Beschluss vom 04. April 2024 - 1 BvR 820/24
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240404.1bvr082024 |
Judgement Number | 1 BvR 820/24 |
Date | 04 Abril 2024 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 04. April 2024 - 1 BvR 820/24 -, Rn. 1-23, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 820/24 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
gegen |
a) |
das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 18. Oktober 2023 - J NBs 103 Js 102285/23 jug -, |
b) |
das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2023 - 32 Ds 103 Js 102285/23 jug - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Härtel
und den Richter Eifert
am 4. April 2024 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2023 - 32 Ds 103 Js 102285/23 jug - und das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 18. Oktober 2023 - J NBs 103 Js 102285/23 jug - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
- Die Entscheidungen werden aufgehoben, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen. Die Sache wird in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Augsburg (Jugendrichter) zurückverwiesen.
- Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
- Das Land Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens in Tateinheit mit Hausfriedensbruch.
1. Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind Äußerungen des Beschwerdeführers im Rahmen einer Protestaktion gegen die Rodung eines Bannwalds im Norden von (…D1…).
Nach den gerichtlichen Feststellungen erster und zweiter Instanz war der Beschwerdeführer am 26. Oktober 2022 im „Klimacamp“ in (…D1…) eingetroffen und hatte mit anderen Personen eine Protestaktion vereinbart, wobei verschiedene Arbeitsbereiche aufgeteilt wurden. Am 27. Oktober 2022 wurde auf der Internetseite www.(...).de eine Pressemitteilung des „Klimacamps“ (…D1…) veröffentlicht, in der die einem Stahlwerk durch die Regierung von (…D2…) erteilte artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung im Zusammenhang mit der Teilrodung des (…D3…)waldes bei Meitingen thematisiert und die „Besetzung“ der Regierung von (…D2…) angekündigt wurde, um hiergegen zu demonstrieren. In Bezug auf den damaligen Regierungspräsidenten von (…D2…) hieß es:
„Der gesamte Vorgang lässt nur einen Schluss zu: Regierungspräsident (…D4…) ließ nur deswegen die Ausnahmegenehmigung zur (…D3…)wald-Rodung erteilen, weil er aufgrund langjähriger Sponsoringgelder von Stahlwerksbesitzer (…D5…) mit diesem freundschaftlich verbandelt ist. Von Rechtsstaatlichkeit keine Spur. […] (…D4…) ist korrupt, auch wenn hier vermutlich nur 250 Euro flossen und Stahlwerkschef (…D5…) den Rest in Form freundschaftlicher Gefallen zahlen wird.“
Nach den gerichtlichen Feststellungen begab sich der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Personen aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses zum Gebäude der Regierung von (…D2…), betrat das Regierungsgebäude, positionierte sich dort im Foyer vor dem Präsidialbüro und ließ ein Seil aus dem geöffneten Fenster herunter. Ausgestattet mit Kletterausrüstung sicherte der Beschwerdeführer zusammen mit einer anderen Person eine weitere Person ab, die an einem herunter gelassenen Seil hochkletterte und dann, auf einem Brett sitzend, an der Fassade des Regierungsgebäudes hing. Soweit die Mitarbeiter der Regierung von (…D2…) umgehend ein Hausverbot aussprachen, leisteten der Beschwerdeführer und seine Begleiter dem keine Folge. Nicht näher bekannte weitere Personen brachten in Umsetzung eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses zudem auf dem Asphalt vor dem Regierungsgebäude mit Straßenkreide den Schriftzug „Unerhört: (…D4…) erlaubt Waldrodung für 250 €. Alle Wälder bleiben! Korruption (…D6…)!“ an; auf anderen Pappschildern beziehungsweise Plakaten war zu lesen „Korruption für 250,- Euro Frech“, „(…D3…)wald-Rodung genehmigen trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ sowie „Den (…D3…)wald für 250 € verhökern? Frech!“.
2. Das Amtsgericht (Jugendrichter) verurteilte unter anderem den Beschwerdeführer wegen übler Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und verhängte einen Dauerarrest von drei Wochen.
3. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers. In der Gesamtwürdigung sei die Kammer überzeugt, dass die Angeklagten die Tatbegehung einschließlich eines gemeinschaftlichen arbeitsteiligen Vorgehens verabredet hätten. Diesem Tatplan habe es auch entsprochen, dass mehrere Botschaften auf den Pappschildern und dem Boden angebracht seien. Die daher als Mittäter handelnden Angeklagten seien der üblen Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens in Tateinheit mit Hausfriedensbruch schuldig. Durch das Verweilen im Gebäude liege Hausfriedensbruch vor, da die Angeklagten trotz Aufforderung durch eine zur Ausübung des Hausrechts berechtigte Zeugin das Gebäude nicht verlassen hätten. Zudem sei der Tatbestand der üblen Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens...
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