Beschluss vom 10.07.2022 - BVerwG 2 WDB 11.21

Judgment Date10 Julio 2022
ECLIDE:BVerwG:2022:100722B2WDB11.21.0
Neutral CitationBVerwG 2 WDB 11.21
CitationBVerwG, Beschluss vom 10.07.2022 - 2 WDB 11.21 -
Registration Date26 Septiembre 2022
Record Number100722B2WDB11.21.0
Subject MatterVorlagen/Beschwerden nach der WDO in Disziplinarangelegenheiten
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 10 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 Satz 2,SG § 8,WDO §§ 6, 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 8 und Abs. 3 Satz 3, § 42 Nr. 5, § 72 Abs. 5, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 114 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 3, § 139 Abs. 3, § 140 Abs. 5 Satz 1, § 148,GVG § 17b Abs. 1 Satz 2, § 21e,StPO §§ 110, 307,VwVfG § 3a Abs. 2 Satz 2

BVerwG 2 WDB 11.21

  • TDG Nord 4. Kammer - 06.10.2021 - AZ: N 4 DsL 06/21 und N 5 BLd 2/21

In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke
am 10. Juli 2022 beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 6. Oktober 2021 aufgehoben; im Übrigen wird sie verworfen
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen der Bund und der Soldat jeweils zur Hälfte
Gründe I

1 Das Verfahren betrifft die Durchsuchung im Wesentlichen elektronischer Kommunikationsmittel sowie sonstiger Gegenstände des Soldaten wegen des Verdachts einer verfassungswidrigen Gesinnung sowie der kollektiven Misshandlung von Kameraden.

2 1. Der 1989 geborene Beschwerdeführer leistet als Oberstabsgefreiter bei der ... beim ... in ... Dienst.

3 2. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des ... (Wehrdisziplinaranwaltschaft) führt gegen ihn disziplinare Vorermittlungen. Mit LotusNotes vom 6. Oktober 2021, 12:09 Uhr, beantragte sie bei der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord gegen den Soldaten die Anordnung einer "Durchsuchung und/oder Beschlagnahme". Sie wirft ihm vor, seit einem noch zu ermittelnden Zeitpunkt Mitglied einer Gruppierung namens "..." oder "..." innerhalb der Einheit mit völkisch-nationaler Gesinnung zu sein. Die Gruppe führe unter anderem Aufnahmerituale wie Anurinieren von Kameraden, Austeilen von Leberhaken und Zufügung von Brandflecken durch. Beigefügt waren dem Antrag die Aussagen des Hauptgefreiten A. vom 5. Oktober 2021 sowie der Hauptgefreiten B. vom 27. September 2021.

4 3. Da sich der Vorsitzende der 5. Kammer am 6. Oktober 2021 von 10:05 bis 20:13 Uhr in einer mündlichen Verhandlung befand, wurde der Antrag von seiner Geschäftsstelle am selben Tag um 12:39 Uhr an die 3./4. Kammer desselben Truppendienstgerichts weitergeleitet.

5 4. Der Vorsitzende der 4. Kammer ordnete mit Beschluss vom 6. Oktober 2021 (Beschluss) antragsgemäß die Durchsuchung "und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln" an; im Übrigen heißt es in der Beschlussformel:
"2. Die Durchsuchung und Beschlagnahme der Mobilfunkgeräte und elektronische Datenträger des Soldaten erstreckt sich auch auf die darin befindlichen Speicherkarten sowie der von den Mobilfunkgeräten räumlich getrennten Speichermedien (z.B. 'Cloud-Daten'), soweit auf sie von den Mobilfunkgeräten aus zugegriffen werden kann, einschließlich der darin verkörperten Informationen, die als Beweismittel in Betracht kommen.
3. Die Durchführung der Beschlagnahme der Daten kann durch die Beschlagnahme des Datenträgers, auf dem sich die Daten befinden, oder durch die Anfertigung von Kopien erfolgen.
4. Die Beschlagnahme der Mobilfunkgeräte sowie der darin befindlichen Speicherkarten als elektronische Datenträger darf nur solange aufrechterhalten bleiben, wie sie zur Beweissicherung erforderlich ist."

6 Der Soldat sei eines Verstoßes gegen die Pflichten zum treuen Dienen, zur Kameradschaft und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verdächtig. Aufgrund der Aussage des Hauptgefreiten A. bestehe der Verdacht, dass von Mitgliedern der Gruppe entwürdigende Behandlungen und strafrechtliche relevante Körperverletzungen begangen würden. Der Soldat sei als Mitglied der Gruppe benannt worden. Deren Anführer solle ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer halben schwarzen Sonne in Form eines Sonnenrads mit übereinandergelegten Hakenkreuzen bzw. Siegrunen und der Aufschrift "Sonnenstudio 88 - Wir sind braun" getragen und andere Personen als "Fidschi" und "Ziegenficker" bezeichnet haben. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig. Die Durchsuchung diene dem Auffinden von Beweismitteln, die Beschlagnahme der Beweissicherung. Das Auffinden entsprechender Gegenstände würde die verfassungsfeindliche Einstellung und die disziplinar- und strafrechtliche Betätigung des Soldaten belegen. Hinsichtlich der Beschlagnahme sei eine potenzielle Beweisbedeutung des Gegenstandes erforderlich und ausreichend. Die Maßnahmen stünden auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zur Stärke des Tatverdachts.

7 5. Die Durchsuchung erfolgte am 6. Oktober 2021. In der dazu gefertigten Niederschrift heißt es unter anderem, die dort im einzelnen bezeichneten Gegenstände seien beschlagnahmt und sichergestellt worden. Der Soldat habe während der Maßnahme zwar über körperliches Unwohlsein geklagt, eine Unterstützung durch Sanitäter sei jedoch nicht notwendig gewesen.

8 6. Am 13. Oktober 2021 hat der Soldat gegen den Beschluss bei der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord Beschwerde eingelegt, der der Kammervorsitzende nicht abgeholfen hat.

9 Die Beschwerde werde auch gegen die Beschlagnahme und die Durchsicht des Mobiltelefons und sonstiger Datenträger erhoben; hilfsweise werde der Sicherstellung widersprochen und deren Herausgabe beantragt. Der Beschluss sei von einem unzuständigen Richter erlassen worden, weil die Durchführung einer Hauptverhandlung keinen Notfall darstelle. Rechtswidrig sei der Beschluss zudem, weil er nicht erkennen lasse, nach welchen Beweisen gesucht werden solle und warum zu erwarten gewesen sei, dass sich auf Mobiltelefonen oder sonstigen Datenträgern Beweise fänden. Der Soldat habe die Gegenstände auch nicht freiwillig herausgegeben. Die PIN für das Mobiltelefon sei ihm durch Täuschung entlockt worden und die Durchsuchung gezielt nach einer Übung erfolgt, um ihn im übermüdeten Zustand anzutreffen. Vor der Durchsuchung sei er auch nicht über sein Recht zur Verteidigerkonsultation belehrt worden. Das Mobiltelefon und die Musik-CDs stünden zudem im Eigentum seiner Ehefrau.

10 7. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft tritt dem entgegen. Die Anordnung der Durchsuchung, ihre Durchführung und die Beschlagnahme begegneten keinen rechtlichen Bedenken. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat sich dem angeschlossen.

11 8. Der Soldat hat darauf repliziert und der Vorsitzende Richter der 5. Kammer zur Vertretungssituation Stellung bezogen.

II

12 Der Beschwerdeführer wendet sich nicht nur gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts, sondern auch gegen Maßnahmen, die in Ausführung dessen gegen ihn ergriffen worden sind.

13 1. Die Beschwerde...

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