Beschluss vom 17. August 2023 - 2 BvR 1851/22
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230817.2bvr185122 |
Judgement Number | 2 BvR 1851/22 |
Date | 17 Agosto 2023 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. August 2023 - 2 BvR 1851/22 -, Rn. 1-117, |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1851/22 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1.der (…) GmbH & Co. KG, vertreten durch die Komplementärin (…) Verwaltungs-GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer (...), |
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2.des Herrn (…), |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt (…) -
gegen |
1. a) den Beschluss des Landgerichts München I vom 30. September 2022 - 16 T 10239/22 -, |
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b) den Beschluss des Landgerichts München I vom 14. September 2022 - 16 T 10239/22 -, |
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2. a) den Beschluss des Landgerichts München I vom 16. September 2022 - 16 T 10239/22 -, |
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b) den Beschluss des Landgerichts München I vom 25. August 2022 - 16 T 10239/22 -, |
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c) den Beschluss des Amtsgerichts München vom 15. August 2022 - 1537 M 30975/21 -, |
||
d) den Beschluss des Amtsgerichts München |
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vom 28. März 2022 - 1537 M 30975/21 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Müller
und die Richterinnen Langenfeld,
Fetzer
am 17. August 2023 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landgerichts München I vom 25. August 2022 - 16 T 10239/22 - verletzt die Beschwerdeführerin zu 1. in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 3 des Grundgesetzes und den Beschwerdeführer zu 2. in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird daher aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Die einstweilige Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus dem Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Januar 2020 - 5 O 390/16 - wird bis zu einer erneuten Entscheidung des Landgerichts München I über die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1. verlängert.
- Der Freistaat Bayern hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach vorheriger Erteilung einer Auskunft im Rahmen einer Stufenklage (§ 254 ZPO). Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Zurückweisung eines im Verlauf des Zwangsvollstreckungsverfahrens gestellten und auf § 261 Abs. 1 BGB analog gestützten Antrags der Beschwerdeführerin zu 1., die abzugebende eidesstattliche Versicherung auf eine zu ergänzende Auskunftserteilung zu erstrecken und ihren Wortlaut gegenüber der rechtskräftigen Verurteilung abzuändern.
1. Der Beschwerdeführer zu 2. ist der Geschäftsführer der Komplementärin der Beschwerdeführerin zu 1.
Die Beschwerdeführerin zu 1. bietet unter anderem Bezahlfernsehen über Abonnements an. Der Gläubiger war langjährig Inhaber eines solchen Abonnements. Aufgrund eines Buchungsfehlers berühmte sich die Beschwerdeführerin zu 1. im Jahr 2016 einer noch offenen Restforderung gegen den Gläubiger und versuchte zunächst, die vermeintliche Forderung außergerichtlich geltend zu machen. Sie mahnte den aus ihrer Sicht offenen Restbetrag an und schaltete schließlich ein Inkassounternehmen zur Beitreibung der Forderung ein. Dieses holte bei einer Auskunftei Bonitätsinformationen über den Gläubiger ein.
2. Das Vorgehen der Beschwerdeführerin zu 1. mündete in einen Rechtsstreit zwischen ihr und dem Gläubiger, in dem dieser unter anderem die Feststellung des Nichtbestehens der geltend gemachten Forderung, die Erteilung einer Auskunft durch die Beschwerdeführerin zu 1. über die Herausgabe von ihn betreffenden Informationen und Daten an Dritte und die (spätere) Versicherung an Eides statt über die Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Auskunft begehrte.
a) Durch Teilurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. April 2018 wurde zunächst festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zu 1. keine fälligen Forderungen gegen den Gläubiger habe. Zudem wurde die Beschwerdeführerin zu 1. auf erster Stufe antragsgemäß unter anderem dazu verurteilt, dem Gläubiger darüber Auskunft zu erteilen, an wen sie welche Informationen und Daten über den Gläubiger herausgegeben habe.
b) In der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf stellte der Gläubiger in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2019 seinen Antrag auf Erteilung der Auskunft dahin um, dass er Auskunft darüber begehrte, an wen die Beschwerdeführerin zu 1. und/ oder von ihr beauftragte Dritte Informationen und Daten über ihn herausgegeben hätten. Direkt nach der Antragsumstellung erklärten die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
Hintergrund der Erledigungserklärung war, dass die Beschwerdeführerin zu 1. mit Schreiben vom 26. Juni 2018 (Anlage K18) und mit E-Mail vom 28. Juni 2018 (Anlage K19) dem Gläubiger Auskunft über die Daten erteilt hatte, welche sie an das Inkassounternehmen und dieses wiederum an die Auskunftei übermittelt hatte.
c) Mit Berufungsurteil vom 16. Mai 2019 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Berufung der Beschwerdeführerin zu 1. unter anderem mit der Maßgabe zurück, dass die vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung der Beschwerdeführerin zu 1. zur Auskunftserteilung wirkungslos sei. Insoweit traf es aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärung eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO. Hierbei bejahte es die Erfolgsaussicht der erhobenen Auskunftsklage und legte die diesbezüglich angefallenen Kosten der Beschwerdeführerin zu 1. auf.
3. Danach ging der Gläubiger in die zweite Klagestufe (Verurteilung zur Abgabe einer Versicherung an Eides statt) über.
Das Landgericht Düsseldorf verurteilte die Beschwerdeführerin zu 1. mit Schlussurteil vom 27. Januar 2020 dazu, an Eides statt zu versichern, dass die dem Gläubiger von der Beschwerdeführerin zu 1. mit den Anlagen K18 und K19 erteilten Auskünfte vollständig und richtig seien. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass die Beschwerdeführerin zu 1. die in diesen Anlagen erteilten Auskünfte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt (§ 260 Abs. 2 BGB) abgegeben habe. Der Anspruch auf Abgabe der Versicherung an Eides statt sei über die Tatbestandsgrenzen der § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 2 BGB hinaus bei jedem wie auch immer gearteten Anspruch gegeben.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin zu 1. wies das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 9. Oktober 2020 zurück. Aus einer Gesamtwürdigung des Verhaltens der Beschwerdeführerin zu 1. vor und während des gerichtlichen Verfahrens ergebe sich der Verdacht, dass diese ihre Auskunftsverpflichtung nicht hinreichend ernst nehme und die in den Anlagen K18 und K19 enthaltenen Auskünfte nicht mit der erforderlichen Sorgfalt auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft habe. Es bestehe daher ein Anspruch des Gläubigers aus § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 2 BGB (analog) auf Abgabe der begehrten Versicherung an Eides statt.
4. Da die Beschwerdeführerin zu 1. in der Folgezeit die Versicherung an Eides statt nicht abgab, ging der Gläubiger in das Vollstreckungsverfahren über.
Ein erster Versuch der Beschwerdeführerin zu 1., die Vollstreckung abzuwenden beziehungsweise die von ihr verlangte Erklärung gegenüber der erfolgten Verurteilung abzuändern, scheiterte.
a) Hierbei stellte die Beschwerdeführerin zu 1. mit Schriftsatz vom 2. März 2021 bei dem Amtsgericht München – Vollstreckungsgericht – einen Antrag nach § 261 Abs. 1 BGB auf Abänderung des Wortlauts der eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Ausspruch im Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf. Dabei begehrte sie die Einschränkung, dass die in den Anlagen K18 und K19 erteilten Auskünfte lediglich in Bezug auf bonitätsrelevante Daten und Informationen über den Gläubiger, die im Zusammenhang mit der unberechtigten Geltendmachung der in den Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf und dem Oberlandesgericht Düsseldorf konkretisierten Forderungen im Jahr 2016 an Dritte herausgegeben worden seien, vollständig und richtig seien.
Die erteilte Auskunft beruhe teilweise auf einem Standardtext der Beschwerdeführerin zu 1., der bei der Geltendmachung von datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüchen nach interner Prüfung genutzt werde. Das rühre daher, dass der Gläubiger außerhalb des Gerichtsverfahrens zugleich einen datenschutzrechtlichen Anspruch nach § 34 BDSG geltend gemacht habe. Deshalb habe die Beschwerdeführerin zu 1. ein einheitliches Schreiben verfasst. Nur der zweite Teil der Auskunft sei mit Blick auf den Gegenstand der Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf und dem Oberlandesgericht Düsseldorf abgegeben worden. Denn in den Gerichtsverfahren habe der Gläubiger lediglich an bonitätsbezogenen Daten Interesse gezeigt. Wenn man den ersten Teil der Auskunft mit seinem Standardtext zu den datenschutzrechtlichen Informationen jedoch hinzunehme, lasse sich dieser aufgrund seiner unklaren Formulierung aber auch so interpretieren, dass sich die Angaben nicht auf die Weitergabe der streitgegenständlichen bonitätsrelevanten Informationen, sondern auch auf die Weitergabe aller sonstigen Daten und Informationen im Zusammenhang mit dem...
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