Beschluss vom 07. Juni 2011 - 1 BvR 194/11
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110607.1bvr019411 |
Date | 07 Junio 2011 |
Judgement Number | 1 BvR 194/11 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 07. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - Rn. (1-38), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 194/11 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Rechtsanwalts B...
gegen | die Verfahrensdauer in den Verfahren WB 01/04 der Steuerberaterkammer Hessen, 13 K 820/05 des Hessischen Finanzgerichts und VII B 5/10 sowie VII R 46/10 des Bundesfinanzhofs |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Paulus
und die Richterin Britz
am 7. Juni 2011 einstimmig beschlossen:
- Es wird festgestellt, dass die überlange
Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen Finanzgericht - 13
K 820/05 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des
Grundgesetzes) verletzt.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. - Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer ein Drittel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
I.
Der Beschwerdeführer rügt die überlange Dauer des Verfahrens seiner Wiederbestellung zum Steuerberater.
1. a) Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) darf die Wiederbestellung eines ehemaligen Steuerberaters nicht vor Ablauf von acht Jahren erfolgen, wenn er zuvor auf seine Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens verzichtet hatte, es sei denn, dass eine Ausschließung aus dem Beruf nicht zu erwarten war. Ist die Bestellung nach rechtskräftiger Ausschließung aus dem Beruf erloschen, so kann die Wiederbestellung nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 StBerG unter anderem dann erfolgen, wenn seit der rechtskräftigen Ausschließung acht Jahre verstrichen sind.
b) Der 1943 geborene Beschwerdeführer wurde 1970 als Steuerbevollmächtigter, 1977 als Steuerberater und 1987 als vereidigter Buchprüfer und als Wirtschaftsprüfer bestellt; seit 2005 ist er darüber hinaus als Rechtsanwalt zugelassen. Nachdem gegen ihn aufgrund von zwei berufsrechtlichen Anschuldigungsschriften ein Hauptverfahren wegen Verstoßes gegen seine Berufspflichten als Steuerberater eröffnet worden war, verzichtete er im Jahr 2000 auf seine Bestellung als Steuerberater. Das Landgericht F. stellte daraufhin das berufsgerichtliche Verfahren durch Urteil vom 15. August 2000 gemäß § 125 Abs. 3 Nr. 1 StBerG ein.
Nachdem der Beschwerdeführer zwischenzeitlich das Rechtsreferendariat abgeschlossen hatte, beantragte er mit Schreiben vom 20. Juli 2004 bei der zuständigen Steuerberaterkammer, wieder zum Steuerberater bestellt zu werden. Anschließend gestaltete sich das Verfahren wie folgt:
Die Steuerberaterkammer übersandte ihm am 26. Juli 2004 ein Antragsformular. Dieses füllte der Beschwerdeführer am 18. August 2004 aus. Es ging der Kammer am 19. August 2004 zu. Am 27. August 2004 überwies der Beschwerdeführer die erforderliche Bearbeitungsgebühr; der entsprechende Kontoauszug ging der Steuerberaterkammer am 30. August 2004 zu. Das erforderliche polizeiliche Führungszeugnis ist am 11. August 2004, der Nachweis über die Berufshaftpflichtversicherung am 25. August 2004 bei der Kammer eingegangen.
Auf die Sachstandsanfrage des Beschwerdeführers vom 31. August 2004, die am 1. September 2004 bei der Steuerberaterkammer eingegangen ist, teilte ihm die Kammer an diesem Tag mit, dass der Kammervorstand in seiner Sitzung vom 17. September 2004 entscheiden werde, ob seinem Antrag auf Wiederbestellung entsprochen werden könne. Es bestehe Anlass zu prüfen, ob seinerzeit eine Ausschließung aus dem Beruf in Betracht gekommen wäre. Insofern sei auf das Urteil des Landgerichts F. vom 15. August 2000 zu verweisen.
Am 14. September 2004 ging der Antrag des Beschwerdeführers bei der Steuerberaterkammer ein, ihm vor einer Entscheidung des Kammervorstands rechtliches Gehör zu gewähren. Außerdem beantragte er Einsicht in die Vorstandsvorlage für die Sitzung vom 17. September 2004 zu nehmen, hilfsweise in die bei der Steuerberaterkammer über ihn geführten Akten. Am 15. September 2004 schrieb die Kammer dem Beschwerdeführer, dass der Kammervorstand in seiner Sitzung vom 17. September 2004 über seinen Antrag entscheiden werde und ihm, falls der Vorstand zu der Auffassung gelangen sollte, eine Wiederbestellung komme nicht in Betracht, vor der abschließenden Entscheidung zunächst rechtliches Gehör gewährt werde. Außerdem wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass er nach vorheriger Terminsabsprache Einsicht in die über ihn geführten Akten auf der Geschäftsstelle nehmen könne. Mit Telefax vom 15. September 2004 und Schreiben vom 16. September 2004 forderte der Beschwerdeführer die Kammer abermals auf, ihm Einblick in die Vorstandsvorlage zu geben. Dem Schreiben vom 16. September 2004 waren außerdem 30 Seiten seiner Stellungnahme aus einem früheren Verfahren vor dem Landgericht B. beigefügt. Dieses Schreiben ging der Kammer am späten Vormittag des 17. September 2004 - dem Tag der Vorstandssitzung - per Fax zu.
Da der Kammervorstand sich aus Zeitgründen an diesem Tag nicht mehr mit diesem umfangreichen Schriftsatz auseinander setzen konnte und überdies noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hielt, erging am 17. September 2004 noch keine Entscheidung. Dies wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. September 2004 mitgeteilt. Ihm wurde die Möglichkeit gegeben, sich bis zum 29. Oktober 2004 ergänzend zu äußern. Innerhalb dieser Frist übersandte der Beschwerdeführer der Steuerberaterkammer neben anderen Anlagen auch die von der Kammer angeforderte 80-seitige Stellungnahme aus dem früheren Verfahren vor dem Landgericht B. Am 5. Oktober 2004 forderte die Steuerberaterkammer beim Landgericht B. die Kopie eines richterlichen Vermerks an, wonach eine Vielzahl der Tatvorwürfe verjährt und weitere Vorwürfe nicht hinreichend substantiiert seien. Diese Kopie ging am 1. November 2004 ein.
Mit Schreiben vom 9. November 2004 bestätigte die Steuerberaterkammer dem Beschwerdeführer den Eingang seines letzten Schreibens und kündigte an, dass sich ihr Vorstand in seiner nächsten Sitzung am 15. Dezember 2004 voraussichtlich abschließend mit seinem Antrag auf Wiederbestellung als Steuerberater befassen werde. Zuvor werde sich das für Berufsrecht zuständige Vorstandsreferat mit der Angelegenheit befassen. Dies geschah am 6. Dezember 2004.
Am 18. November 2004 forderte der Beschwerdeführer zwecks Vermeidung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von der Steuerberaterkammer die Bestätigung, dass der Kammervorstand sich in seiner Sitzung am 15. Dezember 2004 - falls er beabsichtige, ihn nicht wieder als Steuerberater zu bestellen - nicht abschließend mit dem Antrag befassen, sondern ihm zuvor rechtliches Gehör gewähren werde. Diese Bestätigung gab die Steuerberaterkammer nicht ab. Auf telefonische Anfrage teilte ihr Hauptgeschäftsführer dem Beschwerdeführer am 25. November 2004 mit, dass die...
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