Beschluss vom 17.05.2023 - BVerwG 9 B 33.22

JurisdictionGermany
Judgment Date17 Mayo 2023
Neutral CitationBVerwG 9 B 33.22
ECLIDE:BVerwG:2023:170523B9B33.22.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 17.05.2023 - 9 B 33.22 -
Record Number170523B9B33.22.0
Registration Date31 Julio 2023
Subject MatterSonstiges Abgabenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 9 B 33.22

  • VG Magdeburg - 13.06.2017 - AZ: 9 A 37/15 MD
  • OVG Magdeburg - 20.09.2022 - AZ: 4 L 25/22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Mai 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und
Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 20. September 2022 wird zurückgewiesen
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
  3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2 193,31 € festgesetzt
Gründe I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen für die Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten.

2 Die Klägerin, deren Grundstück seit den 1990er Jahren an eine ursprünglich von der Gemeinde betriebene Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung angeschlossen ist, wurde nach Übernahme der Einrichtung durch den beklagten Zweckverband mit Bescheid vom 9. Oktober 2014 erstmals zu Schmutzwasserbeiträgen herangezogen. Das Verwaltungsgericht gab ihrer dagegen erhobenen Klage mit der Begründung statt, die sachliche Beitragspflicht sei nach der Abwasserabgabensatzung der Gemeinde aus dem Jahr 2003 (AS 2003) entstanden, durch Eintritt der Festsetzungsverjährung aber erloschen und durch die Aufgabenübertragung auf den Beklagten nicht neu begründet worden. Mit Urteil vom 20. August 2019 änderte das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Klage ab. Es ließ die Frage der Wirksamkeit der AS 2003 im Ergebnis offen, weil die etwaige Verjährung eines danach begründeten Beitragsanspruchs dem Entstehen eines weiteren Herstellungsbeitragsanspruchs nicht entgegenstehe. Mit dem Beitritt der Gemeinde zum Beklagten sei rechtlich eine neue öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung entstanden, für die (nochmals) Herstellungsbeiträge erhoben werden könnten. Deren Rechtsgrundlage ergebe sich aus der im Jahr 2012 erlassenen Satzung des Beklagten (AS 2012).

3 Im Revisionsverfahren hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 20. August 2019 auf (BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2021 - 9 C 10.20 - BVerwGE 173, 340): Die Auffassung, dass eine etwaige Festsetzungsverjährung des Beitragsanspruchs der Gemeinde keine schutzwürdige Rechtsposition der Klägerin gegenüber der Heranziehung zu Beiträgen für die öffentliche Einrichtung des Beklagten begründe, verstoße in dieser Pauschalität gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. In die durch eine Festsetzungsverjährung vermittelte, verfassungsrechtlich geschützte Vertrauensposition werde eingegriffen, wenn und soweit der neue Einrichtungsträger bei der Bemessung seiner Beiträge Herstellungsaufwand berücksichtige, der bereits Gegenstand des früheren Beitragsschuldverhältnisses gewesen sei und für den der vormalige Einrichtungsträger nach Ablauf der Festsetzungsfrist keine Beiträge mehr habe erheben dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurück, dem die Prüfung weiterer kommunalabgabenrechtlicher Umstände vorbehalten blieb. Dies betraf insbesondere die Frage, ob hinsichtlich des Beitragsanspruchs der Gemeinde auf der Grundlage der AS 2003 tatsächlich Festsetzungsverjährung eingetreten ist, sowie Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang mit dem angefochtenen Bescheid auch der Herstellungsaufwand für die vom Beklagten übernommene öffentliche Einrichtung der Gemeinde geltend gemacht wird.

4 Mit Urteil vom 20. September 2022 wies das Oberverwaltungsgericht die Klage wiederum ab: Die Klägerin könne sich nicht auf eine geschützte Vertrauensposition aufgrund einer Festsetzungsverjährung berufen, weil der Beitragsteil der AS 2003 wegen Nichtigkeit der Regelung in § 4 Abs. 4 Nr. 2 insgesamt nichtig sei und deshalb auf dieser Grundlage keine sachliche Beitragspflicht entstanden und keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Der gleiche Fehler habe auch die AS 2012 betroffen. Die sachliche Beitragspflicht sei erst durch den - rückwirkend zum 15. Oktober 2015 in Kraft getretenen - Beitragsteil der Abwasserabgabensatzung vom 7. November 2018 (AS 2018) begründet worden. Die Ausschlussfrist des § 13 Satz 1 KAG-LSA sei gewahrt.

5 Gegen die Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II

6 Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die auf alle Zulassungsgründe gestützt ist, hat keinen Erfolg.

7 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

8 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, legt die Beschwerde nicht dar.

9 a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
"Ist im Abgabenrecht eine in der Beitragssatzung vorgesehene generelle Aufrundungsregelung, wonach als Zahl der Vollgeschosse bei Grundstücken, für die im Bebauungsplan statt der Zahl der Vollgeschosse die Höhe der baulichen Anlagen festgesetzt ist, in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO die durch 3,5 und in allen anderen Baugebieten die durch 2,3 geteilte höchstzulässige Gebäudehöhe gilt, und zwar auf ganze Zahlen aufgerundet, ist - jedenfalls für Grundstücke in anderen als Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten gelegenen Gebieten - mit dem Vorteilsprinzip und dem Gleichheitsgebot vereinbar?",
könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Denn sie betrifft der Sache nach die Auslegung von irrevisiblem Landesrecht.

10 Hintergrund der Frage ist der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmung in § 4 Abs. 4 Nr. 2 AS 2003, die eine Aufrundungsregelung mit dem in der Grundsatzfrage näher beschriebenen Inhalt enthielt, als mit dem Vorteilsprinzip des Kommunalabgabengesetzes und mit dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar und die Satzung deshalb insgesamt für nichtig angesehen hat. Mit ihrer Grundsatzrüge zielt die Klägerin auf eine Überprüfung dieser Auffassung durch das Revisionsgericht. Die Beurteilung einer einzelnen abgabenrechtlichen Satzungsbestimmung ist aber ebenso wie die Auslegung und Anwendung des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (KAG-LSA) und die nähere Bestimmung des in § 6 KAG-LSA geregelten Vorteilsbegriffs eine Frage des Landesrechts, die dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist; dessen Vorteilsverständnis und Interpretation der abgabenrechtlichen Vorschriften sind grundsätzlich auch in einem Revisionsverfahren zugrunde zu legen (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 2021 - 9 C 10.20 - BVerwGE 173, 340 Rn. 14).

11 Der Hinweis der Klägerin auf das (bundesrechtliche) Erschließungsbeitragsrecht und dazu ergangene Entscheidungen führt zu keiner anderen Beurteilung, weil es sich dabei um einen anderen Regelungskontext handelt. Im Übrigen ändert selbst eine (teilweise) inhaltliche Übereinstimmung mit bundesrechtlichen Bestimmungen nichts an dem landesrechtlichen Charakter einer Norm und macht diese nicht revisibel (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 - 7 C 20.67 - BVerwGE 32, 252 und Beschluss vom 15. Februar 2021 - 9 B 10.20 - juris Rn. 4).

12 Soweit die Beschwerde das Prinzip der Abgabengleichheit und der Vorhersehbarkeit von Abgabenpflichten anspricht und sich auf das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Bestimmtheitsgebot beruft, vermittelt auch dies der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Dass die Auslegung und Anwendung des Landesrechts mit Bundes- oder Verfassungsrecht in Übereinstimmung stehen muss, macht das Landesrecht selbst noch nicht revisibel. Mit der Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Beachtung von Bundes(verfassungs)recht lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann begründen, wenn gerade die Auslegung der bundesrechtlichen Norm ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 8. April 2021 - 9 B 30.20 - juris Rn. 10 m. w. N.). Dazu trägt die Beschwerde nichts vor.

13 b) Die weiteren Grundsatzfragen,
"Kann die aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit vom Gesetzgeber festgesetzte Höchstfrist für die Beitragserhebung nach Entstehen der Vorteilslage dadurch gewahrt werden, dass nach dem Ablauf dieser Frist durch eine rückwirkend in Kraft gesetzte Satzung im Verwaltungsprozess eine fehlerhafte Satzung nachträglich 'geheilt' wird, wenn diese heilende Satzung nicht lediglich die fehlerhafte Bestimmung korrigiert, sondern darüber hinaus weitere inhaltliche Veränderungen vornimmt, Tatbestände hinzufügt oder sonst vorhandene Regelungen (Tiefenbegrenzung) abschafft?"
und
"Ist es unter bundesrechtlichen Gesichtspunkten erforderlich, dass die sachliche Beitragspflicht...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT