BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvQ 82/20 -
über den Antrag,
im Wege der einstweiligen Anordnung
folgende Regelungen zu erlassen: |
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1. |
Abweichend von § 6 Absatz 3 Satz 2 des Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (KVBG) beträgt das Ausschreibungsvolumen für die nach § 10 Absatz 2 Nummer 1 KVBG am 1. September 2020 durchzuführende Ausschreibung im verkürzten Verfahren für das Jahr 2020 4,9 Gigawatt Nettonennleistung. |
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Hilfsweise zu 1.: |
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Abweichend von § 6 Absatz 3 Satz 2 des Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung beträgt das Ausschreibungsvolumen für die nach § 10 Absatz 2 Nummer 2 KVBG am ersten Werktag des Monats, der vier Monate nach dem Gebotstermin nach § 10 Absatz 2 Nummer 2 KVBG durchzuführenden Ausschreibung, durchzuführenden Ausschreibung im verkürzten Verfahren für das Jahr 2021 2,4 Gigawatt Nettonennleistung. |
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2. |
In den Ausschreibungen für die Jahre 2020 und 2021 sowie in den Ausschreibungen mit den Zieldaten 2022 bis 2027 nach § 21 KVBG erteilte Zuschläge sind von der Bundesnetzagentur mit dem Vorbehalt einer möglichen Erhöhung für den Fall zu versehen, dass den Betreibern der bezuschlagten Steinkohleanlagen zur Wahrung der Verfassungsmäßigkeit der vorzeitigen Stilllegungen ihrer Kraftwerke ein zusätzlicher finanzieller Ausgleich zuzuerkennen ist. |
Antragstellerin: |
S… GmbH, |
- Bevollmächtigte:
- … -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Britz
und den Richter Radtke
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung
der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 18. August 2020 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft das Ausschreibungsvolumen und die Höhe des Steinkohlezuschlags nach dem sogenannten Kohleausstiegsgesetz, mit dem die Kohleverstromung in Deutschland bis 2038 schrittweise reduziert und beendet werden soll.
A.
Das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – KVBG) wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) vom 8. August 2020 (BGBl I S. 1818) vom Deutschen Bundestag beschlossen. Es ist gemäß Art. 11 Abs. 1 dieses Gesetzes am 14. August 2020 in Kraft getreten. Zweck des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes ist, die Erzeugung elektrischer Energie durch den Einsatz von Kohle in Deutschland sozialverträglich, schrittweise und möglichst stetig zu reduzieren und zu beenden, um dadurch Emissionen zu reduzieren, und dabei eine sichere, preisgünstige, effiziente und klimaverträgliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität zu gewährleisten (§ 2 Abs. 1 KVBG). Zur Realisierung dieses Ziels sieht das Gesetz ein umfängliches Instrumentarium, insbesondere detailliert geregelte Ausschreibungsverfahren vor.
Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Alleingesellschafterin die K… ist. Bei der K… handelt es sich nach der Antragsschrift um einen Zusammenschluss verschiedener kommunaler Stadtwerke- und Holding-Unternehmen, von denen vier als Aktiengesellschaft und zwei als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert sind. Über mehrere Ebenen hinweg, nämlich von der Antragstellerin aus betrachtet auf fünfter Ebene, sind Eigentümer der Antragstellerin überwiegend kommunale Gebietskörperschaften. Die kommunalen Anteile sind auf acht Gebietskörperschaften aufgeteilt; davon entfallen durchgerechnet auf die Stadt Duisburg 15,2 %, auf die Stadt Dortmund 36 %, auf die Stadt Essen 7,7 %, auf die Stadt Bochum 10,7 %, auf die Stadt Herne 4,7 %, auf die Stadt Witten 2,6 %, auf die Stadt Oberhausen 3,0 % und auf die Stadt Dinslaken 6 %. In Summe werden danach über mehrere Ebenen vermittelt 85,9 % von Kommunen gehalten. Die Antragstellerin betreibt nach eigenen Angaben acht Steinkohlekraftwerke in Deutschland, von denen sieben zwischen 1976 und 1989 in Betrieb genommen worden sind; das achte hat den Betrieb im Jahr 2013 aufgenommen. Mit Ausnahme dieses jüngsten Kraftwerks geht die Antragstellerin von einer technischen Lebenszeit der Anlagen bis zwischen 2027 und 2039 aus. Nach ihren Angaben würde sie mit einer Ausnahme keines ihrer Kraftwerke bis zum Jahr 2026 stilllegen, wenn sie nicht durch das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz zu einer Teilnahme an den Ausschreibungsverfahren veranlasst wäre.
Am 29. Juli 2020 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des im Rubrum genannten Inhalts gestellt. Trotz Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand an dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen könne sie sich auf Grundrechte berufen. Dies ergebe sich auch aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG.
B.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. BVerfGE 111, 147 ; 122, 342 ; 131, 47 ; 140, 225 ; stRspr).
Hier wäre eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig. Die Antragstellerin kann sich nicht auf die als verletzt gerügten Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG berufen, da diese nach Art. 19 Abs. 3 GG auf sie nicht anwendbar sind. Ihr stehen materielle Grundrechte nicht zu, weil sie ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ist, an dem die öffentliche Hand mittelbar weit mehr als 50 % der Anteile hält (I). Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gibt keinen Anlass, die Grundrechtsberechtigung der Antragstellerin abweichend von diesen in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisierten Maßgaben des Art. 19 Abs. 3 GG zu beurteilen (II).
I.
Die Antragstellerin kann sich als staatliche Einrichtung im weiteren Sinne – hier in der Form eines mittelbar überwiegend in kommunaler Hand liegenden privatrechtlich organisierten Unternehmens ‒ nicht auf materielle Grundrechte berufen.
1. Wie juristische Personen des öffentlichen Rechts und privatrechtlich organisierte Unternehmen des Staates können sich auch sogenannte gemischtwirtschaftliche Unternehmen nicht auf die materiellen Grundrechte berufen, sofern der Staat mehr als 50 % der Anteile an ihnen hält; sie können folglich auch nicht eine Verletzung materieller Grundrechte mit der Verfassungsbeschwerde...