BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2202/19 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau (…), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
1. |
unmittelbar gegen |
|
a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2019 - BVerwG 2 C 33.18 -, |
||
b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. September 2018 - OVG 4 B 4.17 -, |
||
c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. Dezember 2015 - VG 3 K 3564/13 -, |
||
d) den Widerspruchsbescheid des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg vom 15. August 2013 - StB 4.4-410-5/742/13 -, |
||
e) den Bescheid des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg vom 30. Mai 2013 - StB 4-410-64/13 -, |
||
2. |
mittelbar gegen |
|
a) § 9 Absätze 2 bis 4 des Brandenburgischen Polizeigesetzes in der Fassung von Artikel 1 des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes vom 9. Juni 2011 (GVBl I Nr. 10) - BbgPolG, soweit die Pflicht zur namentlichen Kennzeichnung bei Amtshandlungen an der Dienstkleidung im Sinne von § 9 Absatz 2 Satz 1 BbgPolG betroffen ist, |
||
b) die Ausgestaltung der namentlichen Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbediensteten gemäß der Verwaltungsvorschrift über die Legitimations- und Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbediensteten (VV Kennzeichnungspflicht), Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern (45.3-420-03) vom 21. November 2012, ABl Nr. 50 S. 1956, geändert durch die Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Verwaltungsvorschrift über die Legitimations- und Kennzeichnungspflicht von Polizeivollzugsbediensteten, Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Kommunales vom 7. November 2018, ABl Nr. 48 S. 1187 |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Maidowski
und die Richterin Langenfeld
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 4. November 2022 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verpflichtung der Polizeivollzugsbediensteten in Brandenburg zum Tragen eines Namensschildes an ihrer Dienstkleidung.
I.
1. Die 1983 geborene Beschwerdeführerin steht als Polizeihauptkommissarin im Dienst des Landes Brandenburg. Sie wird im Wach- und Wechseldienst und gelegentlich bei einer geschlossenen Einheit der Polizei des Landes Brandenburg verwendet.
2. Mit dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes vom 9. Juni 2011 (GVBl I Nr. 10) wurde § 9 des Brandenburgischen Polizeigesetzes (BbgPolG) mit Wirkung zum 1. Januar 2013 neu gefasst und in § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG geregelt, dass Polizeivollzugsbedienstete bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung ein Namensschild tragen. Das Namensschild wird nach § 9 Abs. 2 Satz 2 BbgPolG beim Einsatz geschlossener Einheiten durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung ersetzt. § 9 Abs. 3 BbgPolG sieht vor, dass die Legitimationspflicht und die namentliche Kennzeichnung nicht gelten, soweit der Zweck der Maßnahme oder Amtshandlung oder überwiegende schutzwürdige Belange des Polizeivollzugsbediensteten dadurch beeinträchtigt werden. § 9 Abs. 4 BbgPolG enthält eine Ermächtigung des für Inneres zuständigen Mitglieds der Landesregierung, welches Inhalt, Umfang und Ausnahmen von diesen Verpflichtungen durch Verwaltungsvorschrift zu regeln hat.
Das Ministerium des Innern erließ am 21. November 2012 eine die Kennzeichnungspflicht betreffende Verwaltungsvorschrift (VV Kennzeichnungspflicht) (ABl Nr. 50 S. 1956), die am 7. November 2018 unter anderem hinsichtlich der Ausgestaltung der Namens- und Ziffernschilder geringfügig geändert wurde (ABl Nr. 48 S. 1187). Ziffer 4.2 VV Kennzeichnungspflicht sieht die Befreiung einiger im einzelnen aufgeführten Einheiten (u.a. Polizeivollzugsbedienstete während ihres Einsatzes im Personenschutz, in der Tauchergruppe oder in der Hubschrauberstaffel) vor. In Ziffer 4.3 VV Kennzeichnungspflicht (Ausnahmen von der namentlichen Kennzeichnungspflicht) wird zunächst der Wortlaut des § 9 Abs. 3 BbgPolG wiederholt und dann ausgeführt: „Polizeivollzugsbedienstete können von der namentlichen Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden, wenn aufgrund polizeilicher Erfahrung oder anderer konkreter Umstände zu erwarten ist, dass unter Nutzung der namentlichen Kennzeichnungspflicht außerdienstliche Daten über den Polizeivollzugsbediensteten erlangt werden sollen. Über das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Befreiung entscheidet der Vorgesetzte des Polizeivollzugsbediensteten; in einer Besonderen Aufbauorganisation entscheidet der Polizeiführer. Kann diese Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden, so entscheidet der Beamte selbst.“
3. Im Frühjahr 2013 beantragte die Beschwerdeführerin beim Polizeipräsidium die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht. Mit Bescheid vom 30. Mai 2013 lehnte das Polizeipräsidium den Antrag ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Beschwerdeführerin wies das Polizeipräsidium mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2013 zurück.
4. Mit Beschluss vom 20. Juni 2014 verwarf das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg die Rechtssatzverfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin als unzulässig. Diese sei durch die Regelungen in § 9 Abs. 2 bis 4 BbgPolG nicht unmittelbar betroffen. § 9 Abs. 2 BbgPolG beschränke sich darauf, die namentliche Kennzeichnungspflicht – nur dieser unterliege die Beschwerdeführerin – im Grundsatz festzulegen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Vorschrift bleibe nach Absatz 4 einer Verwaltungsvorschrift überlassen. In den Rechtskreis des einzelnen Polizeivollzugsbediensteten werde erst dadurch eingegriffen, dass ihm gegenüber die namentliche Kennzeichnung angeordnet und damit zugleich – gege-benenfalls konkludent – festgestellt werde, dass in seinem Fall keine Ausnahmeregelung greife.
5. Mit Urteil vom 8. Dezember 2015 wies das Verwaltungsgericht Potsdam die gegen den Bescheid vom 30. Mai 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 15. August 2013 gerichtete Anfechtungs- und die Feststellungsklage der Beschwerdeführerin ab. Die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam eingelegte Berufung wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 5. September 2018 zurück.
6. Die hiergegen eingelegte Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. September 2019 zurück.
§ 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG sei verfassungsgemäß. Zwar greife die Vorschrift in das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ein. Sie genüge jedoch dem Gesetzesvorbehalt, wonach der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen dürfe. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit sei nicht festzustellen; dies gelte insbesondere für die Ausnahme in § 9 Abs. 3 BbgPolG, die sich in dem hier relevanten Zusammenhang allein auf das Namensschild nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BbgPolG beziehe. Dass der Gesetzgeber unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Gesetzesbegriffe verwende, sei angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Fallkonstellationen, in denen den Interessen des Polizeivollzugsbediensteten der Vorrang einzuräumen sei, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Schließlich begegne auch die Ermächtigungsvorschrift des § 9 Abs. 4 BbgPolG im Hinblick auf das Gebot der Normenklarheit keinen Bedenken. Sie sei nicht so auszulegen, dass das zuständige Ministerium berechtigt wäre, weitere, mit der Regelung in Absatz 3 gleichrangige Ausnahmetatbestände zu schaffen. Denn der Gesetzgeber habe die für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen. Dementsprechend sei § 9 Abs. 3 BbgPolG abschließend; Nr. 4.3 VV Kennzeichnungspflicht wiederhole den Wortlaut der Vorschrift und erläutere sie lediglich; Nr. 4.2 VV Kennzeichnungspflicht nenne zwar Gruppen von Bediensteten, die von der...