Beschluss vom 07. September 2015 - 1 BvR 1863/12
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20150907.1bvr186312 |
Date | 07 Septiembre 2015 |
Judgement Number | 1 BvR 1863/12 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1863/12 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau H…,
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte Brehmer & Partner,
Friedrich-Ebert-Straße 71, 38440 Wolfsburg -
gegen |
a) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle |
vom 25. Juli 2012 - 15 UF 60/12 -, |
||
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn |
|
vom 22. Februar 2012 - 16 F 1382/10 VA - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Eichberger
und die Richterin Britz
am 7. September 2015 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 25. Juli 2012 - 15 UF 60/12 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen.
- Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
I.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen zum Versorgungsausgleich betreffen die Durchführung der externen Teilung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 17 VersAusglG.
1. Die Beschwerdeführerin heiratete im Jahr 1973. Sie brach ihre Ausbildung kurz nach der Eheschließung ab und war während der Ehe nicht erwerbstätig. Ihr Ehemann trat zum 1. Oktober 2010 in den Ruhestand. Die Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 24. November 2010 auf den bereits seit November 2004 rechtshängigen Scheidungsantrag hin geschieden; die Folgesache Versorgungsausgleich wurde abgetrennt. Neben Anwartschaften bei der Deutschen Rentenversicherung Bund hatte der Ehemann bei seinem Arbeitgeber Anwartschaften aus betrieblicher Altersvorsorge in Form von Direktzusagen erworben. Bei der sogenannten „Grundversorgung“ betrug der vom Ehemann erworbene Ehezeitanteil 8.510,99 € Jahresrente (monatlich 709,25 €). Bei der Berechnung des Kapitalwerts dieser Anwartschaft gemäß § 47 VersAusglG legte der Versorgungsträger einen Rechnungszins von 5,25 % zugrunde, was dem der inländischen Handelsbilanz zugrundeliegenden Zinssatz gemäß § 253 Abs. 2 HGB entsprach. Den Kapitalwert der Versorgung gab der Versorgungsträger danach mit 100.988,86 € an, den hälftigen Ausgleichsbetrag dementsprechend mit 50.494,43 €. Der Versorgungsträger beantragte die externe Teilung der Versorgung. Bei der sogenannten „Zusatzversorgung I“ betrug der vom Ehemann erworbene Ehezeitanteil 281,56 € Jahresrente (monatlich 23,46 €). Auch hier legte der Versorgungsträger bei der Berechnung des Kapitalwerts einen Rechnungszins von 5,25 % zugrunde. Den Kapitalwert der Versorgung gab der Versorgungsträger danach mit 3.454,07 € an, den hälftigen Ausgleichsbetrag dementsprechend mit 1.727,04 €. Er beantragte auch insoweit die externe Teilung der Versorgung.
2. Die Fachgerichte führten daraufhin den Versorgungsausgleich durch. Bezüglich der betrieblichen Rentenanrechte wurde eine externe Teilung angeordnet. Der Versorgungsträger wurde verpflichtet, den Ausgleichsbetrag in Höhe von insgesamt 52.221,47 € an die Versorgungsausgleichskasse zu zahlen. Die Gerichte waren der Auffassung, auf das Verfahren finde gemäß § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG das seit dem 1. September 2009 geltende Recht Anwendung. Danach seien die Anwartschaften des Ehemannes extern zu teilen, da die Wertgrenze der § 17, § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG nicht erreicht werde. Der Ausgleichsbetrag in Höhe von 52.221,47 € sei nicht zu verzinsen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs komme eine Verzinsung des Ausgleichsbetrags dann nicht mehr in Betracht, wenn der ausgleichspflichtige Ehegatte bereits Rente beziehe. Auch eine Verzinsung vom Ende der Ehezeit bis zum Beginn des Rentenbezugs sei nicht anzuordnen, da das für die spätere Rentenzahlung angesammelte Kapital Erträge einbringe und den Ausgleichsbetrag so erhöhe.
3. Die Beschwerdeführerin hält die Entscheidungen für verfassungswidrig.
a) Die vorgenommene Art und Weise des Ausgleichs der betrieblichen Altersversorgung des Ehemannes verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG. Aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG folge, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen partizipieren müssten. Vorliegend entstünden der Beschwerdeführerin durch die externe Teilung der Betriebsrente nicht mehr hinzunehmende Transferverluste, da sie statt der Hälfte der in der Ehezeit erworbenen monatlichen Betriebsrente in Höhe von etwa 365 € einen Ausgleichsbetrag erhalte, der nur zu einer monatlichen Rentenzahlung der Versorgungsausgleichskasse in Höhe von etwa 240 € führen werde.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletze sie insoweit zudem in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Gericht sei verpflichtet gewesen, die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nach § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen. Das Oberlandesgericht sei bei der Art und Weise, nach der es den Ausgleichsbetrag berechnet habe, von einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zur Frage der Bewertung von Betriebsrenten im Versorgungsausgleichsverfahren abgewichen (OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 2012 - II-12 UF...
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