens auf die schlechte Tonqualität des Übertragungsgeräts hingewiesen habe, rechtfertige nicht die Annahme nicht ausreichender Sprachkenntnisse. Dies werde durch den Umstand bestätigt, dass sie die Prüfung "Hören" innerhalb eines Zeitraums von (nur) viereinhalb Monaten nach Verlassen des Aussiedlungsgebietes erfolgreich abgelegt habe.

10 Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 6 Abs. 2 BVFG. Deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau B 1 des GER stellten zwar ein gegenüber dem Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch eine Nationalitätenerklärung gleichwertiges Bekenntnis auf andere Weise dar, könnten aber nicht wie eine Nationalitätenerklärung frühere Bekenntnisse zu einem anderen Volkstum ersetzen. Der Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit der Klägerin stehe ihr Bekenntnis zum russischen Volkstum durch Wahl der Nationalitäteneintragung russisch in ihrem ersten Inlandspass und die daraus folgende und bis heute fortbestehende entsprechende Nationalitäteneintragung in den Geburtsurkunden ihrer 1983 und 1987 geborenen Kinder entgegen. Dieses Gegenbekenntnis sei durch den Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen nicht unbeachtlich geworden.

11 Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil und macht insbesondere geltend, dass sich aus § 6 Abs. 2 BVFG nicht die Notwendigkeit einer...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT