Beschluss vom 14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2004:rk20040614.2bvr113603 |
Judgement Number | 2 BvR 1136/03 |
Date | 14 Junio 2004 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2004 - 2 BvR 1136/03 - Rn. (1-62), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1136/03 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F ...,
Holstenwall 7, 20355 Hamburg -
gegen a) | den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 7. Juli 2003 - 620 Qs 39/03 - |
b) | den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 5. Juni 2003 - 620 Qs 39/03 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. Juni 2004 einstimmig beschlossen:
- Die Beschlüsse des Landgerichts Hamburg vom
5. Juni 2003 und vom 7. Juli 2003 - 620 Qs
39/03 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes
in Verbindung mit seinem Grundrecht auf willkürfreie
Entscheidung (Artikel 3 Absatz 1 des
Grundgesetzes). Die Beschlüsse werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen. - Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung des dinglichen Arrests in das Vermögen des Beschwerdeführers zur Sicherung des Verfalls gemäß §§ 111b Abs. 2, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73 Abs. 1, 73a StGB.
Der Beschwerdeführer ist neben sieben weiteren Personen Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen Kursbetrugs und gewerbsmäßigen Betrugs (§ 88 BörsG a.F., § 38 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 20a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 WpHG, § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 25 Abs. 2, § 53 StGB).
1. Der Beschwerdeführer war im August 2000 Vorstandsvorsitzender der I... AG sowie Präsident des Verwaltungsrats der D... AG, Schweiz. An letzterer war er über die A... GmbH mit einem Aktienanteil von 34 % beteiligt. Bei der I... AG handelte es sich um eine Tochtergesellschaft der D... AG.
a) Am 15. August 2000 ließ der Beschwerdeführer im Wege einer "Ad-hoc"-Meldung" verkünden, dass die I... AG gegenüber dem 1. Quartal 2000 eine Umsatzsteigerung von 53 % auf 25,16 Mio. EUR erzielt und sich der Verlust pro Aktie um 0,15 EUR auf -0,24 EUR reduziert habe. In weiteren "Ad-hoc-Mitteilungen" vom 28. November 2000 sowie vom 6. März 2001 wurden weitere positive Umsatzzahlen veröffentlicht. Während der Vergleichsindex NEMAX Media + Entertainment im Zeitraum vom 15. August 2000 bis 18. Dezember 2000 um 48,39 % sank, stieg der Kurs der I... Aktie um 22,5 % (von 38,75 EUR/Aktie auf 50 EUR/Aktie), was nach Auffassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (- BAFin -) jedenfalls auch auf die genannten Veröffentlichungen zurückzuführen sein soll.
b) Der Beschwerdeführer gewann zu einem bisher unbekannten Zeitpunkt die in England ansässige E... plc. als Interessentin für die von der D... AG gehaltenen Anteile an der I... AG sowie weiterer Aktienanteile von "befreundeten Aktionären" der D... AG. Dazu zählte u. a. auch der Beschwerdeführer selbst, der persönlich 1,26 % der Aktien hielt.
Am 19. Dezember 2000 wurde über eine Pressemitteilung der I... AG und der D... AG verkündet, dass E... plc. rund 75 % der Aktien der I... AG zum 30. Januar 2001 zu einem Preis von 812 Mio. EUR erwerben werde. Dem Kaufpreis zugrunde lagen der Aktienkurs vom 18. Dezember 2000 (50 EUR/Aktie) sowie ein "Paketzuschlag" in Höhe von 16 %. Dies ergab einen Preis von 58 EUR pro Aktie. Von den 812 Mio. EUR für den 75 %-Anteil der D... AG sowie der "nahe stehenden" Aktionäre entfielen 722 Mio. EUR auf die D... AG. Der Preis blieb zu einem gewissen Anteil aber erfolgsabhängig (sog. "earn-out"). Vorgesehen war eine Sofort-Zahlung in Höhe von 210 Mio. EUR; der Rest sollte in Form eines Tausches von I...-Aktien gegen neu aufgelegte E...-Aktien abgewickelt werden, wobei die D... AG sich verpflichtete, die E...-Aktien nicht vor Einhaltung einer Sperrfrist von neun Monaten nach der für Ende Januar 2001 vorgesehenen "Closing"-Phase zu verkaufen. Der Beschwerdeführer erhielt für seine 1,26 % I...-Aktien, die Bestandteil des verkauften 75 % Aktien-Pakets waren, 10.231.200 EUR in Form von Bargeld oder E...-Aktien.
c) Nach Zahlung und Austausch der Aktien im Februar 2001 fielen die Aktienkurse beider Unternehmen. Im Frühjahr 2001 erzielte die D... AG durch den vorzeitigen Verkauf rund eines Drittels der überlassenen E...-Aktien einen Erlös von 80 Mio. EUR. Auf der Hauptversammlung der D... AG am 21. Juni 2001 wurde (dennoch) die Ausschüttung des Gewinns aus der Veräußerung des Mehrheitsanteils an der I... AG im Rahmen einer außerordentlichen Dividende in Höhe von insgesamt 233 Mio. Schweizer Franken beschlossen, an der der Beschwerdeführer über die A... GmbH als Großaktionär der D... mit einem Aktienanteil von 34 % Hauptnutznießer war.
2. Im April 2003 erstattete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Kurs- und Marktpreismanipulationen gegen den Beschwerdeführer und sechs weitere Personen. Vorausgegangen waren zwei anonyme Anzeigen sowie eine Mitteilung der D... AG, in denen im Wesentlichen der gleiche Vorwurf über Kursmanipulationen der I...-Aktien erhoben wurde.
In diesem Zusammenhang wurde ein mit "Streng vertraulich" überschriebenes Protokoll eines "Kick-off-Meeting" der Beschuldigten sowie die ebenfalls anonyme Beschreibung des "Projekt I... 2000" vorgelegt. Daraus ging hervor, dass die I... AG entgegen der "Ad-hoc-Mitteilung" vom 15. August 2000 ihr Planziel im 2. Quartal 2000 nicht erreicht hatte. Deshalb hätten die Beschuldigten am 19. September 2000 Maßnahmen besprochen, um den Kurs der I...-Aktien zu manipulieren, diese auch in den folgenden Quartalen zu stützen und sie sodann zu einem höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Dazu hätten durch - im Einzelnen näher dargelegte - Manipulationen die Umsatzzahlen den verkündeten Prognosen und angeblich getätigten Umsätzen angepasst werden sollen.
3. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht eine Reihe von Durchsuchungsbeschlüssen. Den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls sowie des dinglichen Arrests in das Vermögen der Beschuldigten lehnte die Ermittlungsrichterin hingegen am 2. Juni 2003 ab. Die bestehende Verdachtslage rechtfertige diese gravierenden Maßnahmen nicht. Hinsichtlich der beantragten Arreste bestünde wegen ihrer enormen Höhe die Gefahr von irreparablen Folgen. Derart einschneidende Maßnahmen erforderten in Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einen erheblich gesteigerten Verdachtsgrad, der nicht gegeben sei. Die Beweislage beruhe bisher nur auf - grundsätzlich unverwertbaren - anonymen Anzeigen, unbeglaubigter und daher hinsichtlich ihrer Echtheit nicht überprüfbarer Kopien sowie Meldungen aus dem Internet, deren Richtigkeit nicht anhand objektiver Kriterien überprüft werden könne. Ferner sei hinsichtlich des Vorwurfs der Kursmanipulation nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen, dass den angeblich vorgetäuschten Geschäften tatsächlich keine Lieferungen oder Leistungen der I... AG zugrunde gelegen hätten. Hinsichtlich des Vorwurfs des Betrugs zu Lasten der E... plc. fehle es an konkreten Angaben über die dem Verkauf zugrunde liegenden Verhandlungen und etwaigen getroffenen Zusicherungen. Zeugenvernehmungen seien nicht erfolgt, eine Abschrift des Kaufvertrags liege nicht vor. Es fehle an einer Darlegung, ob überhaupt ein verantwortlich Handelnder auf Seiten der E... plc. getäuscht worden sei und welche Personen bei den Verhandlungen beteiligt gewesen seien.
4. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht Hamburg am 5. Juni 2003 zunächst den Beschluss des Amtsgerichts auf. Zur Begründung führte es aus, es bestünde entgegen der Ansicht des Amtsgerichts dringender Tatverdacht gegen die Beschuldigten. Die anonymen Hinweise hätten sich im Laufe der weiteren Ermittlungen bestätigt; so seien bei den Durchsuchungsmaßnahmen handschriftliche Aufzeichnungen eines Beschuldigten aufgefunden worden, die die Vornahme von Scheingeschäften und daraus resultierenden Kursmanipulationen bestätigten.
In einem gesonderten Beschluss vom gleichen Tage ordnete das Landgericht mit verfahrensgegenständlichem Beschluss gemäß §§ 111b Abs. 2 und 5, 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 73, 73a StGB den dinglichen Arrest in Höhe von 532 Mio. EUR in das Vermögen des Beschwerdeführers an wegen des Anspruchs auf Verfall von Wertersatz und Ansprüchen Geschädigter (sog. Rückgewinnungshilfe). Weder dem Tenor noch den Gründen des Beschlusses lässt sich entnehmen, dass zuvor ein ablehnender Beschluss des Amtsgerichts ergangen war. Nach Schilderung der tatsächlichen Umstände des Tatvorwurfs gemäß § 88 BörsG a.F., § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 25 Abs. 2, § 53 StGB (wie oben I. 1., 2.) führt die Kammer ergänzend aus, dass Wirtschaftsprüfer wohlwollend den Wert der I... AG zum Zeitpunkt des Verkaufs auf 280 Mio. EUR geschätzt hätten. Der Erwerb der I... AG wäre für E... plc. bei Kenntnis der stagnierenden Umsatzzahlen und eines entsprechend niedrigeren Börsenkurses ohne Interesse gewesen und es wäre kein Kaufpreis von 812 Mio. EUR für 75 % der I...-Aktien erzielt worden.
Die Höhe des (im Wege der Rückgewinnungshilfe arrestierten) Betrugsschadens ergebe sich aus der Differenz zwischen dem gezahlten Kaufpreis in Höhe von 812 Mio. EUR für 75 % der I...-Aktien und dem tatsächlichen von Wirtschaftsprüfern wohlwollend geschätzten Gesamtwert der I... AG von 280 Mio. EUR. Dies ergebe einen Betrag von 532 Millionen Euro. Dabei seien zugunsten des Beschuldigten 70 Mio. EUR Differenz (= 25 % des Substanzwertes) unberücksichtigt gelassen...
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