BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvQ 97/20 -
über den Antrag,
im Wege der einstweiligen Anordnung,
1. |
dem Bundespräsidenten vorläufig bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 2 BvR 557/19 aufzugeben, es zu unterlassen, |
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das vom Deutschen Bundestag in der Schlussabstimmung vom 19. November 2020 verabschiedete Gesetz zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Drucks 19/23485, 19/24222, 19/24471) zu unterzeichnen, |
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2. |
dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung vorläufig bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 2 BvR 557/19 aufzugeben, es zu unterlassen, |
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die Ratifizierungsurkunde des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beim Generalsekretär des Rates der Europäischen Union zu hinterlegen, |
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3. |
dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung vorläufig bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 2 BvR 557/19 aufzugeben, es zu unterlassen, |
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das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Antrag zu 1.) im Bundesgesetzblatt (Teil I und/oder Teil II) zu veröffentlichen. |
Antragstellerin: |
A… B.V., |
- Bevollmächtigter:
- … -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 3. Februar 2021 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird verworfen
A.
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Bundespräsidenten und der Bundesregierung unter anderem aufgegeben werden soll, das vom Deutschen Bundestag am 19. November 2020 verabschiedete Gesetz zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachfolgend: „Übereinkommen vom 5. Mai 2020“ – Übk) nicht durch Unterzeichnung, Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beziehungsweise Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft zu setzen.
I.
1. Die Antragstellerin, ein niederländisches Versicherungsunternehmen, gründete nach dem Beitritt der Slowakischen Republik zur Europäischen Union dort eine Tochtergesellschaft, über die sie private Krankenversicherungen anbot. Mit Gesetz vom 25. Oktober 2007 verbot die Slowakische Republik die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Das Verfassungsgericht der Slowakischen Republik erklärte das Verbot am 26. Januar 2011 für verfassungswidrig; ab dem 1. August 2011 wurden Gewinnausschüttungen wieder zugelassen.
Im Oktober 2008 leitete die Antragstellerin auf der Grundlage von Art. 8 des Abkommens über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik und dem Königreich der Niederlande ein Schiedsverfahren ein, mit dem sie von der Slowakischen Republik Ersatz ihrer Schäden infolge der gesetzlichen Regulierungsmaßnahmen begehrte. Das hierauf konstituierte Schiedsgericht legte Frankfurt am Main als Ort des schiedsgerichtlichen Verfahrens fest.
Mit Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 verurteilte das Schiedsgericht die Slowakische Republik zur Zahlung von rund 22,1 Millionen Euro nebst Zinsen an die Antragstellerin wegen Verletzung verschiedener Bestimmungen des genannten Investitionsschutzvertrages durch die gesetzlichen Restriktionen der Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes.
Die von der Slowakischen Republik beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main beantragte Aufhebung des Schiedsspruchs wies dieses mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 zurück. Hiergegen erhob die Slowakische Republik Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.
Mit Beschluss vom 3. März 2016 legte der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV verschiedene Fragen zur Vereinbarkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren auf der Grundlage bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vor. Mit Urteil vom 6. März 2018 entschied der Gerichtshof, dass Bestimmungen wie Art. 8 des gegenständlichen Investitionsschutzvertrages nicht mit Art. 267, 344 AEUV vereinbar seien (vgl. EuGH, Urteil vom 6. März 2018, A., C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158).
Hierauf hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. Oktober 2018 den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 2014 sowie den Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 auf. Die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge vom 23. November 2018 wies er mit Beschluss vom 24. Januar 2019 zurück.
Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs sind Gegenstand der von der Antragstellerin erhobenen Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 557/19. In diesem Verfahren wird insbesondere geltend gemacht, dass das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 6. März 2018 einen Ultra-vires-Akt darstelle und in Deutschland daher nicht anwendbar sei.
2. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelangten vor dem Hintergrund des Urteils des Gerichtshofs vom 6. März 2018 zu der Ansicht, dass die unionsrechtliche Unwirksamkeit der Investor-Staat-Schiedsklauseln nicht auf den konkreten Investitionsschutzvertrag beschränkt sei, sondern sämtliche – insgesamt rund 200 – Intra-EU-Investitionsschutzverträge erfasse, auch wenn diese keine mit Art. 8 des dort streitgegenständlichen Investitionsschutzvertrages vergleichbare Regelung enthielten.
Am 9. November 2018 nahmen die Mitgliedstaaten in der von der Europäischen Kommission eingerichteten „Group for the Termination of Intra-EU-Bilateral Investment Treaties“ Verhandlungen über ein Übereinkommen auf, mit dem alle bilateralen Investitionsschutzverträge aufgehoben werden sollen. In der Sache bündelt es die verschiedenen bilateralen Aufhebungsvereinbarungen in einem Vertrag. Die Verhandlungen wurden am 24. Oktober 2019 abgeschlossen und das Beendigungsübereinkommen am 5. Mai 2020 von 23 Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet.
3. Die Bundesregierung brachte am 19. Oktober 2020 den „Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ (BTDrucks 19/23485) in den Bundestag ein.
Artikel 1 des Gesetzes lautet auszugsweise:
Dem in Brüssel am 5. Mai 2020 von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Übereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der Union (…) wird zugestimmt. (…)
Die endgültige deutsche Sprachfassung des Übereinkommens vom 5. Mai 2020 ist in dem Gesetzentwurf mitveröffentlicht.
Die Vorschriften des Übereinkommens vom 5. Mai 2020 lauten – soweit vorliegend von Bedeutung – wie folgt:
Artikel 4 Gemeinsame Bestimmungen
(…)
(2) Die Beendigung der in Anhang A genannten bilateralen Investitionsschutzverträge gemäß Artikel 2 und die Beendigung von Nachwirkungsklauseln in den in Anhang B genannten bilateralen Investitionsschutzverträgen gemäß Artikel 3 werden bei jedem dieser Verträge wirksam, sobald das vorliegende Übereinkommen gemäß Artikel 16 für die betreffenden Vertragsparteien in Kraft tritt.
(…)
Artikel 16 Inkrafttreten
(1) Dieses Übereinkommen tritt 30 Kalendertage nach dem Tag in Kraft, an dem der Verwahrer die zweite Ratifikations-, Genehmigungs- oder Annahmeurkunde erhält.
(2) Dieses Übereinkommen tritt für jede Vertragspartei, die es nach seinem Inkrafttreten gemäß Absatz 1 ratifiziert, annimmt oder genehmigt, 30 Kalendertage nach dem Tag in Kraft, an dem diese Vertragspartei ihre Ratifikations-, Genehmigungs- oder...