Beschluss vom 13. April 2023 - 1 BvR 667/22
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230413.1bvr066722 |
Date | 13 Abril 2023 |
Judgement Number | 1 BvR 667/22 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. April 2023 - 1 BvR 667/22 -, Rn. 1-33, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 667/22 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der (…)-GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer (…) und (…), |
- Bevollmächtigte:
- (…) -
gegen |
das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Januar 2022 - 66 S 157/21 - |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Ott
und die Richter Radtke,
Wolff
am 13. April 2023 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Januar 2022 - 66 S 157/21 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
- Damit wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 28. Februar 2022 - 66 S 157/21 - gegenstandslos.
- Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtzulassung der Revision in einer Mietstreitigkeit.
1. Die Beschwerdeführerin ist Vermieterin einer Wohnung und Beklagte des Ausgangsverfahrens. Sie wurde von der dortigen Klägerin auf Rückzahlung von Miete in Anspruch genommen. Dabei ging diese – eine Inkassodienstleisterin – aus abgetretenem Recht des Mieters der Beschwerdeführerin vor. Außergerichtlich hatte die Klägerin gegenüber der Beschwerdeführerin eine Überschreitung der zulässigen Höchstmiete um mehr als 10 % der ortsüblichen Vergleichsmiete gerügt und weitergehende Auskunft gefordert, um die Zulässigkeit der vereinbarten Miete abschließend prüfen zu können. Zudem verlangte sie die Rückzahlung von zu viel entrichteter Miete.
2. a) Dieses Auskunfts- und Zahlungsbegehren machte die Klägerin vor dem Amtsgericht klageweise geltend und verlangte neben der Auskunft (Klageantrag zu 1) und der Rückzahlung von zu viel entrichteter, auf den Monat Mai 2019 entfallender Miete in Höhe von 494 Euro (Klageantrag zu 2) die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten (Klageantrag zu 3). Das Amtsgericht gab der Klage mit nicht angegriffenem Urteil vom 1. Juni 2021 lediglich im Klageantrag zu 3 statt und wies sie im Übrigen ab. Es stellte einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 556d Abs. 1 BGB fest, weil die aktuelle Nettokaltmiete, die der Mieter der Beschwerdeführerin zahle, 1.097 Euro betrage. Vor der Einführung der so genannten Mietpreisbremse habe sie bei 603 Euro gelegen. Es sei deshalb gerechtfertigt, dass der Mieter zur Rechtsverfolgung die Inkassodienstleistungen der Klägerin in Anspruch genommen habe. Gegen die Aktivlegitimation der Klägerin und die Höhe der verlangten Rechtsverfolgungskosten sei nichts zu erinnern. Im Übrigen sei die Klage jedoch unbegründet: Ein Anspruch auf Auskunftserteilung (Klageantrag zu 1) bestehe nicht mehr, weil die Beschwerdeführerin diesen erfüllt habe. Die Rückzahlung des auf den Monat Mai 2019 entfallenden Mietzinses (Klageantrag zu 2) könne die Klägerin nicht verlangen, da dem Rügeschreiben der Klägerin aus dem April 2019 (vgl. § 556g Abs. 2 BGB) nicht die nach § 174 BGB notwendige Originalvollmacht beigefügt gewesen sei, woraufhin die Beschwerdeführerin zu Recht die Rüge zurückgewiesen habe.
b) Die Klägerin hat Berufung zum Landgericht zunächst unbeschränkt eingelegt.
aa) In ihrer Berufungsbegründung hat sie jedoch klargestellt, das amtsgerichtliche Urteil lediglich insoweit anzugreifen, als der Klageantrag zu 2 (Rückzahlung des auf den Monat Mai 2019 entfallenden Mietzinses in Höhe von 494 Euro) abgewiesen worden sei. Daneben hat sie ihre Klage erweitert und nunmehr auch die Rückzahlung des auf den Monat Juni 2019 entfallenden Mietzinses in Höhe von weiteren 494 Euro verlangt. In der Sache habe das Amtsgericht zu Unrecht auf § 174 BGB abgestellt.
bb) Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Erwiderungsschrift das erstinstanzliche Urteil verteidigt und daneben die Unzulässigkeit der Berufung geltend gemacht. Das Amtsgericht habe die Berufung nicht zugelassen. Die deshalb für eine Wertberufung erforderliche Berufungssumme von mehr als 600 Euro sei nicht erreicht, weil der Wert des Beschwerdegegenstands nur 494 Euro betrage. Die erst in der Berufungsinstanz erfolgte Klageerweiterung dürfe bei dessen Bestimmung nicht berücksichtigt werden.
cc) In der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es die Berufung für zulässig erachte. Die Beschwer sei aufgrund der Klageerweiterung erreicht. § 174 BGB sei in der streitgegenständlichen Konstellation nicht anwendbar. Auf diese Hinweise hin hat die Beschwerdeführerin die Zulassung der Revision beantragt. Im Rahmen eines gewährten Schriftsatznachlasses hat sie unter Verweis auf die Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs ausgeführt, warum die Klägerin die erforderliche Berufungssumme nicht erreicht habe.
dd) Das Landgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 7. Januar 2022 der Berufung stattgegeben und die Beschwerdeführerin zur Zahlung von 494 Euro im Hinblick auf die auf den Mai 2019 sowie zur Zahlung von weiteren 494 Euro im Hinblick auf die auf den Juni 2019 entfallende Miete verurteilt. Die Revision hat es nicht zugelassen.
Die für eine zulässige Berufung erforderliche Mindestbeschwer sei erreicht, weil die in zweiter Instanz erfolgte Klageerweiterung bei deren Berechnung zu berücksichtigen sei. Ursprünglich habe die Beschwer bei Einlegung des Rechtsmittels 5.137,60 Euro betragen, weil die Klägerin mit ihren Klageanträgen zu 1 (Auskunft) in Höhe von 4.643 Euro und zu 2 (Mietrückzahlung) in Höhe von 494 Euro erstinstanzlich unterlegen sei. Dass diese Beschwer unter die Wertgrenze von 600 Euro gefallen sei, weil die Klägerin den Klageantrag zu 1 (Auskunft) mit ihrer Berufung nicht weiterverfolgt habe, stelle im Ergebnis deren Zulässigkeit nicht in Frage. Denn durch die in zweiter Instanz vorgenommene Klageerweiterung in Höhe von 494 Euro sei die Wertgrenze von 600 Euro wieder überschritten worden. Die Berufung sei auch begründet, weil das Amtsgericht zu Unrecht die Vorschrift des § 174 BGB auf die Rüge nach § 556g Abs. 2 BGB angewendet habe.
ee) Die gegen dieses Urteil gerichtete Anhörungsrüge hat das Landgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2022 zurückgewiesen.
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hätte die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Variante 2 ZPO unter dem Gesichtspunkt der Divergenz...
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