Beschluss vom 04.01.2024 - BVerwG 20 F 4.22

JurisdictionGermany
Judgment Date04 Enero 2024
Neutral CitationBVerwG 20 F 4.22
ECLIDE:BVerwG:2024:040124B20F4.22.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 04.01.2024 - 20 F 4.22 -
Record Number040124B20F4.22.0
Registration Date10 Abril 2024
Subject MatterVerfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 20 F 4.22

  • OVG Hamburg - 20.01.2022 - AZ: 9 AS 10/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 4. Januar 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Beigeladenen zu 1 und der Klägerin werden zurückgewiesen
  2. Die Beigeladene zu 1 und die Klägerin tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte. Alle Beteiligten tragen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst
Gründe I

1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren verlangt die Klägerin von der beklagten Fachhochschule unter anderem die Vorlage der Prüfervoten zu der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1.

2 Die Klägerin ist ein auf dem Gebiet der Arzneimittelentwicklung forschendes Unternehmen, dem 2009 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung Fördermittel für ein Projekt zur Arzneimittelentwicklung bewilligt worden waren. Die Klägerin hatte die N. (im Folgenden: N.) in das Projekt einbezogen und mit ihr vereinbart, dass sie bisherige Forschungsergebnisse geheim halten und keine eigenen Forschungen hierzu anstellen dürfe. Die Beigeladene zu 1 war als Praktikantin und zur Anfertigung ihrer Bachelorarbeit bei der N. angestellt gewesen. Die in der Hauptsache Beigeladene zu 2 war ebenfalls Mitarbeiterin der N. und hatte von dieser für die Erstellung ihrer Masterarbeit die Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 erhalten. Die Klägerin sah darin eine Verletzung der vertraglichen Vereinbarungen und machte in einem Zivilrechtsstreit vertragswidrige Verletzungen ihres geistigen Eigentums geltend.

3 Im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren erhob die Klägerin auf der Grundlage des Hamburgischen Transparenzgesetzes im März 2019 Klage zum Verwaltungsgericht ... auf Vorlage der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, der Masterarbeit der Beigeladenen zu 2 sowie von Prüfervoten und Zwischenberichten. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1 und zu 2 gab die Beigeladene zu 3 eine Sperrerklärung vom 29. Januar 2020 ab. Das Verwaltungsgericht ... beschloss unter dem 20. März 2020, durch Vorlage der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, der Masterarbeit der in der Hauptsache Beigeladenen zu 2 sowie der Prüfervoten und etwaiger Zwischenberichte hierzu über die Behauptung der Beklagten und der Beigeladenen, der Vorlage der genannten Dokumente stünden Ausschlussgründe nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz entgegen, Beweis zu erheben. Auf Antrag der Klägerin hatte der Fachsenat des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 26. August 2020 die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung vom 29. Januar 2020 festgestellt. Der Senat hat die gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen mit Beschluss vom 19. April 2021 zurückgewiesen - 20 F 9.20 -. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts habe die Sperrerklärung der Beigeladenen zu 3 im Ergebnis zu Recht für rechtswidrig erklärt. Der Antrag der Klägerin sei teilweise zulässig. Der Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts genüge den Anforderungen an die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage nicht, soweit er die Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, die Masterarbeit der in der Hauptsache Beigeladenen zu 2 und etwaige Zwischenberichte hierzu betreffe. Er sei aber nicht zu beanstanden, soweit er die Prüfervoten hierzu betreffe. Die Sperrerklärung sei nicht durch eine Geheimhaltungspflicht nach einem Gesetz im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO gerechtfertigt, weil es sich bei § 5 Nr. 7 HmbTG nicht um ein hiervon erfasstes Gesetz handele. Die Sperrerklärung sei auch nicht nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO rechtmäßig. Denn hierauf sei sie nicht gestützt.

4 Daraufhin beantragte die Beigeladene zu 1 unter dem 28. Juli 2021 die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens zur Abgabe an den Fachsenat und die Verpflichtung der Beigeladenen zu 3 zur Abgabe einer Sperrerklärung bezogen auf die im Beweisbeschluss vom 20. März 2020 angeforderten Akten. Das Verwaltungsgericht hob mit Beschluss vom 29. September 2021 seinen Beweisbeschluss vom 20. März 2020 auf, soweit darin die Vorlage der Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1, der Masterarbeit der in der Hauptsache Beigeladenen zu 2 und etwaige Zwischenberichte gefordert worden waren. Der Beweisbeschluss werde aufgehoben, soweit er durch das Bundesverwaltungsgericht beanstandet worden sei. Die Kammer werde andere Mittel zur Sachverhaltsaufklärung prüfen und ausschöpfen.

5 Auf Anfrage des Fachsenates des Oberverwaltungsgerichts teilte die Beigeladene zu 3 unter dem 22. Oktober 2021 mit, die Abgabe einer Sperrerklärung hinsichtlich der Prüfervoten zur Bachelorarbeit der Beigeladenen zu 1 sei derzeit nicht beabsichtigt. Eine Sperrerklärung käme nur in Betracht, wenn sich eine Geheimhaltung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO stützen ließe. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - scheide eine Berufung auf die bereits im Hamburgischen Transparenzgesetz niedergelegten Gründe aus. Dies ergebe sich aus einem Umkehrschluss zu den Ausführungen in Randnummer 31 des genannten Beschlusses. Darüber hinaus nehme die Kommentarliteratur Prüfakten explizit vom Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO aus. Zwar beziehe sich dies auf die Einsichtnahme in eigene Prüfakten der auskunftsbegehrenden Person. Im Ergebnis werde aber die rechtmäßige Anwendung des § 5 Nr. 7 HmbTG den Gerichten obliegen.

6 Mit Beschluss vom 20. Januar 2022, durch Einfügung einer Rechtsmittelbelehrung geändert mit Beschluss vom 7. Februar 2022, stellte das Oberverwaltungsgericht das Verfahren ein, soweit die Beigeladenen zu 1 und zu 3 im Hinblick auf die teilweise Aufhebung des Beweisbeschlusses durch das Verwaltungsgericht die Erledigung des Zwischenverfahrens erklärt hatten. Im Übrigen trennte es den Antrag der Beigeladenen zu 2 auf Abgabe einer Sperrerklärung hinsichtlich ihres Prüfervotums vom vorliegenden Zwischenverfahren ab und führte es unter dem Aktenzeichen 9 AS 9/21 (BVerwG 20 F 3.22 ) fort. Ferner stellte das Oberverwaltungsgericht fest, dass die Freigabeerklärung der Beigeladenen zu 3 vom 22. Oktober 2021 rechtswidrig sei. Das Begehren der Beigeladenen zu 1 sei in einen Feststellungsantrag umzudeuten und mit diesem Inhalt statthaft. § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei erweiternd auszulegen und weise dem Fachsenat auch die Zuständigkeit zu, über die Rechtmäßigkeit der Freigabeerklärung der obersten Aufsichtsbehörde zu entscheiden. Im Zwischenverfahren könne allerdings nur ein Feststellungstenor ausgesprochen werden. Der hierauf gerichtete Antrag sei auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Freigabeerklärung sei rechtswidrig, weil die Beigeladene zu 3 sich die Prüfervoten nicht habe vorlegen lassen und nicht inhaltlich geprüft habe, ob sie ihrem Wesen nach gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO geheim zu haltende Bestandteile enthalte. Die Beigeladene zu 3 habe daher auch keine ermessensbezogene Abwägung vorgenommen, ob die Prüfervoten vollständig geheimhaltungsbedürftig oder mit Teilschwärzung herauszugeben seien. Die von der Beigeladenen zu 3 in Bezug genommene Passage des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertige den behaupteten Umkehrschluss nicht. Die Kommentarliteratur stütze die Freigabeerklärung ebenfalls nicht, beziehe sie sich doch auf eine hier nicht vorliegende Fallkonstellation. Der Fachsenat könne eine Einschätzung der obersten Aufsichtsbehörde und deren Ermessenserwägungen nur kontrollieren und nicht ersetzen. Die Erwägungen der Beigeladenen zu 3 seien nicht geeignet, die Möglichkeit einer Sperrerklärung von vornherein auszuschließen. Dass die Gerichte über die rechtmäßige Anwendung von § 5 Nr. 7 HmbTG entschieden, führe nicht weiter.

7 Gegen diesen Beschluss richten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden der Beigeladenen zu 1 und der Klägerin.

8 Die Beigeladene zu 1 beantragt, den Beschluss abzuändern und die Beigeladene zu 3 zur Abgabe einer Sperrerklärung im Hinblick auf die im Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. März 2020 genannten Schriftstücke zu verpflichten, sowie die Beschwerde der Klägerin zurückzuweisen.

9 Sie macht geltend, analog § 99 Abs. 2 VwGO einen Anspruch auf Erlass einer Sperrerklärung bezüglich der Prüfervoten und nicht nur auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freigabeerklärung zu haben. Die Prüfervoten seien nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig, denn sie ließen unmittelbar Rückschlüsse auf den Inhalt ihrer Bachelorarbeit zu. Damit seien ihre durch Art. 5 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützten Interessen betroffen. Zudem unterfielen ihre Urheberrechte dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Ihre Bachelorarbeit und die Prüfervoten seien im Übrigen im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsrechte als personenbezogene Daten ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Da ihre Interessen etwaige schutzwürdige Interessen der Klägerin überwögen, sei das Ermessen der Beigeladenen zu 3 auf Null reduziert, sodass sie einen Anspruch auf Abgabe einer Sperrerklärung habe. Hilfsweise sei die Freigabeerklärung aus den genannten Gründen rechtswidrig. Sie habe sehr wohl mit Schriftsatz vom 7. Juli 2021 einen außergerichtlichen Antrag auf eine Sperrerklärung an die Beigeladene zu 3 gerichtet, den diese allerdings nicht zur Akte genommen habe. Der Justiziar der Beigeladenen zu 3 habe mit E-Mail vom 14...

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