Beschluss vom 12. Juli 2023 - 1 BvR 58/23
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230712.1bvr005823 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 12. Juli 2023 - 1 BvR 58/23 -, Rn. 1-21, |
Judgement Number | 1 BvR 58/23 |
Date | 12 Julio 2023 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 58/23 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
gegen |
a) |
den Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 4. Oktober 2022 - 3 Qs 339/22, 3 Qs 340/22 -, |
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 2. Juli 2021 - 25 Gs 3372/21 - (Erweiterung), |
|
c) |
den Beschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom 2. Juli 2021 - 25 Gs 3372/21 - |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Ott
und die Richter Radtke,
Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 12. Juli 2023 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind auf den Verdacht von Beleidigungen in einer Chatgruppe gestützte Durchsuchungen.
I.
Der Beschwerdeführer ist Polizeibeamter. Nach eigenem Vortrag habe es in seiner Dienstgruppe persönliche Differenzen und dadurch ein angespanntes Arbeitsklima gegeben. Teile der Dienstgruppe tauschten sich daher – vornehmlich über ihre Kollegen – in der Chatgruppe eines Instant-Messengers aus.
Mit Beschlüssen vom 2. Juli 2021 ordnete das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer die Durchsuchung seiner Wohnung und seines Dienstbüros sowie die Beschlagnahme unter anderem von Kommunikationsmitteln des Beschwerdeführers wie Mobiltelefonen an. Er sei der Beleidigung verdächtig. Als Mitglied der Chatgruppe habe er Kollegen – in näher festgestellter Weise – beschimpft. Die Durchsuchung sei unter anderem geboten, um Kommunikationsmittel zu finden, die die beleidigenden Chatverläufe enthielten. In Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses wurde ein Mobiltelefon des Beschwerdeführers zunächst zur Durchsicht vorläufig sichergestellt und – nach Angaben des Beschwerde- führers – später auch beschlagnahmt.
Die gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 2. Juli 2021 erhobene Beschwerde verwarf das Landgericht mit Beschluss vom 4. Oktober 2022 als unbegründet. Eine hiergegen angebrachte Gehörsrüge blieb ohne Erfolg.
II.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) und Art. 10 Abs. 1 GG (Fernmeldegeheimnis). Dies begründet er im Wesentlichen damit, dass die Fachgerichte es versäumt hätten, eine (jede) private Chatgruppe unter Arbeitskollegen als „beleidigungsfreie Sphäre“ anzuerkennen, in der selbst Schmähkritik und Formalbeleidigungen in Bezug auf Dritte straffrei sein müssten.
III.
Die Verfassungsbeschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie offensichtlich und aus mehreren Gründen unzulässig ist.
1. Der Beschwerdeführer hat schon kein Rechtsschutzbedürfnis dargelegt.
a) Es ist durch das Bundesverfassungsgericht geklärt, dass nach der Erledigung einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme von Verfassungs wegen grundsätzlich kein lückenloser voraussetzungsloser Rechtsschutz gewährt werden muss. Vielmehr ist mit deren Erledigung anzunehmen, dass das Rechtsschutzbedürfnis mangels fortbestehender Beschwer entfällt und damit einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache die Grundlage entzogen ist. Lediglich in besonderen Fällen kann das Rechtsschutzbedürfnis trotz einer solchen Erledigung fortbestehen. Hierunter fallen neben einer weiterhin von der aufgehobenen oder gegenstandslos gewordenen Maßnahme ausgehenden Beeinträchtigung Fälle der Wiederholungsgefahr und von tiefgreifenden und folgenschweren, sich typischerweise schnell erledigenden Grundrechtseingriffen (vgl. BVerfGE 81, 138 ; 116, 69 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 - 2 BvR 446/98 -, Rn. 12; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2008 - 2 BvR 683/08 -). Ein solcher Grundrechtseingriff kommt...
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