Beschluss vom 12.01.2022 - BVerwG 5 B 8.21

JurisdictionGermany
Judgment Date12 Enero 2022
Neutral CitationBVerwG 5 B 8.21
ECLIDE:BVerwG:2022:120122B5B8.21.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 12.01.2022 - 5 B 8.21 -
Registration Date02 Marzo 2022
Subject MatterEntschädigungsrecht nach Art. 8 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number120122B5B8.21.0

BVerwG 5 B 8.21

  • VGH Kassel - 10.12.2020 - AZ: VGH 29 C 1493/17.E

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen-Weiß und Dr. Harms
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Dezember 2020 wird verworfen
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 9 100 € festgesetzt
Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist. Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 22. Januar 2019 - 5 B 1.19 D - juris Rn. 2 und vom 29. Januar 2019 - 5 B 25.18 - juris Rn. 3 jeweils m.w.N.). Den vorgenannten Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht.

4 Die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 6) bezeichnet zwar die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob der entschädigungsrechtliche Verfahrensbegriff dann abweichend zu bestimmen ist?"

5 Diese Frage wäre in der so gestellten allgemeinen Form in einem Revisionsverfahren jedoch weder klärungsfähig noch entscheidungserheblich, zumal im streitgegenständlichen Entschädigungsrechtsstreit nach § 198 Abs. 1 GVG nicht die Bestimmung eines (allgemeinen) entschädigungsrechtlichen Verfahrensbegriffs, sondern die Würdigung des Begriffs des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG im Rahmen der Auslegung der Wartefristregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG im Streit steht. Auch wenn die von der Beschwerde aufgeworfene Frage dahin auszulegen sein sollte, dass sie sich auf die in der Beschwerdebegründung (S. 6) geschilderte Fallgestaltung beziehen soll, dass ein Verfahren vor Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 1 GVG auf anderem Wege als durch eine formell rechtskräftige Entscheidung in der Sache beendet wird, ein Beteiligter anschließend - ebenfalls innerhalb der vorgenannten Frist - Entschädigungsklage nach § 198 Abs. 1 GVG erhebt und sodann die (wirksame) Beendigung des Verfahrens bestritten wird, könnte dies nicht zur Zulassung der Revision wegen Grundsatzbedeutung führen. Auch hinsichtlich einer so zu verstehenden Frage wäre eine grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt.

6 In der Rechtsprechung des Senats zur Entschädigungsklage nach § 198 GVG ist geklärt, dass der (auch im Rahmen des Art. 23 ÜberlVfRSchG geltende) Begriff des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG an der Hauptsache orientiert ist und dementsprechend an den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens anknüpft. Der Streitgegenstand bestimmt sich nach dem sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff und ist als der prozessuale Anspruch zu verstehen, der durch die erstrebte, im Klageantrag umschriebene Rechtsfolge und den Klagegrund, d.h. den Lebenssachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist. Das Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG kann einen oder mehrere Streitgegenstände umfassen. Bei der Rechtsverfolgung verschiedener prozessualer Ansprüche ist für die Annahme eines Gerichtsverfahrens im vorgenannten entschädigungsrechtlichen Sinne entscheidend, dass die Streitgegenstände in einem Ausgangsverfahren verbunden sind und verbunden bleiben. Die Anbindung dieses entschädigungsrechtlichen Begriffs des Gerichtsverfahrens an den sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff ist bereits im Gesetzeswortlaut angelegt. Sie wird insbesondere durch § 90 Satz 2 VwGO gestützt und entspricht vor allem dem sich aus der Entstehungsgeschichte der §§ 198 ff. GVG ergebenden Gesetzeszweck und der Funktion des Rechtsschutzes bei überlangen Gerichtsverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 Rn. 15 ff.). Die Beschwerde nimmt in ihrer Begründung zwar Bezug auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2016. Sie setzt sich aber nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - mit den vorstehend skizzierten Gründen der Entscheidung substantiiert auseinander und zeigt auch nicht auf, dass und inwieweit ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf besteht.

7 Soweit die Beschwerde dahin verstanden werden möchte, der Verwaltungsgerichtshof sei mit Blick auf diese Rechtsprechung - jedenfalls der Sache nach - zu Unrecht davon ausgegangen sei, es werde kein neues Verfahren eingeleitet, sondern das ursprüngliche Verfahren fortgesetzt, wenn ein Gericht auf Antrag eines Beteiligten über die Frage der (wirksamen) Beendigung des Verfahrens durch übereinstimmende Erledigungserklärungen zu entscheiden habe mit der Folge, dass eine teleologische Reduktion des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht zur Anwendung komme, rügt sie einen Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall. Damit kann eine grundsätzliche Bedeutung nicht dargetan werden.

8 2. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

9 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 2021 - 5 B 22.20 D - NVwZ-RR 2021, 997 Rn. 21 m.w.N.). Dem genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht.

10 Die Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 6) führt unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - (BVerwGE 156, 229) aus:
"Von dieser Rechtsprechung [des Bundesverwaltungsgerichts] zum entschädigungsrechtlichen Verfahrensbegriff weicht das angefochtene Urteil mit der Erwägung ab, ein Verfahren sei nicht im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG beendet und § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG einer teleologischen Auslegung nicht zugänglich, nur weil nach Klageerhebung gemäß §§ 198 ff. GVG zu einem Ausgangsverfahren in einem neuen Verfahren streitig wird, ob das Ausgangsverfahren beendet ist".

11 Demgegenüber habe das Bundesverwaltungsgericht in dem erwähnten...

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